

Diagnostische Versäumnisse bei akuter Appendizitis
Abschließende Bewertung
Die Gutachterkommission kam zusammenfassend bei der
Bewertung der ärztlichen Versäumnisse zur Feststellung ei-
nes schwerwiegenden, das heißt groben Behandlungsfeh-
lers. Die behandelnden Urologen haben danach elementare
Kontrollbefunde nicht erhoben und anerkannte Überprüfungs-
maßnahmen zur Klärung des bestehenden Krankheitsbildes
vorwerfbar unterlassen. Der entscheidende Behandlungs-
fehlervorwurf trifft nach Auffassung der Kommission nicht
die fehlerhafte Anfangsdiagnose der Urologen, sondern die
in hohem Maße pflichtwidrige Unterlassung von diagnosti-
schen Maßnahmen zur Überprüfung dieser Diagnose, ob-
wohl nach stationärer Aufnahme hierzu unmittelbar Anlass
bestand. Die zwingend gebotene Laparotomie wurde infol-
ge der schwerwiegenden Versäumnisse so entscheidend
verzögert, dass der Tod des Patienten im septischen Schock
infolge Peritonitis nach perforierter Appendizitis nicht
mehr abwendbar war.
Die Feststellung eines „groben“ Behandlungsfehlers im
Sinne der Rechtsprechung kann für die Frage, ob er den ein-
getretenen Schaden verursacht hat, zur Umkehrung der Be-
weislast führen. Das bedeutet, dass in einem solchen Fall
nicht der Patient die Kausalität nachzuweisen hat.Vielmehr
ist es Sache der betroffenen Ärzte, den Nachweis zu führen,
dass der Gesundheitsschaden – hier bedauerlicherweise so-
gar der Tod – nicht eine Folge der ärztlichen Versäumnisse
war, was bei dem geschilderten Sachverhalt kaum gelingen
dürfte.
Ergänzend zum Thema
Vorwerfbare diagnostische Versäumnisse wurden von der
Gutachterkommission bisher in mindestens 64 Fällen fest-
gestellt. Zu beanstanden war vorwiegend die mangelhaft
differenzierende Palpation des Abdomens, die zur deutlich
verspäteten Diagnose führte. Ursächlich war dabei auch
die nicht immer hinreichend beachtete Variabilität des Er-
scheinungsbildes und unterschiedlichen Verlaufs von
Appendicitiden.
Herbert Weltrich und Herwarth Lent
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Gutachtliche Entscheidungen