

20 |
Jahresbericht 2015
Ärztekammer
Nordrhein
Kammerversammlung
Direktausbildung zum psycholo-
gischen Psychotherapeuten
In der Diskussion über die psychotherapeu-
tische Aus- und Weiterbildung bekräftigt die
Kammerversammlung der Ärztekammer Nord-
rhein ihre Ablehnung und die ablehnende
Haltung der Bundesärztekammer, eine Direkt-
ausbildung zum psychologischen Psycho-
therapeuten zu institutionalisieren.
Versorgungsstärkungsgesetz:
Chancen zur Verbesserung nutzen
Die Kammerversammlung sieht sich durch die
Diskussion in den letzten Monaten in ihren
Forderungen nach Änderungen am Entwurf des
GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes bestätigt.
Änderungen an diesem Gesetzentwurf sind
noch möglich. Die Kammerversammlung ruft
insbesondere dazu auf:
1. auf bürokratische und ungeeignete Maß-
nahmen wie
Terminservicestellen
und die
kontraproduktive Soll-Regelung zum A
ufkauf
von Arztpraxen
zu verzichten. Stattdessen ist
eine Analyse des tatsächlichen Versorgungsbe-
darfs erforderlich. Denn die gegenwärtig in der
Planung verwendeten Parameter bilden weder
im ambulanten noch im stationären Sektor die
eigentliche Zielgröße „Bedarf“ angemessen
ab. Der tatsächliche Versorgungsbedarf muss
auch Grundlage für die Entscheidung über die
in der „Sonderregion Ruhrgebiet“ geltenden
abweichenden Verhältniszahlen sein.
2.
Regresse
endlich vollständig abzuschaffen
und damit ein klares Zeichen für die Attraktivi-
tät der ambulanten ärztlichen Tätigkeit und die
freiberufliche Orientierung am Patientenwohl
zu setzen.
Umfassende wirtschaftliche (Regress) und recht-
liche (Strafanzeige) Verantwortlichkeit eines
Einweisers kann es aufgrund der vielschichtigen
Beziehungsebenen (räumliche Zuordnung, Ka-
pazität, Dringlichkeit, Kompetenz etc.) niemals
geben und ist somit im besonderen Vertragsver-
hältnis Arzt-Patient auch nicht darstellbar.
Das sozialtechnische Instrument der Prüfungen
besonders auf Grundlage von Durchschnittsver-
gleichen hat zur Folge, dass der Arzt in seiner
Verordnungsweise ständig unter Druck gesetzt
wird, gerade nicht unabhängig im Sinne des ein-
zelnen Patienten zu handeln, wie es nach ärztli-
chem Ethos und Berufsordnung geboten wäre.
3. dem Vorschlag des Bundesrates zu folgen
und bereits mit Wirkung zum 1. Januar 2016
einen basiswirksamen
Ausgleich für unbegrün-
dete Unterschiede in der durchschnittlichen
morbiditätsorientierten Gesamtvergütung
je
Versicherten vorzunehmen. Patientinnen und
Patienten in Nordrhein haben das Recht, nicht
schlechter gestellt zu werden als Patienten in
anderen Bundesländern.
4. das vorgesehene
„Fallmanagement“ der
Krankenkassen bei Arbeitsunfähigen
nicht
einzuführen. Eine unmittelbare Intervention der
Krankenkassen in den Behandlungsprozess, wie
es der Gesetzentwurf vorsieht („Hilfestellung
durch die Krankenkasse, welche Leistungen und
unterstützende Angebote zur Wiederherstel-
lung der Arbeitsfähigkeit erforderlich sind“),
ist im Interesse der betroffenen Patientinnen
und Patienten abzulehnen. Es verletzt die
Rechte der Patienten auf eine geschützte Arzt-
Patienten-Beziehung. Die mit der vom Kabinett
beschlossenen Fassung vorgesehene schrift-
liche Zustimmung des Versicherten löst dieses
Problem nicht.
5. bei der Krankenhausentlassung die von der
nordrheinischen Ärzteschaft geforderte gesetz-
liche Festschreibung und Finanzierung der bis-
her schon bewährten Mitgabepraxis zu verwirk-
lichen. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Rege-
lung zur Ausstellung von Rezepten birgt Risiken
für die
Arzneimitteltherapiesicherheit
, weil
sie zu zusätzlichen Medikamentenwechseln,
Doppelmedikation durch Patienten aus eigenem
Bestand und einem verspäteten Aufsuchen des
weiterbehandelnden Arztes führen kann.
6. die vorgesehenen
psychotherapeutischen
Sprechstunden
verpflichtend mit der Nutzung
spezifisch ärztlicher Kompetenzen zu verbinden.
Die Erkenntnis, dass in der Patientenversorgung
die Bereiche „Leib“ und „Seele“ nicht getrennt
betrachtet werden dürfen, gehört zu den großen
Errungenschaften der letzten Jahrzehnte. Sie
muss auch für das neue Instrument der psycho-
therapeutischen Sprechstunden leitend sein.
Eine offene psychotherapeutische Sprechstunde
für unselektierte Patienten durch psycholo-
gische Psychotherapeuten und Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeuten darf es im Inte-
resse der Patientensicherheit nicht geben. Denn
nur Ärzte verfügen über die somatische, die
pharmakologische und die sozialmedizinische
Aus- und Weiterbildung zur sicheren und für die
ganzheitliche Patientenversorgung erforderli-
chen Ausgestaltung einer solchen Sprechstunde.
Die Kammerversammlung lehnt ab:
7. die geplante
Änderung in
§ 79 b SGB V
zur
Besetzung des Beratenden Fachausschusses Psy-
chotherapie
, wonach dieser mit 5 überwiegend
psychotherapeutisch tätigen Ärztinnen/Ärzten
und 1 überwiegend psychotherapeutisch tätigen
Ärztin/Arzt für Kinder- und Jugendmedizin zu
besetzen sei. Das Überwiegen psychotherapeu-
tischer Tätigkeit schließt eine breite Gruppe
von Ärztinnen und Ärzten aus, die integrativ
somatisch-medizinisch und psychotherapeu-
tisch tätig sind.
Die Kammerversammlung der Ärztekammer
Nordrhein bittet den Vorstand, die ihm zur
Verfügung stehenden Einflussmöglichkeiten
zu nutzen, um eine Korrektur dieses Gesetzes-
textes zu bewirken mit der Formulierung:
„Die Vertreter der Ärztinnen und Ärzte müssen
auch psychotherapeutisch tätig sein, darunter
soll eine Ärztin/ein Arzt sein, die/der die Kinder-
und Jugendmedizin vertritt“.
Praxis und Klinik in Nordrhein
stehen Seite an Seite
Das Ärztebündnis Nordrhein fordert die Ärzte-
kammer Nordrhein auf, sich für den Erhalt der
flächendeckenden ambulanten, wohnortnahen
Versorgung durch Haus- und Fachärzte einzuset-
zen, die durch das
Versorgungsstärkungsgesetz
(GKV-VSG)
gefährdet ist.
Die Ärztekammer Nordrhein möge die Folgen
des Gesetzes gegenüber den Vertretern der
Lokalpolitik erläutern und auf den Ernst der
Lage aufmerksam machen.
Das Ärztebündnis Nordrhein weist auf die Fol-
gen für Städte, Kommunen und Kreise hin: Das
Versorgungsstärkungsgesetz hat unmittelbare,
lokale und regionale Konsequenzen für die
Versorgung der Patienten. Die Folgen des Ge-
setzes sind geeignet, die Lebensqualität und
die Attraktivität der nordrheinischen Städte,
Gemeinden und Landkreise erheblich zu
mindern:
• der geplante Praxisaufkauf dünnt die haus-
und fachärztliche Versorgungslandschaft aus,
• weniger Praxen bedeuten weniger Anlauf-
stellen für zu vergebende Termine,
• die Kliniken selbst arbeiten an der personellen
Kapazitätsgrenze, sodass sie für zusätzliche
Aufgaben nicht gerüstet sind,
• die Terminservicestellen – die auch aus
anderen Gründen in der Kritik stehen – können
mangels ausreichender Praxiskapazitäten vor
Ort nicht im Sinne der ambulanten Versor-
gung arbeiten, sondern müssen die Patienten
schneller in die Klinikambulanzen überweisen.
Dies sind Folgen, die die Versorgungssicher-
heit und die Lebensqualität in Nordrhein aus
Patientensicht einschränken. Dies kann nicht im
Interesse funktionierender Gemeinwesen sein.
Praxen und Kliniken in Nordrhein stehen hier
Seite an Seite. Beide sind nicht bereit, die nega-
tiven Folgen des Versorgungsstrukturgesetzes
zu tragen und sich gegeneinander ausspielen
zu lassen.
Entschließungen der Kammerversammlung