

Die Gutachterkommission hat häufig Sachverhalte zu beur-
teilen, bei denen eine Hordentorsion vermeidbar zu spät er-
kannt und behandelt wurde, so dass der Behandlungsfehler
zumVerlust des Hodens führte. Bei der Hodentorsion kommt
es zur spontanen Drehung von Hoden und Nebenhoden um
die Längsachse des Samenstranges, weshalb die seltener ge-
wählte, im angelsächsischen Sprachraum jedoch übliche Be-
zeichnung Samenstrangtorsion die Erkrankung zutreffender
kennzeichnet.
Die Torsion wird durch eine krampfartige Kontraktion der
Muskeln des Samenstranges ausgelöst. Die Folge ist eine
Durchblutungsstörung von Hoden und Nebenhoden. Das
Leitsymptom der Hodentorsion ist der plötzlich – oft in den
frühen Morgenstunden–einsetzende, sich langsam steigern-
de Schmerz im Hoden oder Nebenhoden, der allerdings in
manchen Fällen zunächst im Bauchraum, in der Leisten- oder
Nierenregion verspürt wird und erst später den Hoden ein-
bezieht.
Gelegentlich bietet eine Hodentorsion daher differenzialdia-
gnostische Probleme, wenn bei einer Abklärung von Bauch-
schmerzen – insbesondere bei Jugendlichen – eine akute Er-
krankung des Hodens bei den Überlegungen des Arztes un-
berücksichtigt bleibt. Der Verdacht auf eine Torsion ergibt
sich aus den symptomatischen Schmerzen und dem Befund
eines druckschmerzhaften, oft zunächst nicht vergrößerten
Hodens oder Nebenhodens.
Zeitfenster von vier bis acht Stunden
Für die Diagnose ist auch die sorgfältige Erhebung der Vor-
geschichte von Bedeutung. Ultraschalluntersuchung und
Messung der Hodendurchblutung mittels einer Doppler-So-
nographie können die Diagnose stützen, ergeben aber nicht
immer typische Befunde. Dies gilt auch für das so genannte
Prehn’sche Zeichen mit einer Schmerzverstärkung beimAn-
heben des Hodensackes.
Bei früher Diagnosestellung und noch unvollständiger Tor-
sion ist manchmal eine manuelle Rückdrehung des Hodens
möglich. In der Regel ist jedoch bei dem Verdacht auf eine
akute Torsion die operative Freilegung des Hodens mit Re-
torquierung und Fixation des Hodens in den ersten vier bis
höchstens acht Stunden nach demAuftreten der ersten Symp-
tome erforderlich, um einen totalen Infarkt des Hodens und
damit den Verlust seiner Funktion zu vermeiden.
Auch nach dem genannten Zeitraum ist eine Freilegung so
rasch wie möglich vorzunehmen, da die Torsion des Samen-
strangs möglicherweise unvollständig sein und nur eine teil-
weise Strangulation der Blutgefäße bewirkt haben kann.
Unter diesen Umständen kann die mit der hämorrhagischen
(statt ischämischen) Infarzierung des Hodens vorhandene
Schädigung auch noch bis zu 24 Stunden reversibel oder
zum Teil reversibel sein.
Der Sachverhalt
Hierzu die Darstellung eines kürzlich beurteilten Falles. Aus
den Krankenunterlagen der beschuldigten Ärzte und Klini-
ken sowie dem pathologischen Untersuchungsbefund ergab
sich folgender Sachverhalt:
Bei dem knapp 16-jährigen Patienten zeigten sich morgens
erste Symptome: Schmerzen im linken Unterbauch krampf-
artigen Charakters, Übelkeit, Erbrechen, Schweißausbruch,
Schwindel. Gegen 13.15 Uhr notfallmäßige Untersuchung in
der chirurgischen Ambulanz des beschuldigten Kranken-
hauses. Nach den Aufzeichnungen des untersuchenden Assis-
tenzarztes waren beide Hoden „unauffällig“. Mit der Ver-
dachtsdiagnose „Gastroenteritis“ erfolgte die stationäre Auf-
nahme. Die anschließende Ultraschalluntersuchung ergab an
den Bauchorganen „regelrechte Verhältnisse“.Gegen 16 Uhr
„Spasmolyse“.
Am nächsten Morgen (7.20 Uhr) zunehmende Schmerzen,
die bereits in der Nacht begonnen hatten. Keine Schwellung
des Hodens,wohl steinharter Knoten am unteren linken Ho-
denpol ohne Druckschmerz, im Übrigen geringer Druck-
schmerz.Untersuchungsbefund „wie bei Nebenhodenzyste“.
Fragestellung in der Dokumentation: „Zyste, Torsion oder
Tumor“.
Zur Klärung dieser Frage erfolgt gegen 9 UhrVorstellung bei
einem niedergelassenen Urologen, der folgende Befunde ver-
merkte: „Derber linker wenig druckdolenter Hoden mit
prallelastischer Resistenz am unteren und oberen Pol.“ Die
Ultraschalluntersuchung des linken Hodens ergab ein auf-
gelockertes Parenchym, kaudal mit einer zystischen Raum-
forderung. Der linke Hoden ohne Pulse. Der Urologe nahm
dann eine Ausscheidungsurographie vor, die normale Er-
gebnisse zeigte. Gegen 11.30 Uhr veranlasste er mit der Dia-
gnose „Hodentorsion“ die Überweisung in eine Urologische
Klinik, die er zu diesem Zeitpunkt entsprechend unterrich-
tete. Der Patient wurde dort zwischen 12 Uhr und 13 Uhr als
„Notfall mit der Diagnose einer Hodentorsion“ aufgenom-
men. Die Operation erfolgte gegen 16 Uhr mit Entfernung
des nicht mehr durchbluteten linken Hodens. Der Chefarzt
der Urologischen Klinik führte als Grund für die Verzöge-
rung der Operation an, ein Anästhesist habe nicht eher mit-
wirken können.
Gutachtliche Beurteilung
Die Gutachterkommission beurteilte den Sachverhalt auf
der Grundlage eines urologischen Fachsachverständigen-
Gutachtens imWesentlichen wie folgt:
Die bei dem Patienten am Vortage aufgetretenen Bauchbe-
schwerden und sonstigen Krankheitserscheinungen waren
erste Symptome einer Hodentorsion, die allerdings noch
nicht vollständig oder nur vorübergehend war. Das haben
die Untersuchungen des ersten Tages ergeben. Der Hoden
Hodentorsion
Totalen Infarkt durch zügiges Handeln vermeiden
Gutachtliche Entscheidungen
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