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Die Gutachterkommission hat sich auch in neuerer Zeit im-

mer wieder mit ärztlichen Versäumnissen befassen müssen,

die zur Verkennung eines Emboliegeschehens führten.

Richtungweisende Symptome wurden differenzialdiagnos-

tisch nicht beachtet

(siehe dazu Artikel „Zur Diagnostik von

Lungenembolien“, Seite 23)

. Vielfach war auch die Unterlas-

sung einer sachgerechten Thrombose- bzw. Emboliepro-

phylaxe zu beanstanden.

Bei einer Lungenembolie liegt ursächlich eine thromboem-

bolische Verlegung der Lungenstrombahn zugrunde. Das

thrombotische Material stammt vorwiegend von Thrombo-

sen aus dem Gebiet der tiefen Bein- und Beckenvenen. Je

nach Ausmaß der Gefäßokklusion spricht man von fulmi-

nanter Lungenembolie, bei der mehr als 80 Prozent der

Lungenarterien verschlossen sind, von massiver (mehr als

50–60 Prozent) oder mittelschwerer (25–50 Prozent) Lun-

genembolie. Die so genannte Mikroembolie betrifft Ver-

schlüsse unter 25 Prozent. Die fulminante Embolie führt

zum akuten Herz-Kreislauf-Versagen und damit zumeist

in kürzester Zeit zum Tode. Auch bei einer fulminanten

und massiven Lungenembolie kann aber unter besonders

günstigen Umständen (Nähe zur Operationsstätte) bei nicht

verzögerter Diagnose eine umgehende operative Therapie

(Embolektomie) lebensrettend sein.

Der Schmerz bei einer Lungenembolie entsteht entweder

zentral-thorakal und durch die akute Dilatation der Arteria

pulmonalis oder lateral und ist dann bedingt durch eine

pleurale Reizung bei sich ausbildendem Lungeninfarkt.

Wichtig für die Diagnose ist die akute Erniedrigung des pO

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in der arteriellen Blutgasanalyse.

Die Gutachterkommission hatte vor einiger Zeit einen zum

Tode führenden Krankheitsverlauf zu beurteilen, der sich

nach den Krankenunterlagen des Hausarztes und der be-

schuldigten Klinik wie folgt darstellte:

Der Sachverhalt

Bei der Patientin wurden imAlter von 60 Jahren eine Sigma-

resektion, in den nachfolgenden Jahren wiederholt Polypek-

tomien und schließlich eine subtotale Colektomie durch-

geführt, nachdem Dickdarmpolypen an Größe und Zahl

wieder zugenommen hatten und im Coecumpol ein Adeno-

karzinom nachgewiesen worden war. Seither unterzog sie

sich im Rahmen der Tumornachsorge regelmäßigen ärztli-

chen Untersuchungen.

Anfang Oktober stellten sich bei der nunmehr 69-jährigen

Patientin starke Schmerzen im Bereich des linken Beines

ein, die zur stationären Behandlung vom 27. Oktober bis

4. November führten. Die Laboruntersuchungen hatten ein

unauffälliges Ergebnis. Radiologisch zeigte sich eine ausge-

prägte Arthrose im Bereich der Intervertebralstrukturen in

den Abschnitten L3/L4 bis L5/S1. Es wurden deshalb CT-

gesteuerte Facetteninfiltrationen mit entzündungshem-

menden und schmerzlindernden Medikamenten appliziert

sowie physiotherapeutische Maßnahmen durchgeführt.

Behandlung durch den Hausarzt

Im Laufe des Monats November wurde die Patientin von ih-

rem Hausarzt, einem Allgemeinmediziner, wiederholt wegen

„anhaltender Schmerzen im linken Bein“ unter anderem

mit „entzündungs-/schmerzlindernden Medikamenten“ be-

handelt. Bei ihrer Vorstellung am 7. Dezember klagte sie

über Kurzatmigkeit. Die Untersuchung ergab eine Herzfre-

quenz von 135 Schlägen pro Minute, einen Blutdruck von

140/80 mmHg, keinen auffälligen Auskultationsbefund

über den Lungen und keine Ödeme. Laborbefunde zeigten

ein Hämoglobin von (angeblich) 7,71 (normal bei Frauen:

12,0–15,0 g/dl) und Erythrozyten von 2,75 (normal: 4,0–

5,2 Mio/µl) bei einer normalen Leukozytenzahl von

6.000 mm

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und eine leicht erhöhte Blutsenkungsgeschwin-

digkeit von 17/38 mm (nach Westergreen).

Am Morgen des 8. Dezember veranlasste der Hausarzt die

stationäre Einweisung mit der Diagnose „Anämie unklarer

Ursache, Vertebralsyndrom bei Osteoporose, Zustand nach

Colektomie wegen Polyposis und Malignom“ unter Angabe

der von ihm bestimmten Laborparameter. Wie sich in der

Klinik schon am nächsten Tag aufgrund von Kontrollunter-

suchungen herausstellte, beruhte die Verdachtsdiagnose

„Anämie“ auf einer fehlerhaften Messung, worüber der

Hausarzt informiert wurde.

Behandlung in der beschuldigten Klinik

Bei der Aufnahmeuntersuchung am 8. Dezember wurden

Schmerzen im linken Bein angegeben und unter anderem

folgende Feststellungen getroffen: „Erhebliche Dyspnoe,

über beiden Lungen Knisterrasseln, rechts mehr als links,

reine Herztöne, keine Geräusche, tastbare Radialis- und

Fußpulse, Wadendruckschmerz beiderseits.“ In den Kran-

kenunterlagen sind die folgenden Anweisungen vermerkt:

Noch am Aufnahmetag wurden zwei EKG registriert, mit

Calcitonin, Truxal, Didronel-Kit-Tabletten, Presomen 0,6,

Antra 20, Tebonin 3 x 40 Tropfen behandelt sowie

Hämokkult-Teste angeordnet. Anderntags sollten eine

Gastroskopie, Abdomensonographie und ein CT der BWS

vorgenommen werden. Verordnet wurden 4 x 30 Tropfen

Novalgin und strenge Bettruhe.

Krankheitsverlauf

Der Blutdruckwert betrug am 8. Dezember 120/80 mmHg

(am 10.12. 100/70, am 12.12. und am Morgen des 13. Dezem-

ber 110/70 mmHg). Das EKG vom 8. Dezember registrierte

gegen 11:02 Uhr unter anderem eine Sinustachykardie von

125 Schlägen pro Minute, einen linksanterioren Hemiblock

und betonte P-Wellen in der Ableitung II. Das bei der Aus-

kultation der Lunge gehörte Knisterrasseln wurde wegen ei-

ner chronischen Bronchitis der Patientin mit Emphysem

Diagnostische Versäumnisse bei einer Lungenarterienembolie

Richtungweisende Symptome nicht beachtet

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Gutachtliche Entscheidungen