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Bei einer Tubensterilisation, die medizinisch nicht indiziert

ist, handelt es sich um einen von der Patientin– zum Beispiel

aus vertretbaren Gründen der Familienplanung – ge-

wünschten freiwilligen Eingriff, der eine besonders intensi-

ve und umfassende Aufklärung verlangt, um die rechtswirk-

same Einwilligung sicherzustellen. Der Arzt hat, wie bei allen

operativenVerfahren, auf die mit dem Eingriff verbundenen

typischen Risiken hinzuweisen, zum Beispiel auf die Gefahr

einer Verletzung des Darms oder anderer Nachbarorgane

mit der Folge der Notwendigkeit eines weiteren Eingriffs.

Bei der Sterilisation durch Elektrokoagulation der Tuben

ist auch auf das Risiko einer nicht immer vermeidbaren Or-

ganschädigung durch Überhitzung hinzuweisen. Darüber

hinaus hat der Arzt frühzeitig vor der geplanten Sterilisation

über die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs aufzuklären

und dabei auch die psychische Situation nach dem Eingriff

sowie die Möglichkeit einer Rekanalisation der Tuben ein-

zubeziehen. Für den Arzt ist weiter sehr wichtig, die Einzel-

heiten der Aufklärung und des Operationsvorgangs selbst

sorgfältig zu dokumentieren. Dazu gehören auch Aufzeich-

nungen über einen eventuell auffälligen postoperativen Ver-

lauf. Eine Verletzung der Dokumentationspflicht kann nach

der Rechtssprechung zugunsten des Patienten Beweis-

erleichterung bis zur Beweislastumkehr ergeben.

Die Gutachterkommission hatte kürzlich eine zu erhebli-

chen Gesundheitsschäden führende Sterilisationsoperation

zu beurteilen. Der Krankheitsverlauf stellte sich nach den

Unterlagen des beschuldigten niedergelassenen Gynäkolo-

gen und der nachbehandelnden Kliniken wie folgt dar:

Der Sachverhalt

Die seinerzeit 42-jährige Patientin stellte sich am 14. Sep-

tember erstmalig ambulant bei dem beschuldigten Gynäko-

logen vor. Sie äußerte den Wunsch nach einer Tubensterili-

sation. In dem handschriftlich ausgefüllten Anamnesebogen

waren eingetragen: Letzte Regelblutung am 8. September,

drei spontane Geburten in den Jahren 1979, 1980 und 1990

sowie eine Fehlgeburt im Jahre 1977 (Mens III). Die Frage

nach Unterleibsoperationen oder anderen operativen Ein-

griffen wurde verneint. In der Karteikarte des Arztes war ei-

ne vaginale Untersuchung vermerkt, ohne dass besondere

Feststellungen aufgeführt wurden.

Angaben zur Aufklärung

In einem der Karteikarte beigefügten sechsseitigen Aufklä-

rungsformular sind unter anderem die verschiedenen Me-

thoden der Sterilisation beschrieben, ferner wie sicher diese

seien. Als mögliche Komplikationen sind genannt: Verlet-

zung der Gebärmutter oder angrenzender Organe (zum Bei-

spiel Darm, Harnleiter, Blase, Nerven, Blutgefäße) durch

Operationsinstrumente, elektrischen Strom oder Hitze, die

gegebenenfalls eine operative Versorgung mit Eröffnung

der Bauchhöhle notwendig mache. Auf der ersten Seite des

Formulars findet sich handschriftlich unter der Formular-

überschrift das Wort „Ausschabung“, auf der 6. Seite unter

„Ärztliche Anmerkung zum Aufklärungsgespräch“ die

handschriftliche Eintragung „Blutung, Darmverletzung, In-

fektion“ mit dem 25. September datiert und vom Arzt unter-

schrieben. In der letzten Rubrik ist angekreuzt: „Über die

geplante Operation sowie eventuell erforderliche Erweite-

rungsmaßnahmen wurde ich im Aufklärungsgespräch mit

Herrn Dr. A. ausführlich informiert.“ Weiter ist angekreuzt:

„Einwilligung in die Sterilisation durch eine Bauchspiege-

lung und in die Verklebung durch elektrischen Strom (Ko-

agulation).“

Das Formular ist von der Patientin unter dem 24. September

unterschrieben. Die Sterilisation wurde für den nächsten

Tag, den 25. September, vorgesehen.

Das Aufklärungsgespräch wurde bei der ersten Vorstellung

am 24. September in polnischer Sprache geführt. Patientin

und Arzt sind polnischerAbstammung.Die Patientin spricht

nicht deutsch und konnte das ihr am 24. mitgegebene For-

mular nur mit Hilfe Dritter sowie eines Lexikons und auch

nur teilweise verstehen. Sie behauptet zudem, dass von einer

Ausschabung nicht die Rede gewesen und der Hinweis

„Ausschabung“ auf der 1. Seite des Formulars bei der Über-

gabe am 24. September nicht vorhanden gewesen sei. Glei-

ches gelte für die handschriftliche Eintragung der „Ärzt-

lichen Anmerkung zum Aufklärungsgespräch“ auf Seite 6.

Operative Behandlung

Am 25. September erfolgt nach der Darstellung des Arztes ei-

ne ergänzende Aufklärung, die nicht weiter dokumentiert

ist. Anschließend wird der operative Eingriff durchgeführt.

Im handschriftlichen Operationsbericht ist vermerkt:„Indi-

kation Sterilisationswunsch. Operateur Dr. A. mit Assistenz

durch zwei (namentlich genannte) Schwestern“. Zum Ope-

rationsverlauf ist stichwortartig angeführt: „Hysteroskopie

(Polyp) ..., Abrasio, Laser .., Laparoskopie .. Situs: Mittel-

Oberbauch mit Adhäsionsstrang vom Sigma zur Becken-

wand ... Uterus vergrößert, Gefäß injiziert, fest im Douglas

sitzend, Adnexe links zystisch verändert, rechts verwachsen

mit Beckenwand. Beide Eileiter frei im Isthmus ... Laparo-

skopie, Pelviskopie mit bipolarer Adhäsiolyse der rechten

Adnexe, Zystenfensterung links (pflaumengroß),Tubenliga-

tur im isthmischen Verlauf mit bipolarer Zange an drei ne-

beneinander liegenden Stellen beidseits. Bluttrockenheit,

Ablassen der Gase. Situationsnaht.“ In der Karteikarte findet

sich danach der Stempel „Entlassung der Patientin in gutem

AZ 13:00 Uhr“. Der nächste Eintrag lautet: „17:00 Uhr, Tele-

fongespräch mit Ehemann, Patientin hat starke Schmerzen.“

Postoperativer Verlauf

Nach der Schilderung der Patientin setzten am Nachmittag

zunehmende Bauchschmerzen ein, die sich auch nicht bes-

serten nach Einnahme der Schmerzmittel, die vom Arzt in

einem Rezept verordnet waren, das er der Patientin bei der

Entlassung mitgegeben hatte. In dem Telefongespräch emp-

Gutachtliche Entscheidungen

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Tubensterilisation – Mängel bei Aufklärung und Behandlung

Freiwilliger Eingriff verlangt eine besonders intensive und umfassende Aufklärung