

Diagnostische Versäumnisse bei einer Lungenarterienembolie
Gutachtliche Entscheidungen
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bei angeblichem Nikotinabusus für eine Lungenfibrose ge-
halten. Zur Abklärung der Fibrose sollte die Patientin am
14. Dezember in eine Lungenklinik verlegt werden.
Zunehmende Dyspnoe
Noch am Aufnahmetag meldete sich die Patientin gegen
23:00 Uhr wegen fortbestehender Atemnot. Sie erhielt des-
wegen 2 l Sauerstoff pro Minute. Gegen 03:30 Uhr waren
Atemnot und Tachykardie nicht günstig beeinflusst. Da-
nach „EKG-Kontrolle und Medikamente“ (hierüber keine
weiteren Eintragungen).Vermerk um 05:00 Uhr:„Patientin
schläft wieder unter O
2
-Gabe“.
Am 9. Dezember, 13:00 Uhr:„Patientin war vormittags noch
sehr luftnötig (Ruhe und Belastung), O
2
-Gabe, danach Bes-
serung“.
Blutgasanalysen (BGA) am 9.oder 10. Dezember (das genaue
Datum war nicht zu ermitteln) ergaben: pCO
2
28,7 (Norm-
bereich: 35–45), pO
2
51,5 (Normbereich: 80–100) mmHg.
Hierzu ist ein Vermerk über eine Äußerung der zuständi-
gen Oberärztin dokumentiert: „Keine weitere Diagnostik
bezüglich einer Embolie, BGA passt zur Fibrose.“
Am 10. Dezember, 03:30 Uhr: „Zunehmende Dyspnoe seit
gestern Abend, dauerndes Druckgefühl“. Das EKG zeigt um
03:45 Uhr eine Tachykardie von 117 Schlägen pro Minute,
weiterhin betonte P-Wellen vor allem in II und AVF und ein
R’ in V I.
Am 11. Dezember ergaben vormittags Röntgen-Aufnahmen
in zwei Ebenen: „Im Vergleich zur Aufnahme vom 8. De-
zember erscheint das Herz allenfalls diskret breiter, liegt mit
dem Querdurchmesser im oberen Normbereich. Diskrete
Zunahme der Stauung, wobei einzelne rundliche Verdich-
tungsstrukturen im Bereich beider Lungen höchstwahr-
scheinlich orthograd getroffenen Gefäßen entsprechen
dürften. Kurzfristige Kontrolle nach Besserung der kardio-
pulmonalen Dekompensation empfohlen.“
Am 12. Dezember (Sonntag): In den frühen Morgenstunden
verschärft sich die Atemnot. Die Tachykardie beträgt bis
130 Schläge pro Minute. Es wurden zusätzlich 1 Tbl. Lasix
®
40 mg und 15 Tropfen Atosil
®
verordnet.
Am 13. Dezember: Den ganzen Vormittag über erhält die
Patientin O
2
-Gaben. Unter der Luftnot kann sie „schlecht
essen und trinken“. Neben einer Computertomographie des
Thorax (Beurteilung u. a.: „Hinweis auf eine chronische
Stauungsfibrose. Obere Einflussstauung? Einzelne, grenz-
wertig große Lymphknoten in der Thoracia interna-Gruppe
links sowie axillär links. Arteriosklerose. Keine tumorsus-
pekten Strukturen.“) wurde gegen 12:10 Uhr eine weitere
Blutgasanalyse durchgeführt.
Sie ergab einen pCO
2
von 23,5 mmHg und ein pO
2
von
49,7 mmHg, somit erheblich erniedrigte Werte für beide
Blutgase, wie sie bei ausgeprägten Lungenembolien beobach-
tet werden. Kontrollmessungen unter Sauerstoffgabe zeig-
ten am selben Tag um 16:17 Uhr und 20:51 Uhr leicht ver-
besserte, aber nach wie vor erniedrigte Werte für pO
2
und
pCO
2
.Wegen der Verschlimmerung der Dyspnoe wurde die
Patientin noch am 13. Dezember auf die Intensivstation ver-
legt, wo sie am frühen Morgen des 14. Dezember verstarb.
Der genaue Zeitpunkt der Verlegung und die Art der auf der
Intensivstation getroffenen therapeutischen Maßnahmen
sind nicht dokumentiert. Im Intensivpflegeverlaufsproto-
koll ist unter dem 14. Dezember stichwortartig notiert:
„07:00 bis 07:50 Uhr kardio-pul. Reanimation erfolglos ab-
gebrochen bei elektromechanischer Entkoppelung.“
Obduktionsergebnis
Die am 14. Dezember vorgenommene Obduktion ergab Fol-
gendes: „Ausgedehnte, zum Teil nicht mehr frische throm-
botische Lichtungsverschlüsse der tiefen Wadenvenen
(links).Weitgehende Verlegung der Pulmonalarterienhaupt-
stämme und der Lappenarterien beiderseits durch zum Teil
wandadhärente und in bindegewebiger Organisation ste-
hende Thrombenembolie. Beginnender hämorrhagischer
Lungeninfarkt im Bereich des rechten Unterlappens. Akute
Dilatation der rechtsseitigen Herzhöhlen. Akute Leberstau-
ung. Stauungsblutfülle der inneren Organe. Erosive hämor-
rhagische Enteritis.“ Hinweise auf ein Rezidiv des klinisch
bekannten Coecumkarzinoms und auf eine „Lungenfibro-
se“ wurden nicht gefunden.
Gutachtliche Beurteilung
Die zur stationären Einweisung führende Verdachtsdia-
gnose „Anämie“ wurde noch am Aufnahmetage berichtigt
und der Hausarzt richtigerweise sogleich unterrichtet, auch
um zukünftige Fehlmessungen zu vermeiden.
Die schon vom Hausarzt festgestellte und in der Klinik be-
stätigte „erhebliche Dyspnoe“ nahm am späten Abend und
in der Nacht weiter zu, so dass Sauerstoff zugeführt werden
musste. Auch die Tachykardie hielt an. Klinisch und röntge-
nologisch ergaben sich anfangs keine Befunde, die die zu-
nehmende Dyspnoe und anhaltende Tachykardie erklärten.
Unter diesen Umständen wäre eine Echokardiographie dia-
gnostisch angezeigt gewesen.Von dieser Möglichkeit wurde
auch im weiteren Verlauf kein Gebrauch gemacht. Die erst
am 9. oder 10. Dezember – das genaue Datum ist ungeklärt –
durchgeführte Blutgasanalyse ergab eine deutliche Vermin-
derung von pO
2
und pCO
2
und damit eine Befundkonstel-
lation wie bei ausgeprägten Lungenembolien.
Zu diesem Zeitpunkt hätten schon differenzialdiagnostische
Erwägungen zur Abklärung einer Lungenembolie führen
müssen. Der Befund wurde fehlerhaft ausschließlich im
Sinne „passend zur Lungenfibrose“ interpretiert.
Schwerwiegende diagnostische Unterlassungen
Obwohl die Dyspnoe zunahm, die Tachykardie anhielt und
der Röntgenbefund des Thorax vom 11. Dezember eine „Zu-
nahme der Stauung“ und „einzelne rundliche Verdichtungs-
strukturen im Bereich beider Lungen“ ergab, wurde auch
mittags eine – nunmehr naheliegende – Lungenarterien-
embolie noch nicht in Erwägung gezogen.
Für die Gutachterkommission war es unverständlich, dass
auch in diesem Zeitpunkt nicht nach einer Phlebothrombo-
se gefahndet und kein Lungenszintigramm und/oder keine