

Diagnostische Versäumnisse bei einer Lungenarterienembolie
Echokardiographie zum Nachweis oder Ausschluss von
Lungenembolien vorgenommen wurden. Ungeachtet des
sich ständig verschlechternden Krankheitsbildes blieb die
medikamentöse Behandlung unverändert; eine Anpassung
an die aktuelle kardio-pulmonal geprägte Situation wurde
unterlassen.
Besonders beanstandete die Kommission, dass angesichts
der verordneten strikten Bettruhe nicht einmal Heparin zur
Thrombose- bzw. Embolieprophylaxe gegeben wurde. Vor
allem nach Kenntnis der Röntgenbefunde des Thorax ab
11. Dezember mittags hätte eine effektive intravenöse Voll-
heparinisierung erfolgen müssen. Beides versäumt zu ha-
ben, bestätigt die Beurteilung, dass Lungenembolien (die
meist mehrfach auftreten) zu keiner Zeit erwogen wurden.
Dabei sind Luftnot und anhaltende Tachykardie charakteris-
tische Symptome in dieser Richtung. Plötzlich einsetzende
unerklärliche Dyspnoe ist oft sogar das einzige Anzeichen
von Lungenembolien.
Mangelhafte Dokumentation
Nicht klären konnte die Gutachterkommission mangels zu-
reichender Dokumentation, ob die Verlegung der Patientin
auf die Intensivstation rechtzeitig erfolgte und die dort
durchgeführten Maßnahmen sachgerecht waren.
Zusammenfassung
Die Kommission stellte abschließend fest, dass die Behand-
lung in der Klinik schwerwiegend (= „grob“) fehlerhaft war,
weil trotz hinreichender Anzeichen die Diagnose rezidivie-
render Lungenarterienembolien nicht erwogen und selbst
ab 12. Dezember, als die sich verschärfende Atemnot, Rönt-
genbefunde und die persistierende Tachykardie richtung-
weisend waren, nicht nachvollziehbar starr an der Ver-
dachtsdiagnose „Lungenfibrose“ festgehalten wurde, die
zwar, wie oben bereits dargelegt, auch vorgelegen haben
dürfte, aber nicht ursächlich für die akute Symptomatikwar.
Die hier notwendigen diagnostischen und therapeutischen
Maßnahmen, insbesondere auch schon die Thrombose-
beziehungsweise Embolieprophylaxe, wurden vorwerfbar
unterlassen. Die Behandlungsmängel waren nach der Beur-
teilung der Kommission nicht mehr verständlich, weil
grundlegende medizinische Erkenntnisse und Erfahrungen
nicht beachtet und damit die erforderliche Sorgfalt in ho-
hem Maße verletzt wurden.
Die Kommission war weiter der Auffassung, dass die ärzt-
lichen Versäumnisse „mit Wahrscheinlichkeit“ zum Tode
der Patientin geführt haben. Jedenfalls hätte sie bei sachge-
rechter Thromboseprophylaxe, rechtzeitiger Diagnose und
Therapie der durch Obduktion nachgewiesenen linksseitigen
Unterschenkelvenenthromben und nachfolgenden Lungen-
arterienembolien eine reelle Überlebenschance gehabt.
Die Feststellung eines „groben“ Behandlungsfehlers im Sin-
ne der Rechtsprechung kann für die Frage, ob er den einge-
tretenen Schaden verursacht hat, zur Umkehrung der Be-
weislast führen. Das bedeutet, dass in einem solchen Fall
nicht der Patient die Kausalität nachzuweisen hat.Vielmehr
ist es Sache der betroffenen Ärzte, den Nachweis zu führen,
dass der Gesundheitsschaden – hier sogar der Tod – nicht ei-
ne Folge der ärztlichen Versäumnisse war, was bei dem ge-
schilderten Sachverhalt nicht gelingen dürfte.
Herbert Weltrich und Herwarth Lent
Anmerkung
In einer sehr ausführlichen Zuschrift äußerte sich ein Facharzt für
Innere Medizin eingehend zu der Begründung der Kommissionsent-
scheidung, die er im Ergebnis – grob fehlerhafte Behandlung in der
Klinik – für zutreffend hält. Er vermisst vor allem, dass die Kommis-
sion sich nicht näher mit den aktuellen Leitlinien (Mai 2002) be-
fasst habe.
In der Antwort wurde zum Ausdruck gebracht, dass sich der Sach-
verhalt im Jahre 1999 ereignet habe und zu diesem Zeitpunkt die
genannten Leitlinien noch nicht veröffentlicht gewesen seien. Im
Übrigen sei es die Intention der Veröffentlichung von Kommissi-
onsentscheidungen, den Lesern anhand geeigneter Einzelfälle dar-
zulegen, was die Gutachterkommission für vorwerfbar fehlerhaft
hält und unter welchen Umständen von einem schwerwiegenden
(groben) Behandlungsfehler gesprochen werden muss. Die Gutach-
terkommission sehe es nicht als ihre Aufgabe an, eine allgemeine
Diagnostik – hier der Lungenembolie – darzustellen. Das sei Sache
der zuständigen Fachgesellschaften und der Fachzeitschriften.
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Gutachtliche Entscheidungen