

Ärztekammer
Nordrhein
Jahresbericht 2015
| 19
Kammerversammlung
E-Health: Versichertenstammdaten-
dienst streichen – Patientenzentrierte
medizinische Anwendungen fördern!
Die Kammerversammlung der Ärztekammer
Nordrhein unterstreicht das Interesse der
Ärzteschaft an einer sicheren elektronischen
Vernetzung untereinander sowie mit anderen
an der Gesundheitsversorgung Beteiligten.
Das geplante Gesetz für sichere digitale Kommu-
nikation und Anwendungen im Gesundheits-
wesen („E-Health-Gesetz“) soll dazu dienen,
durch schnellen und gut organisierten Infor-
mationsaustausch die Qualität der Patienten-
behandlung zu verbessern sowie die Abläufe in
Praxis und Klinik zweckmäßiger zu gestalten.
Der Referentenentwurf des Gesetzes enthält
jedoch Regelungen, die der Überarbeitung
bedürfen:
1. Versichertenstammdatendienst
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Vertrags-
ärzte entgegen ihrem erklärten Willen diese
originären Verwaltungsaufgaben der Kranken-
kassen übernehmen sollen. Mittels eines Online-
Verfahrens soll in der Arztpraxis abgeglichen
werden, ob die auf der elektronischen Gesund-
heitskarte gespeicherten Versichertendaten
aktuell sind und die elektronische Gesundheits-
karte noch gültig ist.
Vertragsärzten, die ab dem 1. Juli 2018 keine
Versichertenstammdatenprüfung vornehmen,
droht eine Honorarkürzung in Höhe von 1 Pro-
zent.
Die Verpflichtung der Ärzteschaft zur Übernah-
me einer originären Aufgabe der Krankenkassen
mit der Androhung einer scharfen Sanktion zu
verbinden, schwächt die ohnehin geringe Ak-
zeptanz der Telematik-Infrastruktur erheblich.
Es handelt sich um einen erheblichen Eingriff in
das professionelle Handeln eines freien Berufes
und eine weitere Belastung der Arztpraxis mit
staatlicher Bürokratie.
Die Kammerversammlung fordert, die Ver-
pflichtung der Ärzte zur Durchführung des
Versicherten-Stammdatenmanagements gänz-
lich zu streichen.
2. Förderung medizinischer Anwendungen
Der vom Gesetzgeber 2003 eingeleitete Aufbau
einer Telematik-Infrastruktur im Gesundheits-
wesen macht nur Sinn, wenn dabei medizinisch
sinnvolle Anwendungen zum Nutzen der Pati-
enten im Mittelpunkt stehen − zum Beispiel ein
Medikationsplan oder der Notfalldatensatz auf
der elektronischen Gesundheitskarte.
Sowohl für chronisch kranke Patienten als auch
bei Notfällen ist ein Medikationsplan sinnvoll,
um sowohl Arzneimittelinteraktionen zu mini-
mieren als auch den Patienten einen besseren
Überblick über ihre notwendigen Medikationen
zu geben. Dies sollte die Compliance deutlich
verbessern. Eine Untergrenze von 5 Medikamen-
ten, die zur Erstellung eines Medikationsplanes
führen soll, erscheint nicht sinnvoll. Die Selbst-
medikation muss mit einbezogen werden.
Um die positiven Effekte eines Medikationspla-
nes und des Notfalldatensatzes auf die Patien-
tenversorgung in Patientenverantwortung mög-
lichst zügig nutzen zu können, ist eine Anschub-
finanzierung notwendig. Die Kammerversamm-
lung fordert, die bedarfsgerechte Entwicklung
medizinischer Anwendungen zu fördern und eine
bessere Patientenversorgung in den Mittelpunkt
der Telematik-Entwicklung zu rücken, nicht aber
Verwaltungsfunktionalitäten.
3. Evaluation der Tests
Nach Angaben des GKV-Spitzenverbandes haben
die Kassen bereits fast eine Milliarde Euro aus
Beitragsgeldern in das Telematikprojekt ge-
steckt. Weitere unnötige Geldausgaben können
nur vermieden werden, wenn innerhalb der
Ärzteschaft eine ausreichende Akzeptanz ge-
schaffen wird:
• Unreife und praxisuntaugliche telematische
Anwendungen, die den Ablauf in Praxis und
Krankenhaus stören, müssen ausgeschlossen
sein.
• In Nordrhein-Westfalen hat die Ärzteschaft die
Einrichtung eines Ärztlichen Beirats erreicht.
Dieser begleitet die Tests und spricht Empfeh-
lungen aus. Der Beirat leistet einen wesent-
lichen Beitrag dazu, die Telematik-Anwen-
dungen frühzeitig und ergebnisoffen intensiv
auf ihre Praxistauglichkeit hin zu prüfen und
die Interessen von Patienten und Ärzten zu
wahren. So ist auf Vorschlag der Ärzteschaft
auch eine sogenannte „Stand-Alone-Lösung“
vorgesehen, sodass Ärztinnen und Ärzte
Daten auch ohne direkte Online-Anbindung
der Praxisverwaltungssysteme abgleichen
können. Die Kammerversammlung fordert,
dass der Gesetzgeber für jede Anwendung
eine Evaluation der Tests in den Regionen zur
Voraussetzung macht, sodass nur nachweislich
erfolgreiche Anwendungen flächendeckend
eingeführt werden dürfen.
4. Arztbriefschreibung
Arztbriefe unter Vertragsärzten sowie zwischen
Vertragsärzten und Krankenhausärzten sind
für die Qualität der Versorgung von großer
Bedeutung.
Dasselbe gilt für den elektronischen Entlass-
brief, der nichts anderes als ein vorläufiger
Arztbrief ist, welcher am Tag der Entlassung
mit den bis dahin vorhandenen Informationen
ausgestellt werden kann. Er muss strukturell
und technisch genauso ausgestaltet sein wie der
elektronische Arztbrief.
Die Kammerversammlung fordert sowohl für
den elektronischen Arztbrief als auch für den
Entlassbrief, dass deren Inhalte, Struktur und
technische Spezifikationen nur unter verbind-
licher Mitwirkung auch der Bundesärztekammer
als der einzigen sektorenübergreifenden Vertre-
tung der Ärztinnen und Ärzte entwickelt werden
dürfen. Die Empfehlung des Ärztlichen Beirats
NRW („Anforderungen an den elektronischen
Arztbrief aus ärztlicher Sicht“, verfügbar unter
www.aekno.de)ist dabei zu beachten.
5. Schutz der Patientendaten
Die ärztliche Schweigepflicht ist kein Arztprivi-
leg, sondern ein Patientenrecht. Wenn moderne
Telekommunikations- und Informationstech-
nologie den Alltag in Klinik und Praxis immer
stärker durchdringt, so ist es ärztliche Aufgabe,
zum Schutz des Patienten auf einen hinreichen-
den Schutz der Patientendaten zu bestehen.
Die Kammerversammlung besteht darauf, dass
alle Komponenten der Telematik-Infrastruktur
vom Bundesamt für Sicherheit in der Informa-
tionstechnik geprüft und zertifiziert werden
müssen.
Jede geplante Anwendung muss einer Nutzen-
analyse unter Berücksichtigung der Patient-
Arzt-Beziehung, der Kosten und der Risiken
unterzogen werden.
6. Testung dezentraler Speichermedien
in der Hand des Patienten
Gemäß der gültigen Beschlusslage Deutscher
Ärztetage und weiterer ärztlicher Gremien for-
dert die Kammerversammlung der Ärztekammer
Nordrhein, dezentrale Speichermedien in der
Hand des Patienten, alternativ zu einer zentra-
len Telematik-Infrastruktur mit ihren bekannten
Datenschutzrisiken, ergebnisoffen zu testen.
Kommunikationsüberwachung
von Ärzten
Im Zuge des geplanten Antikorruptionsgesetzes
für Gesundheitsberufe wird die Ermöglichung
einer Telekommunikationsüberwachung von
Ärzten und Arztpraxen diskutiert. Die Kammer-
versammlung der Ärztekammer Nordrhein erteilt
solchen Überlegungen eine klare Absage.
Die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen
Ärzten und insbesondere zwischen Ärzten
und Patienten muss geschützt bleiben. Die
Möglichkeit, solche Gespräche zu überwachen,
würde das für die Behandlung notwendige
Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient
empfindlich beeinträchtigen.
Der Vorstand der Ärztekammer Nordrhein
wird aufgefordert, jeglichen Tendenzen zur
Kommunikationsüberwachung von Ärzten mit
den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln ent-
gegen zu treten.
Entschließungen der Kammerversammlung