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In den Begutachtungsverfahren vor der Gutachterkommis-

sion für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer

Nordrhein werden mit Blick auf die Diagnostik vor allem

auch von Tumorerkrankungen regelmäßig überdurch-

schnittlich viele ärztliche Behandlungsfehler festgestellt.

Das gilt auch für die nicht immer rechtzeitige Erkennung ei-

nes Prostatakarzinoms, einer Diagnose, der an dieser Stelle

bereits mehrfach Beiträge gewidmet waren

(Rheinisches

Ärzteblatt 11/2004 und 5/2008)

. Im Juli 2011 hat sich die

52. Fortbildungsveranstaltung des Instituts für Qualität im

Gesundheitswesen in Zusammenarbeit mit der Gutachter-

kommission Nordrhein unter dem Thema „Qualität und

Sicherheit in der Diagnostik und Therapie des Prostata-

Karzinoms“ mit der Problematik befasst. Der nachstehend

geschilderte Fall zeigt exemplarischVersäumnisse in derAb-

klärung auffälliger Befunde auf, die für eine mehrjährige

Diagnoseverzögerung verantwortlich waren.

Sachverhalt

Der zu Beginn der Behandlung 70-jährige Antragsteller ließ

im Rahmen der Behandlung unter anderem von Potenzstö-

rungen (erektile Dysfunktion) und eines Libidoverlustes seit

Beginn der 1990er Jahre bei dem Antragsgegner, einem nie-

dergelassenen Arzt für Urologie, jährlich – mit einem unter-

suchungsfreien Intervall von 1996 bis 1998 –Krebsvorsorge-

untersuchungen durchführen, ab 2002 jeweils mit Bestim-

mung des prostataspezifischen Antigens (PSA).Während die

Ergebnisse der Tastuntersuchung stets als unverdächtig be-

schrieben wurden, lag der PSA-Wert erstmals im Jahre 2003

mit 5,59 ng/ml über dem Schwellenwert von 4 ng/ml, der

nach den einschlägigen Leitlinien der Fachgesellschaften

eine weitere diagnostische Abklärung erfordert. Im Jahr

2004 sank der PSA-Wert auf 3,49 ng/ml ab. Er lag in den

Folgejahren regelmäßig wieder – teils erheblich – über

dem Schwellenwert (Mai 2005: 6,86, Juni 2005: 6,46,

März 2006: 7,08, Oktober 2006: 9,30, Juli 2007: 10,91,

November 2007: 10,63, Juni 2008: 11,49). Therapeutisch er-

folgte von 2005 bis 2008 wegen einer Prostatavergrößerung

ohne wesentliche Restharnbildung die Verordnung von

Tamsulosin, einem Alpha-Rezeptorenblocker zur Behand-

lung von Symptomen der benignen Prostatahyperplasie.

Erstmals im August 2007 erörterte der Antragsgegner mit

seinem Patienten telefonisch die Möglichkeit einer Gewebs-

entnahme. Nachdem die Kontrolluntersuchung im Novem-

ber 2007 aber einen geringfügig abgefallenen PSA-Wert er-

geben hatte, empfahl er eine erneute Kontrolluntersuchung

in einem halben Jahr. Der weitere Anstieg des PSA-Wertes

im Juni 2008 führte zu einer Prostatabiopsie, die ein links-

seitiges Prostatakarzinom mäßiger Differenzierung mit

dem Gleason-Score 3+4 ergab. Im Rahmen stationärer

Krankenhausbehandlung schloss sich die retropubische

Prostatektomie mit pelviner Lymphadenektomie an. Die

feingewebliche Untersuchung zeigte das Tumorstadium

T2c N0 M0 Rx bei Tumorgrad G 2 und dem bereits erwähn-

ten Gleason-Score. Anfang 2009 wurde bei anhaltendem

PSA-Nachweis (0,2 ng/ml) eine perkutane Strahlentherapie

erforderlich.

Beurteilung

Das Stellvertretende Geschäftsführende Kommissionsmit-

glied gelangte in seinem auf ein urologisches Fachsachver-

ständigengutachten gestützten gutachtlichen Bescheid zu

der Feststellung, dem Antragsgegner sei als Behandlungs-

fehler vorzuwerfen, auf den von ihm beobachteten kontinu-

ierlichen Anstieg der PSA-Werte im Serum nicht angemes-

sen reagiert und keine zeitgerechte weiterführende Dia-

gnostik veranlasst zu haben. Hierdurch sei die Diagnose

des – organbegrenzten – Prostatakarzinoms mit der Folge ei-

ner Verschlechterung der Prognose verzögert worden.

Zur Begründung wurde in Übereinstimmung mit dem Fach-

gutachten ausgeführt, dass wegen der seit Juni 2005 anstei-

genden PSA-Werte trotz unauffälliger Untersuchungsbefun-

de früher eine Prostatabiopsie angezeigt gewesen wäre. Die-

se Forderung wurde auf die im Jahre 2002 aktualisierten

Leitlinien zur Diagnostik von Prostatakarzinomen

(Urologe

A 38 (1999): 389-391)

gestützt. Hiernach musste ein erhöh-

ter PSA-Wert vor einer weiteren Diagnostik kontrolliert

werden und waren Fehlerquellen in der Praeanalytik und

Analytik zu beachten und auszuschließen. „Der Schwellen-

wert von 4,0 ng/ml wird zurzeit als Indikation zu einer wei-

teren Abklärung mit einer Biopsie unter sonographischer

Kontrolle und Antibiotikaschutz gesehen.“Aussagekräftiger

als ein starrerWert von 4,0 ng/ml wiesen ansteigende Werte

mit einer Dynamik über 0,5 – 1 ng/ml pro Jahr auf ein Pro-

statakarzinom hin.

Mit dem Einwand, die Notwendigkeit einer Histologie früh-

zeitig angesprochen zu haben, einer solchen sei von dem Pa-

tienten seinerzeit aber noch nicht zugestimmt worden,

konnte der Antragsgegner nicht gehört werden. Denn der

handschriftlichen Notiz hierüber in dem Computeraus-

druck der Behandlungsdokumentation vom Juli 2007 stand

die darin festgehaltene Empfehlung entgegen, den aktuellen

PSA-Wert von 10,91 ng/ml nochmals zu kontrollieren, ob-

wohl bereits seit Juni 2005 kontinuierlich steigende Werte

ermittelt worden waren.

Zusammenfassend war als fehlerhaft zu beanstanden, die

Diagnose und Behandlung des Prostatakarzinoms über

mehrere Jahre verzögert zu haben. Zwar wäre auch bei sei-

ner früheren Entdeckung die radikale Prostatektomie als

optimalen Erfolg versprechende Therapie zu bevorzugen

gewesen. Möglicherweise wäre dem Patienten aber die we-

gen eines ausbleibenden adäquaten Rückgangs des PSA-

Wertes im postoperativen Verlauf indizierte Strahlenthera-

pie bei rechtzeitiger Behandlung erspart geblieben.

Josef Hannappel und Ulrich Smentkowski

Gutachtliche Entscheidungen

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Diagnostik des Prostata-Karzinoms

Ein kontinuierlicher Anstieg des prostataspezifischen Antigens (PSA) im Serum

über den Schwellenwert erfordert eine zeitnahe weiterführende Abklärung