9 / 2013
KURS
EDI TOR IAL
So unwahrscheinlich es klingt – doch das eine oder
andere Mal kommt es doch noch zu einem überra-
schenden Ausbruchsversuch der Medien aus dem
selbst gezimmerten Käfig der political correctnes. So
geschehen auf der Internetseite des Focus. Der berei-
tete seine Leser erstaunlich offen darauf vor, was den
Steuerzahler bald an finanziellen Grausamkeiten er-
wartet. Die „unheilvolle Stille vor der Wahl“ nennt
der Autor das Phänomen des Wegschweigens und
-schreibens der Schuldenkrise.
Krise, welche Krise? – diese Frage könnte sich durch-
aus stellen, forstet man derzeit den Blätterwald durch. Da ist nämlich die Rede
von explodierenden Aktienkursen, vom bevorstehenden Aufschwung, von stei-
genden Einkaufs-, Manager- und was sonst noch für Indizes, die unweigerlich
darauf schließen ließen, dass Euro-Land nicht mehr abgebrannt, sondern auf
einem strammen Genesungspfad ist: Griechenland? – wird alles besser! Spani-
en? – Bankenkrise verkraftet! Portugal? – Spart sich gesund! Frankreich? – Wird
trotz sozialistischer Träumereien die Hausarbeiten ordentlich erledigen!
Da nimmt es kaum Wunder, dass die derzeit meistgebrauchten Begriffe in den
Gesundbetungs-Beiträgen „wahrscheinlich“, „deutet an“, „könnte“, „vermut-
lich“, „aller Voraussicht nach“ lauten. Schließlich muss man sich ja für die Zeit
nach dem 22. September 2013 ein Hintertürchen offen lassen, sollte sich heraus-
stellen, dass die Lage doch nicht so rosarot ist, wie sie vor der Wahl gezeichnet
wurde. Dass das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung von einem weiteren
Schuldenschnitt für Griechenland spätestens zum Jahresende ausgeht, mag nicht
in denWohlfühl-Wahlkampf à la Merkel passen, doch dürfte es nur wenige Wirt-
schaftsexperten geben, die ein solches, für den deutschen Steuerzahler kostspieli-
ges Szenario mit Überzeugung von der Hand weisen würden.
Ist doch nicht weiter schlimm: Schließlich jubelte der „Spiegel“ auf Basis von
Bundesbank-Daten: „Die Deutschen werden im Schnitt immer reicher.“ Da ist es
ja wohl nur eine Petitesse, dass die Privatvermögen nach einer Postbank-Studie
massiv an Wert verlieren, weil die Mickerzinsen den Inflationsverlust nicht aus-
gleichen können. Mit anderen Worten: Wir sparen uns immer ärmer. Und das
beileibe nicht nur auf Bankkonten. Auch Versicherungen tun sich schwer, einiger-
maßen auskömmliche Renditen auszuschütten. Dafür müssen sie sich auch noch
von Verbraucherschützern und Politikern abwatschen lassen – von denselben
Politikern, die den EZB-Kurs der kalten Enteignung stillschweigend goutieren.
Aber davon will bis zur Wahl kaum jemand aus Politik und in vielen Medien
etwas wissen. „Man kann ruhig darüber sprechen“, lautet der Titel eines Buches
von Heinrich Spoerl. Und es bedarf keiner großen Prophetengaben vorauszu-
sagen, dass nach dem 22. September 2013 die heute so heiteren Optimismus
Verbreitenden zu spoerlen beginnen (müssen).
George Clegg
Spoerlen nach
der Wahl
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