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Der weitere Verlauf

Am Nachmittag des 13. April trat eine rapide Zustandsver-

schlechterung ein; die Patientin musste sich übergeben,

klagte über Schwindel und Druckgefühl in der Brust.Wäh-

rend der Fahrt in die nachbehandelnde (nicht beschuldigte)

Klinik wurde sie ohnmächtig und erlitt Krampfanfälle. Bei

der Aufnahme der bewusstlosen Patientin in der Klinik

wurden zunächst Reanimationsmaßnahmen ergriffen. Der

Hämoglobinwert lag bei 13,0 g%, am Abend bei 12,4 g%.

Im EKG zeigte sich Kammerflimmern, so dass mehrfache

Defibrillationen unter weiterer externer Aufrechterhaltung

des Blutkreislaufes durchgeführt werden. Unter der Ver-

dachtsdiagnose einer fulminanten Lungenembolie wird mit

einer Lysetherapie begonnen. Unter anhaltender Kardio-

kompression kam es im Verlauf zu tachykardem Eigen-

rhythmus und zu einer gewissen Stabilisierung. In der Fol-

gezeit trat dann aber ein langsamer konsekutiver Abfall des

Blutdrucks ein. Es gelang nicht, ihn zu stabilisieren. Unter

maximaler Katecholamin-Therapie verstarb die Patientin in

der Nacht zum 14. April.

Obduktionsergebnis

Die am 17. April durchgeführte Obduktion ergab unter an-

derem Folgendes: In der freien Bauchhöhle fanden sich ins-

gesamt 3.500 ml flüssiges Blut. Die Darmschlingen waren

mäßig aufgebläht. In der Bauchhöhle zeigte sich linksseits

in Höhe der äußeren Beckenschlagader ein etwa 1,5 cm gro-

ßer rundlicher Defekt des Bauchfells mit zentraler Öffnung.

Bei Ausstreichen der Beingefäße linksseitig in Richtung auf

den Defekt entleerte sich aus der Öffnung flüssiges Blut.

Nach Sondierung und Eröffnung der linken äußeren Be-

ckenschlagader wurde ein maximal 0,3 cm großer schlitzför-

migerWanddefekt erkennbar. In der Umgebung der Schlag-

ader fand sich eine mäßig ausgedehnte Blutansammlung.

Auch unterhalb des Bauchfells zeigte sich eine dunkelblau

livide Hämatomverfärbung. Zwischen demWanddefekt der

linken äußeren Beckenschlagader, der Einblutungshöhle

unter dem Bauchfell links und dem Bauchfelldefekt bestand

eine sondierbare Verbindung, die unmittelbar in die freie

Bauchhöhle führte.

Blutgerinnsel in den Lungengefäßen werden nicht gefun-

den.

Gutachtliche Beurteilung

Die Gutachterkommission hat in dreifacher Hinsicht Stel-

lung genommen:

zur Frage nach der Indikation des Eingriffs,

zum operationstechnischen Vorgehen,

zur fehlenden Sicherungsaufklärung.

Indikationsmangel

Die gynäkologische Aufnahmeuntersuchung hatte in keiner

Beziehung einen pathologischen Befund ergeben.Die Zyste,

die am 14. März noch deutlich größer dargestellt war, hatte

sonographisch nur noch einen Umfang von 2,1 x 2,5 cm. Das

Kriterium der Schrumpfung zeigte damit, dass es sich offen-

sichtlich um eine funktionelle Zyste handelte, die in sponta-

ner Rückbildung begriffen war und keine Beschwerden ver-

ursachte. Insgesamt ergab nach Auffassung der Gutachter-

kommission die Diagnostik keine Indikation für eine

Bauchspiegelung. Die behandelnde Ärztin hätte sich im Üb-

rigen, bevor sie eine solche Maßnahme in Erwägung zog,

durch eine Rücksprache mit dem einweisenden Arzt ergän-

zend vergewissern sollen, wie sich die Situation vorher in

der Praxis dargestellt hatte. Die Ärztin durfte keinesfalls un-

ter den gegebenen Umständen eine Indikation bejahen. Die

Patientin hätte noch amAufnahmetag wieder entlassen wer-

den müssen.

Fehlerhafte Bauchspiegelung

Das operationstechnische Vorgehen hat die Gutachterkom-

mission als fehlerhaft beurteilt. Die Operateurin hat eine

monopolare Schere durch den Arbeitskanal des optischen

Instrumentes eingeführt, ohne weiteres Zusatzinstrumenta-

rium zur Absicherung ihrer Manipulation in der Bauchhöh-

le eingebracht zu haben. Diese Art des Vorgehens bewertet

die Kommission als sehr gefährlich, wenn im Bereich der

linken Beckenwand mit nur einem Instrument gearbeitet

wird, das bei kleinsten Abweichungen schwere Verletzun-

gen hervorrufen kann. Der Nachteil der hier verwendeten

Winkeloptik liegt ferner darin, dass die optische Kontrolle

stark begrenzt ist. Die Optik folgt der Bewegung des Arbeits-

instrumentes; dessen Zielrichtung ist praktisch nicht zu er-

kennen, da sie nur wenige Millimeter im Blickfeld liegt.

Wird die zu durchtrennende Struktur – hier die wohl phy-

siologische Verwachsung des Mesosigmoids mit der linken

Beckenwand – nicht durch ein zusätzliches Instrument an-

gehoben, angespannt und stabilisiert, so wird mit einem

durch monopolaren Strom hochpotent schneidenden In-

strument ohne Kontrolle gearbeitet. Das führt zu einem

hohen Risiko der Gefäßverletzung, die hier dann auch ein-

getreten ist.

Die Operateurin hätte mindestens einen Zusatztrokar mit

Taststab o. ä. in den Unterbauch einbringen müssen, um ein

kontrolliertes Durchtrennen von Verwachsungen zu ge-

währleisten. Die Gutachterkommission hat deshalb die Ge-

fäßverletzung als vorwerfbaren Behandlungsfehler gewer-

tet.

Der Satz im Operationsbericht „Beckengefäße und andere

leitende Strukturen sind unverletzt“ ist objektiv unrichtig.

Die Obduktion zeigte, dass die linke äußere Beckenschlag-

ader, die oberhalb des Eierstocks verläuft, offenbar durch die

elektrische Schere verletzt wurde.

Fehlende Sicherungsaufklärung

Das Stationspersonal hätte sogleich über diese Gefäßverlet-

zung informiert werden müssen, um durch Vermerk im

Pflegeprotokoll sicherzustellen, dass die Patientin wegen

der intraoperativen Blutungskomplikation zusätzlich inten-

siv überwacht wurde.Die Unterrichtung über die Komplika-

tion hätte ferner die Diagnostik für die stationäre Behand-

lung vom 7. bis 12. April unmittelbar beeinflusst.

Die Tatsache, dass auch die Patientin und der einweisende

Frauenarzt nicht über die Gefäßverletzung informiert wur-

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Gutachtliche Entscheidungen

Minimal invasive Eingriffe