

Spontan auftretende oder sich langsam entwickelnde heftige
Schmerzen in der linken Bauchhälfte, die von reflektori-
scher Abwehrspannung, Brechreiz, Erbrechen und bedroh-
lichem Allgemeinzustand begleitet werden, sind Ereignisse
im Sinne eines „akuten Abdomens“, die eine sofortige Dia-
gnostik zur Differenzierung und eine entsprechende Thera-
pie erfordern.
Die Anamnese gibt oft Hinweise. So ist differenzial-diagnos-
tisch an die Möglichkeit eines nach links rupturierenden
Bauchaortenaneurysmas, an eine allerdings seltene so ge-
nannte „Linksappendicitis“ und an eine Perforation von
Dickdarmdivertikeln zu denken. Solche Divertikel entste-
hen erfahrungsgemäß vorwiegend im Bereich des Sigmas
und hier häufiger in multipler Form. Sie sind oft über Jahre
bis Jahrzehnte völlig symptomlos, können aber z. B. im Rah-
men einer stärkeren Obstipation mit vermehrtem Innen-
druck im Colon zu einem entzündlichen Prozess führen.
Eine derartige lokale Divertikulitis kann eine Perforation
verursachen, und zwar entweder in gedeckter Form zur seit-
lichen Bauchwand oder frei in die Bauchhöhle mit der Fol-
ge einer diffusen Peritonitis mit dem klinischen Phänomen
mehr oder weniger „brettharter“ Bauchdecken.
Die Gutachterkommission hatte vor einiger Zeit einen zum
Tode führenden Krankheitsverlauf zu beurteilen, der sich
nach den Krankenunterlagen des Hausarztes und der be-
schuldigten Klinik wie folgt darstellte:
Der Sachverhalt
Die 69-jährige Patientin war seit dem Monat Dezember in
der Behandlung ihres Hausarztes, eines Arztes für Innere
Medizin, und zwar wegen einer Hypertonie, Herzrhythmus-
störungen und eines Diabetes mellitus.
Am 27. Mai des folgenden Jahres wurde dieser Arzt gegen
Mittag um einen Hausbesuch gebeten. Vermerk in der Kar-
teikarte: „Seit heute morgen 9:00 Uhr plötzliche Bauch-
schmerzen, nicht vom Essen abhängig, nichts gegessen,
Übelkeit, kein Erbrechen, kein Fieber“. Der Untersuchungs-
befund lautete: „Akuter Bauch, heftiger Klopfschmerz ins-
besondere im gesamten Unterbauch, Peritonismus, bretthar-
ter Bauch, keine Darmgeräusche auskultierbar, bei Husten
und Bewegung hält die Patientin unwillkürlich mit beiden
Händen den Bauch“.
Der Arzt traf folgende Maßnahmen: „250 ml NaCl und 5 ml
Novalgin intravenös, BZ 204 mg/dl. Sofortige Einweisung“.
Er informierte den diensthabenden Arzt in der Klinik und
äußerte dabei seinen Verdacht auf eine Perforation im Ma-
gen-Darm-Trakt.
Stationäre Diagnostik und Therapie
Um 15:10 Uhr wurde die Patientin in der Chirurgischen Ab-
teilung des beschuldigten Krankenhauses untersucht. Der
Vermerk über die Krankheitsvorgeschichte entspricht der
Karteieintragung des Hausarztes. Ergänzend wurde doku-
mentiert: „... letzte Verdauung gestern, seit einigen Tagen
Obstipation“. In der Befunderhebung heißt es: „Druck-
schmerz Abdomen überall, Darmgeräusche spärlich“.
Die röntgenologische Abdomenübersicht in zwei Ebenen im
Stehen und in der Seitenlage ergab – nach dem niedergeleg-
ten Befund – „... keine freie Luft und kein Spiegel“. Die
Röntgenaufnahmen konnten aus nicht geklärten Gründen
der Gutachterkommission nicht zur Überprüfung der Beur-
teilung vorgelegt werden.
Die Körpertemperatur betrug bei der stationären Aufnahme
38°C, Pulsfrequenz ca. 100/Min., Blutdruck 140/90 mmHg
(um 22:00 Uhr 120/80 mmHg). Blutbild unauffällig, Blut-
zucker mit 233 mg/dl erhöht.Diagnose:„Unklares Abdomen
(Koprostase, Differenzialdiagnose Ileus)“.
Nach Einlegen einer Magensonde wurden 2.000 ml Stero-
fundin infundiert, dabei pro 1.000 ml Flüssigkeit je 2 Am-
pullen Buscopan und 2 Ampullen Tramal hinzugefügt. Ein
Einlauf erbrachte keine Linderung der Beschwerden. Eine
den Krankenunterlagen beigefügte Pflegeanamnese enthält
die Bemerkung: „Patientin kann zur Zeit nicht ausreichend
Fragen beantworten, wegen starker Schmerzen!!!“.
Im weiteren Pflegebericht (ohne Zeitangabe) heißt es: „Pa-
tientin hat sehr starke Schmerzen –Infusion erneuert auf
Anordnung des Arztes mit Schmerzmittel. Ein Klysma hat
nicht geholfen“. Am Abend des 27. Mai klagte die Patientin
weiter über Schmerzen. Die Infusion wurde erneuert. Danach
ging es der Patientin besser und „sie schlief dann. Magen-
sonde abgestöpselt“.Am nächsten Morgen lautete um 10:00
Uhr die ärztliche Eintragung: „Allgemeinzustand deutlich
reduziert; Bauch abwehrgespannt, noch nicht bretthart; keine
Darmgeräusche; Tachykardie; noch deutliche Schmerzen;
Oberarzt informiert; Verdacht auf Miserere; deutliche Ver-
schleimung (Verdacht Aspiration); Urin deutlich konzen-
triert“. Es wurde eine Röntgenkontrolle des Bauchraumes
veranlasst, „die jetzt zahlreiche und vermehrt aufgetretene
Dünndarmspiegel“ erkennen ließ. Nunmehr wurde der Ent-
schluss zur Operation gefasst;wegen der„Nichtansprechbar-
keit“ der Patientin erteilte das Einverständnis der Ehemann.
Operative Behandlung
Die Intubationsnarkose begann um 12:00 Uhr. Es liegen
zwei Operationsberichte vor. In einem Bericht ist als Opera-
teur Dr. A., im zweiten Dr. B. genannt. Als präoperative Dia-
gnose wird von Dr. A. angeführt „perforierte Sigmadiverti-
kulitis“, von Dr. B. „gedeckt perforierte Sigmadivertikulitis
mit kotiger Peritonitis“. Im Operationsbericht von Dr. A.
heißt es nach Eröffnung der Bauchhöhle: „... findet sich ei-
ne nach vorn perforierte Sigmadivertikulitis. Mit lokalisier-
ter Peritonitis hier und viel reichlich, teils fester und flüssi-
ger Stuhl im Bauch, der abgesaugt wird. ...“.
Versäumnisse bei einem „akuten Abdomen“
Bei Schmerzen in der linken Bauchseite an eine perforierende oder bereits perforierte
Divertikulitis im Colon bzw. Sigma denken
Gutachtliche Entscheidungen
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