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Im Operationsbericht von Dr. B. wird dies wie folgt darge-

stellt: „... Am Unterbauch finden sich spontan größere

Mengen an Kot, welcher mit Bauchtüchern aufgenommen

und entfernt wird, weitere Inspektion des Bauchraumes

nach der Quelle, dabei findet sich ein ca. einmarkstückgro-

ßes Loch im Sigma, ansonsten erscheint das Abdomen un-

auffällig. ...“.

In beiden Operationsberichten wird dann die Präparation

des linken Hemikolon beschrieben mit Absetzen des unter-

halb der Perforationsstelle frei präparierten Sigma und des-

sen Blindverschluss.Der zuführende Dickdarmschenkel des

linken Hemikolon wurde als endständiger Anus praeter in

die Bauchwand eingenäht. Vor Verschluss der Bauchdecke

erfolgte eine gründliche Spülung der Bauchhöhle. Die Ope-

rationszeit betrug laut Operationsprotokoll circa zwei Stun-

den.

Postoperative Maßnahmen

Nach Beendigung der Operation blieb die Patientin oral in-

tubiert, beatmet und wurde auf die Intensivstation verlegt.

Bei zunächst stabiler Kreislaufsituation sollte am nächsten

Morgen (29. Mai) die Extubation vorgenommen werden.

Da sich aber danach eine starke Dyspnoe infolge einer Atel-

ektase im Lungenoberlappen und ein Zwerchfellhochstand

entwickelten, musste die Patientin am 31. Mai morgens er-

neut intubiert und beatmet werden.

Der Flüssigkeitsersatz erfolgte anfangs mit kristalloiden Lö-

sungen. Die parenterale Ernährung wurde ab dem 31. Mai

zunächst mit Periplasmal durchgeführt und ab dem 2. Juni

auf eine hochkalorische parenterale Nahrungszufuhr umge-

stellt.Wegen der persistierenden Tachyarrhythmia absoluta

erhielt die Patientin einen Isoptin-Dauertropf über einen

Perfusor. Die diabetische Stoffwechsellage wurde anfangs

mit adäquaten Gaben von Altinsulin ausgeglichen, später

über einen Insulin-Perfusor. Zur Antikoagulation erhielt sie

Clexane

®

.

Da der Abstrich aus der Bauchhöhle kulturell reichlich

Escherichia coli sowie vereinzelt Proteus mirabilis und

Enterokokken ergeben hatte, wurden nach Austestung zu-

nächst das Antibiotikum Baypen

®

(Mezlozillin-Na) und ab

dem 4. Juni wegen hoher rezidivierender Fieberschübe das

AntibiotikumCefalozin

®

und außerdemClont

®

(ein Metro-

nidazol) eingesetzt. Später wurde die antibiotische Behand-

lung auf Rocephin

®

(ein Breitspektrumcephalosporin) und

Gentamicin

®

(ein Amoniglycosid) für drei Tage umgestellt.

Darunter gingen die septischen Temperaturen allmählich

zurück. Die Laborparameter wiesen ein ständig erhöhtes

Kreatinin im Sinne einer kompensierten Niereninsuffizienz

auf. Ferner waren die CRP-Werte aufgrund der fortbeste-

henden Peritonitis stark erhöht. Röntgenologisch entwickelte

sich ein linksseitiger Pleuraerguss mit Zwerchfellhochstand.

Nach den Unterlagen der Abteilung für Anästhesiologie und

Intensivtherapie wurde der Bauchbefund fast täglich durch

Palpation überprüft. Abwechselnd mit der Beurteilung

„weich“ überwiegt aber die Beurteilung „Abdomen über-

bläht mit diffusem Druckschmerz“. Am 9. postoperativen

Tag (7. Juni) heißt es: „Abdomen weiter still, keine Funkti-

on“. Stuhlentleerungen sind nicht verzeichnet.

Am 8. Juni wurde ein CT des Abdomens mit Kontrastmittel-

gabe durchgeführt. Im unteren Thorakalbereich wurden

teilweise „schwartigeVeränderungen im Bereich der Dorsal-

pleuraanteile“ festgestellt. Entlang der Klammernaht sah

man in den Bauchdecken bis zum Unterbauch hin eine der

Bauchwand anliegende breitbasig hypodense Zone. „Verän-

derungen weisen am ehesten auf ein Serom hin“. Im Unter-

bauch sah man oberhalb der Symphyse nach ventral zu eine

Luftansammlung, bei der nicht zu differenzieren war, ob es

sich um überhängende Darmanteile mit Luft oder aber noch

um einen abgekapselten Luftanteil nach vorangegangener

Operation handelte. Ansonsten ergaben sich im Abdomen

keine Hinweise auf einen eventuellen Abszess.

Am 10. Juni um 13:15 Uhr kam es zu einem plötzlichen Herz-

stillstand, der trotz entsprechender Reanimationsmaßnah-

men nicht behoben werden konnte.Um 13:35 Uhrwurde der

Tod festgestellt.

Gutachtliche Beurteilung

Die Gutachterkommission nahm zu dem Sachverhalt wie

folgt Stellung:

Die sorgfältige Untersuchung des Hausarztes ergab Feststel-

lungen, die seine Diagnose eines „akuten Abdomens“ be-

gründeten: Die „leere“ Vorgeschichte, die plötzlich einset-

zenden Bauchschmerzen, die fehlenden Darmgeräusche,

der heftige Klopfschmerz der Bauchdecken, besonders des

Unterbauches, vor allem der „brettharte Bauch“ rechtfertig-

ten den geäußerten Verdacht auf eine Perforation. Das Han-

deln des Hausarztes – sofortige stationäre Einweisung mit

fernmündlicher Information des Aufnahmearztes über das

Krankheitsbild und seiner Verdachtsdiagnose – entsprach in

vollem Umfang den medizinischen Anforderungen.

Dem aufnehmenden Arzt in der Klinik war der Untersu-

chungsbefund offenbar nicht so eindeutig wie dem einwei-

senden Hausarzt. Er stützte sich dabei möglicherweise auf

den Röntgenbefund, nach dem in der Bauchhöhle neben

vereinzelten geblähten Dünndarmschlingen keine freie Luft

zu erkennen war. Inwieweit diese Beurteilung der Röntgen-

aufnahmen zutraf, konnte die Gutachterkommission nicht

überprüfen, da ihr die Aufnahmen nicht zurVerfügung stan-

den. Gleichwohl kann nach Auffassung der Gutachterkom-

mission der röntgenologisch fehlende Nachweis freier Luft

im Bauchraum– jedoch bei gespannten Bauchdecken – nicht

als Beweis dafür gelten, dass keine Perforation eines Darm-

teils mit Austritt von Luft stattgefunden hatte. Nach Statisti-

ken sind in dieser Hinsicht etwa 20 Prozent falsch negative

Befunde ermittelt worden. Deshalb waren engmaschige

Kontrollen des palpatorischen Abdominalbefundes für eine

zutreffende Diagnose notwendig. Daran hat es hier gefehlt.

Denn anstelle mehrfacher ärztlicher Prüfungen der Bauch-

deckenspannung wurden gegen jede Regel beim Verdacht

auf ein so genanntes akutes Abdomen ständig starke

Schmerzmittel verabfolgt und weiterführende diagnostische

Maßnahmen (z. B. Sonographie oder CT) unterlassen. Nur

eine frühzeitige Eröffnung der Bauchhöhle hätte Klarheit

schaffen können. Statt dessen wurden im weiteren Verlauf

des Tages wegen der zunehmenden starken Schmerzen vom

zuständigen Arzt (z.T. telefonisch) Schmerzmittel verordnet.

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Gutachtliche Entscheidungen

Versäumnisse bei einem „akuten Abdomen“