Sind die Herausforderungen für junge Fußball-
Profis heute größer als vor zehn Jahren?
Es ist der Lauf der Zeit, dass es Veränderun-
gen gibt. Der Hauptunterschied ist sicher,
dass die Ungeduld der jungen Spieler heute
viel größer ist. Sie sehen, dass andere mit
18 oder 19 in ihrem Verein schon voll inte-
griert sind, Einsatzzeiten in der Bundesliga
bekommen. Als ich so jung war, war es au-
ßergewöhnlich, wenn ein Spieler schon mit
18 Jahren für Furore sorgte. Ich kann mich
eigentlich nur an Sebastian Deisler erinnern.
Wie ist es zu diesen Veränderungen gekommen?
An der Ausbildung im Nachwuchsbereich
wurde in den vergangenen Jahren intensiv
gearbeitet. Sie ist
sehr viel besser ge-
worden. Dadurch
sind die Spieler mit
18, 19 Jahren heute
schon viel weiter
entwickelt, fassen
schneller in der Bun-
desliga Fuß. Und
erreichen vielleicht
das beste Fußbal-
leralter auch schon etwas früher, mit etwa
27, 28 Jahren, statt mit 31, 32.
Soll das heißen, dass du das beste Fußbal-
leralter schon hinter dir hast?
(lacht)
Ich denke nicht. Ich fühle mich
sehr gut und fit – das ist das Entscheiden-
de. Wenn ich merken würde, dass ich im
Training nicht mehr hinterherkomme, dann
würde ich mir Gedanken machen.
Du bist eines der Gesichter des SV Werder.
Was ist dir wichtig, wenn du den Verein nach
außen darstellst?
Am wichtigsten ist mir, immer ich selbst zu
sein, mich nicht zu verstellen. Und der SV
Werder hat tatsächlich etwas Familiäres im
positiven Sinne, zeichnet sich in allen Berei-
chen durch starken Zusammenhalt aus. Und
das sollte man auch nach außen tragen.
Fällt es dir immer leicht, vor Kameras zu tre-
ten, dich zu stellen?
Es gibt Tage, an denen man mit dem fal-
schen Bein aufsteht. Das kann ich auch bei
mir nicht verhindern. Auch ich komme mal
etwas schlechter gelaunt ins Stadion. Ich
weiß, dass es zu meiner Arbeit gehört, mich
zu stellen. Aber ich denke, dass es auf der
Gegenseite, bei den Medien, auch Verständ-
nis dafür gibt, wenn man mal nicht sprechen
und zu einem Thema nicht Stellung bezie-
hen will. Denn ich finde, dass man nicht zu
allem ‚seinen Senf dazugeben‘ muss.
Seit 2006 spielst du bei Werder. Warum passt
es so gut zusammen?
Ich hatte viele tolle Momente bei Werder,
habe hier meine ersten Champions-League-
Erfahrungen gesammelt. Wir haben den
DFB-Pokal gewonnen, das UEFA-Pokal-
Finale erreicht. Ich bin hier Nationalspieler
geworden. Das sind Erlebnisse, die einen mit
dem Verein verbinden. Ich spüre das Vertrau-
en des Trainers. Werder ist in ganz Deutsch-
land anerkannt. Ich
fühle mich in Bre-
men sehr, sehr wohl.
Es gab keinen Grund
für mich, mich zu
verändern. Ich bin
nach wie vor von der
Philosophie des Ver-
eins überzeugt und
auch davon, dass wir
wieder Erfolg haben
werden. Dass wir in den kommenden Jahren
wieder dahin kommen, wo wir uns alle se-
hen wollen.
Also in den internationalen Wettbewerb?
Davon gehe ich fest aus. Deshalb habe ich
bei Werder verlängert. Ich sehe hier großes
Potenzial. In dieser Saison laufen wir unse-
rem Ziel noch etwas hinterher. Aber ich habe
schon vor Saisonbeginn gesagt: Wenn wir
in den ersten Monaten zumindest in Lauer-
stellung zu den internationalen Plätzen sind,
dann ist das positiv. Vergangene Saison stan-
den wir mehr als 25 Spieltage auf einem in-
ternationalen Platz, sind dann am Ende noch
rausgerutscht aus diesen Rängen. Ich hoffe,
dass es dieses Mal umgekehrt sein wird.
Und wenn es zwischen Werder und dir irgend-
wann nicht mehr passen sollte?
Es gibt immer Momente im Leben, in denen
sich Wege trennen. Und wenn es mich ir-
gendwann woanders hin verschlagen sollte,
dann ist es so. Ich bin nicht mehr der Jüngs-
te. Ich weiß, dass meine Zeit als Fußballer
begrenzt ist.
Frank Baumann ist seit kurzem Direktor Profifuß-
ball und Scouting. Beeindruckt dich sein Weg?
Beeindruckt ist ein bisschen zu viel gesagt.
Denn ich habe ihm diesen Weg zugetraut. Er
hat viele Jahre die Mannschaft als Kapitän
geführt, ist ein sehr in sich ruhender Mensch,
der seine Aufgaben konsequent anpackt und
konzentriert daran arbeitet, der immer sei-
nen Weg verfolgt. Es überrascht mich nicht,
dass er in seinem neuen Job genau so gute
Arbeit abliefert wie früher als Fußballer.
Tim Borowski absolviert in den nächsten 18
Monaten ein Trainee-Programm in der Ge-
schäftsstelle des SV Werder...
Es ist toll, dass der Verein eine solche Mög-
lichkeit bietet. Wenn Profis ihre Karriere be-
enden, hat der Fußball einen enorm großen
Teil ihres Lebens bestimmt. Dann ist es klas-
se, wenn man die Chance hat, im Fußball zu
bleiben. Sicher ist nicht jeder dafür geeignet,
ein solches Trainee-Programm zu absolvie-
ren. Dass Tim dieses Angebot bekommen
hat, ist eine Bestätigung seiner Persönlich-
keit und seiner bisherigen Arbeit für Werder.
Im vergangenen Jahr sorgten auch die Angriffe
auf Kevin Pezzoni vom 1. FC Köln für negati-
ve Schlagzeilen. War das Thema in der Mann-
schaft?
Na klar, denn so etwas könnte jeden von uns
treffen. Gewalt hat im Fußball überhaupt
nichts zu suchen. Ich finde es wichtig, dass
man sich als Familienvater, wenn man am
Wochenende ins Stadion geht, sicher füh-
len kann. Dass es keine Ausschreitungen
gibt. Ich bin froh, dass wir in Bremen eine
Fankultur haben, die nicht von Aggressivität
geprägt ist. Ich erinnere mich vor allem an
das Gespräch mit den Fans vor zwei Jahren,
als wir vom 0:4 in Hamburg zurückkamen,
einige an der Rampe zum Weser-Stadion den
Bus anhielten, um mit uns zu sprechen. Es
war ein sehr ehrlicher und positiver Aus-
tausch, völlig ohne Aggressivität. Das ist der
richtige Weg, um gemeinsam weiterzukom-
men und erfolgreich zu sein.
In der Hinrunde haben die Fans bundesweit bei
einigen Spielen 12 Minuten und 12 Sekunden
geschwiegen, um ihren Protest gegen den Um-
gang mit dem neuen Sicherheitskonzept der
DFL auszudrücken. Ging das zu weit?
Die Fans haben das Recht, ihre Meinung zu
äußern. Und wenn sie dafür eine solche Art
des Protests wählen, dann kann ich das verste-
hen. Gegen Leverkusen saß ich auf der Bank,
nachdem ich meine Verletzung auskuriert
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INTERVIEW
„Am wichtigsten
ist mir, immer
ich selbst
zu sein.“