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Gutachtliche Entscheidungen

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Anträge zur Überprüfung der Thromboseprophylaxe be-

schäftigen die Gutachterkommission immer wieder, so auch

im folgenden Fall: Eine 26-jährige schlanke Patientin (170

cm, 56 kg) wurde am 4. September wegen des Rezidivs einer

gutartigen Milzzyste laparoskopisch operiert. Nach sachge-

rechter chirurgischer und anästhesiologischer Aufklärung

am Vortag dauerte die laparoskopische Operation etwa vier

Stunden. Der Eingriff war erschwert durch Adhäsionen und

Einlage einer Netzplombe im Rahmen der ersten Operation

vor sechs Jahren.Während der jetzigen Operation kam es zu

einem kleinen Einriss am unteren Milzpol und zu einer klei-

nen Zwerchfellverletzung; eine Bülau-Drainage für vier

Tage war erforderlich.Nach dem Einsatz von Klammernaht-

gerät, Argonbeamer und Fibrinkleber sowie Fibrinvlies war

der postoperative Verlauf komplikationsfrei. Die Bülau-

Drainage wurde am 7. September entfernt, die Thrombose-

prophylaxe mit einer abendlichen Dosis von Clexane 20 mg

wurde ab dem 3. September abends bis zur Entlassung am

9. September einschließlich des Operationstags durchge-

führt.

Wegen Fieber und Oberbauchbeschwerden wurde die Pa-

tientin vom 18. bis 24. September erneut stationär behandelt.

Als Fieberursache stellte sich ein Sekretverhalt im Operati-

onsgebiet heraus, der CT-gesteuert punktiert und drainiert

wurde. Die Drainage blieb über die Entlassung hinaus bis

zum 4. Oktober belassen. Auch während des zweiten statio-

nären Aufenthalts erhielt die Patientin täglich eine Throm-

boseprophylaxe mit 20 mg niedermolekularem Heparin

(NMH).

Am 27. September gab die Patientin erstmals Schmerzen im

linken Bein an. Klinisch und duplexsonographisch war am

8. Oktober eine Thrombose nicht nachzuweisen; auch eine

weitere Ultraschallkontrolle am 15. Oktober ließ keine

Thrombosezeichen erkennen.

Wegen „schlimmer Schmerzen im ganzen Bein“ und Kreis-

laufproblemen wurde die Patientin am 20.Oktober in einem

anderen Krankenhaus wieder aufgenommen.Dort wurde ei-

ne Becken-Bein-Venen-Thrombose diagnostiziert und am

22.Oktober eine Marcumar-Therapie begonnen.

Beurteilung des Falles

Die Indikation zur Operation, die Operation selbst, die post-

operative Therapie und die präoperative Aufklärung zum

Eingriff sind nicht zu beanstanden. Die Gestaltung der ve-

nösen Thromboseprophylaxe perioperativ, bei Immobilisa-

tion, aber auch bei zahlreichen internistischen Erkrankun-

gen und bei längerer Bettlägerigkeit ist bis heute ein wissen-

schaftlich und klinisch noch nicht abgeschlossenes Thema.

Der Gefahr einer Thrombose mit akuter Bildung von Blutge-

rinnseln im venösen Bereich, vor allen Dingen intra- und

postoperativ in den Becken- und Beinvenen mit der Gefahr

einer Lungenembolie, stehen die Gefahren einer intra- und

postoperativen Blutung, einer Blutung im Bereich des Magen-

Darm-Trakts oder auch einer heparininduzierten Thrombo-

zytopenie (HIT I + II) als andere Risiken gegenüber. Bei je-

dem zehnten Patienten mit großen chirurgischen Eingriffen

und Heparinprophylaxe muss mit einer HIT II-Entwicklung

gerechnet werden, selbst bei Verwendung von niedermole-

kularemHeparin noch bei zwei bis drei Prozent.Diese kann

ihrerseits schwere Blutungen auslösen und ist im Fall von

HIT II, wenn die Diagnose nicht sehr rasch gestellt und ent-

sprechend gehandelt wird, ebenfalls lebensgefährlich.

Zur Einschätzung des individuellen Thromboserisikos wer-

den Risikoklassen von 1 bis 3 gebildet, die auf Statistiken

beruhen [1, 2, 3].Wird ein Patient als niedriges Risiko (Klas-

se 1) klassifiziert, kann bei rascher Vollmobilisation nach

überwiegender Meinung auf eine medikamentöse Prophy-

laxe verzichtet werden. Gehört er der Klasse 2 an (mittleres

Risiko), wie auch im vorliegenden Fall, wird er nach derzeit

geltenden Empfehlungen über eine begrenzte Zeit mit mitt-

leren Antikoagulantiendosen behandelt. Für Patienten der

Gruppe 3 wird zu einer länger dauernden, hoch dosierten

antithrombotischen Therapie unter Inkaufnahme eines hö-

heren Therapierisikos geraten. Hinzuweisen ist darauf, dass

die Diskussion zu diesemThema noch in Gang war,weshalb

auch die deutschen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft

wissenschaftlicher Fachgesellschaften (AWMF) seit 2003 bis

2007 noch keine Neubearbeitung erfahren hatten. Die Pa-

tientin war in diesem Fall nach demThromboseprophylaxe-

Schema Mainz [4] in Risikogruppe 2 (1–2,5 Punkte) einzu-

ordnen, da sie unter Contraceptiva (0,5 Punkte) stand und

die Operation über 1 Stunde ohne Immobilisation über 3 Ta-

ge (1 Punkt) dauerte.

Bislang gibt es für das Absetzen einer oralen Kontrazeption,

das mindestens vier bis sechs Wochen vor der Operation ge-

schehen müsste, keine positive Empfehlung. Entsprechende

Studien standen bis einschließlich 2007 nicht zur Verfü-

gung. Allerdings sollte bereits bei der stationären Aufnahme

eine mögliche hormonelle Kontrazeption anamnestisch er-

fasst werden, was im Einwilligungsformular auch gesche-

hen war. Auch thromboembolische Ereignisse beim Patien-

ten oder in der Familie sollten ausgeschlossen werden. Lie-

gen solche Ereignisse vor,müssen diese in die Überlegungen

hinsichtlich einer adäquaten medikamentösen Thrombose-

prophylaxe miteinbezogen werden; sie führen in der Regel

zu einer Dosiserhöhung.

Insofern ist das Für und Wider einer medikamentösen

Thromboseprophylaxe an sich und hinsichtlich der Dosie-

rung speziell sorgfältig abzuwägen. Dies ist in diesem Fall

geschehen.

Die Thromboseprophylaxe mit niedermolekularemHeparin

wurde zeitgerecht begonnen und fortgeführt. Für die Risiko-

klasse 2 war die Verabreichung des Heparins während der

stationären Zeit ausreichend; die Patientin war zum Zeit-

punkt der Entlassung am 9. September und am 24. Septem-

ber komplett mobilisiert. Zudem handelte es sich um einen

laparoskopischen Oberbauch- und nicht Unterbaucheingriff

bei einer gutartigen Erkrankung.

Thromboseprophylaxe bei laparoskopischem Eingriff

und Einnahme von Contraceptiva