Arbeitsrechtler in Ost und West –
90. Geburtstag von Dr. Dirk Neumann
A
m 26. April 2013 feiert der ehemalige
Vizepra¨sident des BAG
Dr. Dirk
Neumann
seinen 90. Geburtstag. Er ist und
bleibt einer der bedeutendsten deutschen
Arbeitsrechtler in Ost und West. Das ha¨ngt
mit seiner Biografie zusammen.
Nach Richterta¨tigkeiten am Arbeits-
gericht Ko¨ln und LAG Du¨sseldorf kam
Neu-
mann
1965 als Bundesrichter ans BAG in
Kassel, wo er den fu¨r Tarifstreitigkeiten zu-
sta¨ndigen Vierten Senat leitete und vom
1. 2. 1986 an zusa¨tzlich Vizepra¨sident war.
Als der in Glauchau Geborene – der den
sa¨chsischen Dialekt und die Verbundenheit
zur Heimat nie verleugnete – am 11. 5.
1990 als 67-Ja¨hriger in den Ruhestand ver-
abschiedet wurde, sagte er: „Ich habe nie
die Absicht gehabt, Vizepra¨sident des BAG
zu werden; mein gro¨ßter Wunsch war es,
Pra¨sident des LAG Sachsen zu werden“.
I
ntegration der neuen
Bundesla¨nder
Dieser Traum sollte bald in Erfu¨llung ge-
hen: Beim Bemu¨hen, das Rechtssystem der
Bundesrepublik auf das vereinigte Deutsch-
land auszudehnen, wurden erfahrene und
sensible Richter aus dem Westen ge-
braucht. Nur sie konnten der durch Mani-
pulierung des Rechts wa¨hrend der DDR-Zeit
verunsicherten Bevo¨lkerung das Gefu¨hl ge-
ben, dass ku¨nftig nach gewissenhafter Pru¨-
fung unparteiisch entschieden wu¨rde. Es
war ein Glu¨cksfall, mit
Dr. Neumann
einen
hervorragenden Sachkenner mit großem
Einfu¨hlungsvermo¨gen in die aktuellen Pro-
bleme seiner sa¨chsischen Landsleute reak-
tivieren zu ko¨nnen.
Am 1. 10. 1991 zum Richter am Bezirks-
gericht Leipzig ernannt, baute er mit viel
Engagement die Arbeitsgerichte in sechs
sa¨chsischen Sta¨dten auf; am 1. 7. 1992
wurde er Pra¨sident des LAG in Chemnitz.
Wenn schon wenige Jahre nach der Wie-
dervereinigung der Anteil der Rechtsstrei-
tigkeiten aus den neuen Bundesla¨ndern in
der Arbeitsgerichtsbarkeit niedriger als der
Anteil an der Gesamt-Bevo¨lkerungszahl war
und dabei Sachsen ganz vorn lag, wurde
klar, dass die Integration der neuen Bun-
desla¨nder auf diesem Gebiet gelang. Dabei
leistete der Sachse
Dirk Neumann
einen
ganz entscheidenden Beitrag, der auch of-
fiziell gewu¨rdigt wurde: Mit der Verleihung
des Großen Verdienstkreuzes mit Stern des
Verdienstordens der
Bundesrepublik
Deutschland und des Sa¨chsischen Ver-
dienstordens.
Am 30. 4. 1993 wurde der damals
70-Ja¨hrige zum zweitem Mal, nun als LAG-
Pra¨sident, pensioniert. Einen Tag spa¨ter
begann die dritte Etappe seines reichen
Berufslebens: Auf Wunsch des damaligen
Ministerpra¨sidenten
Prof. Dr. Kurt Bieden-
kopf
beriet er die Regierung des Freistaats
Sachsen beim Entwurf eines Arbeitsver-
tragsgesetzes, der im Juni 1995 im Bun-
desrat eingebracht wurde. – Als Vorsitzen-
der der Schlichtungsstelle, die bei Streitig-
keiten zwischen Evangelischer Kirchenlei-
tung und Mitarbeitervertretung entschei-
det, gelang es ihm in den Jahren
1996–2001 oft, die Wogen zu gla¨tten.
Bei seinen Kollegen in Kassel und in
Chemnitz war
Dr. Neumann
als Fru¨haufste-
her und dafu¨r bekannt, Urteilsbegru¨ndun-
gen bald nach der mu¨ndlichen Verhandlung
zu Papier zu bringen. Die Kraft dazu
scho¨pfte er oft in der Ferne, bei Wanderun-
gen in Ho¨hen zwischen 5000 und 6000 Me-
tern in der Himalaja-Region. Dort verbrach-
te er – bis zum Alter von 75 Jahren – zu-
sammen mit seinem Bruder, einem Arzt
und dessen befreundeten Kollegen – ins-
gesamt 14 mal den Urlaub.
E
hrenamtlichtes
Engagement
Als Pra¨sident des Deutschen Arbeits-
gerichtsverbands (1981-1990), nunmehr
Ehrenpra¨sident und viele Jahre im deut-
schen Vorstand der Internationalen Gesell-
schaft fu¨r das Recht der Arbeit und der So-
zialen Sicherheit war er sehr aktiv. Er be-
gru¨ßte es, dass 2008 mit
Edith Gra¨fl
erstmals
eine Frau an die Spitze des Arbeitsgerichts-
verbands gelangte.
Edith Gra¨fl
, heute Vorsit-
zende Richterin am BAG, sprach an den Ar-
beitsgerichten Mannheim, Stuttgart und
Karlsruhe sowie am Sa¨chsischen LAG in
Chemnitz Recht, bevor sie – ebenfalls mit
„Ost-Erfahrung“ – zum BAG kam.
In der Fachliteratur genießt
Dr. Neu-
mann
durch Kommentare zum Bundes-
urlaubs- und Schwerbehindertengesetz,
zum SGB IX sowie zum neuesten Stand des
Arbeitsrechts in der Gewerbeordnung ho-
hes Ansehen. Kurz vor seinem 90. Geburts-
tag erschien die 16. Auflage des Kommen-
tars zum Arbeitszeitgesetz.
Dr. Neumann
ist
der inzwischen langja¨hrigste Autor dieser
Zeitschrift. Vom ersten Beitrag (DB 1956
S. 571) als Arbeitsgerichtsrat bis zum bis-
her letzten (DB 2008 S. 60) hat er in zahl-
reichen Beitra¨gen die Fachwelt bewegt.
Beim Europarechtlichen Symposion des
BAG, das 2012 bereits zum siebten Mal
stattfand, ist er „Stammgast“. Die Besuche
in der BAG-Bibliothek in Erfurt sowie die
regen Kontakte zu Richterkollegen und
Wissenschaftlern machen deutlich, dass
Dirk Neumann
auch als 90-Ja¨hriger noch
nicht an den „kompletten“ Ruhestand
denkt. Das ist ein Gewinn fu¨r beide Seiten.
Dr. Siegfried Lo¨ffler, Homberg/Efze
u
DB0589236
Dr. Dirk Neumann
DER BETRIEB | Nr. 17 | 26. 4. 2013
Gastkommentar
M 1