Doppelschlag gegen die Leiharbeit
D
ie Leiharbeit steht im Fokus der neue-
ren Rechtsprechung des BAG. Die Ent-
scheidungen der Jahre 2010 bis 2012 zur
Tarifunfa¨higkeit der CGZP haben das Tarif-
wesen der Leiharbeit zurechtgestutzt und
betra¨chtliche wirtschaftliche Folgen fu¨r die
Leiharbeitsunternehmen ausgelo¨st. Nun
ru¨cken Ku¨ndigungsschutz und Betriebsver-
fassung ins Blickfeld. Das Urteil vom 24. 1.
2013 (2 AZR 140/12, DB DB0573780) will
Leiharbeitnehmer bei der Berechnung der
Belegschaftsgro¨ße beru¨cksichtigen, ab der
der Ku¨ndigungsschutz greift. Nach dem Be-
schluss vom 13. 3. 2013 (7 ABR 69/11,
DB0581585) sollen Leiharbeitnehmer bei
den Schwellenwerten des BetrVG im Entlei-
herbetrieb mitza¨hlen. Das ist ein Doppel-
schlag gegen die Leiharbeit:
E
ntwertung der
Kleinbetriebsklausel
Die erste Entscheidung benachteiligt
gleichermaßen Leiharbeitnehmer wie
Kleinunternehmen, die solche bescha¨fti-
gen. Konnten Leiharbeitnehmer in Betrie-
ben mit bis zu 10 Arbeitnehmern bislang
bei guter Qualifikation mit U¨ bernahme
durch den Entleiherbetrieb rechnen, solan-
ge die Belegschaftsgro¨ße nicht u¨berschrit-
ten wurde, mu¨ssen sie nun diesen Betrie-
ben, weil die Belegschaftsgro¨ße schon
u¨berschritten ist, als Bescha¨ftigungspuffer
dienen und haben so keine Chance auf
U¨ bernahme. Den Kleinunternehmen wird
Flexibilita¨t genommen, weil sie die Arbeit-
nehmeru¨berlassung nur um den Preis der
Ausdehnung des Ku¨ndigungsschutzes ein-
setzen ko¨nnen. Das konterkariert einen der
Schutzzwecke der Kleinbetriebsklausel des
§ 23 KSchG. Diese soll, wie es das BVerfG
in seiner Entscheidung vom 27. 1. 1998
(1 BvL 15/87, DB 1998 S. 826) zur Verfas-
sungsma¨ßigkeit der Vorschrift formuliert
hat, auch dem Umstand Rechnung tragen,
dass der Kleinunternehmer ha¨ufig nicht in
der Lage ist, „weniger beno¨tigtes Personal
mitzutragen.“
Die zweite Entscheidung (mit der das
BAG seine eigene bisherige Rechtspre-
chung a¨ndert) fu¨hrt zu einer Vergro¨ßerung
der Betriebsra¨te und der Zahl der Freistel-
lungen, die beide von der Zahl der Arbeit-
nehmer abha¨ngen. Sind in einem Betrieb
390 Arbeitnehmer und 111 Leiharbeitneh-
mer ta¨tig, besteht der Betriebsrat nicht
mehr wie bisher aus 9, sondern aus 11 Mit-
gliedern und sind nicht mehr nur ein, son-
dern zwei Betriebsratsmitglieder von der
Arbeit freizustellen. Das mag man hinneh-
men. Aber man muss den eingeschlagenen
Weg weiter denken: Wenn Leiharbeitneh-
mer bei der Betriebsratsgro¨ße und bei den
Freistellungen mitza¨hlen, warum sollen sie
dann nicht auch zu Betriebsratsmitgliedern
gewa¨hlt und als solche freigestellt werden?
Fu¨r die Personalgestellung i. S. von § 5
Abs. 1 Satz 3 BetrVG hat das BAG das im
Beschluss vom 15. 8. 2012 (7 ABR 34/11,
DB0556752) schon bejaht. § 14 Abs. 2
Satz 1 AU¨ G, welcher die Wa¨hlbarkeit von
Leiharbeitnehmern in Aufsichtsrat und Be-
triebsrat ausschließt, ist im Licht dieser
Entscheidungen u¨berholt und vielleicht so-
gar gleichheitswidrig.
Die Zukunft geho¨rt wohl auch nach Auf-
fassung des BAG Modellen, welche wie das
Landespersonalvertretungsgesetz NRW und
das geplante Landespersonalvertretungs-
gesetz Baden-Wu¨rttemberg weisungs-
gebunden ta¨tigen Bescha¨ftigten das passi-
ve Wahlrecht unabha¨ngig davon einra¨u-
men, ob sie in einem Arbeitsverha¨ltnis zu
der Institution stehen, in deren Dienststel-
le oder Betrieb sie ta¨tig sind.
K
omplizierung der
Betriebsverfassung
Die Verwerfungen, zu denen solche Mo-
delle fu¨hren, werden vernachla¨ssigt. Leih-
arbeitnehmer ko¨nnen dann sowohl dem Be-
triebsrat des Verleiherbetriebs wie dem des
Entleiherbetriebs angeho¨ren. Wer im Fall
ihrer Zugeho¨rigkeit zum Betriebsrat des
Entleiherbetriebs ihr Entgelt zahlt und wel-
cher Arbeitgeber in diesem Fall u¨ber eine
Freistellung mitzuentscheiden hat, ist of-
fen. Die Zahl der im Betriebsrat vertrete-
nen und deshalb dort teilnahmeberechtig-
ten Gewerkschaften vergro¨ßert sich. Kaum
lo¨sbar sind die Fragen des besonderen
Ku¨ndigungsschutzes: Soll es fu¨r die Ku¨ndi-
gung aus wichtigem Grund auf die Zustim-
mung des Betriebsrats des Entleiher-
betriebs ankommen, auch wenn sich der
Vorgang in der Spha¨re des Verleiher-
betriebs abgespielt hat? Welcher Arbeit-
geber kann das Ersetzungsverfahren nach
§ 103 Abs. 2 BetrVG anstrengen? Ist fu¨r die
ordentliche Ku¨ndigung nach § 15 Abs. 4
und 5 KSchG die Stilllegung des Entleiher-
betriebs oder die Stilllegung des Verleiher-
betriebs maßgebend?
Vor der Linie, die von den Entscheidun-
gen des BAG ausgeht, kann man nur war-
nen. Die Rechtsprechung ist im Begriff,
einem funktionierenden Instrument des Ar-
beitsmarkts Bleiklo¨tze anzuha¨ngen, welche
in die Inpraktikabilita¨t fu¨hren. Von dem im
Erwa¨gungsgrund 11 der Leiharbeitsricht-
linie der EU ausdru¨cklich festgehaltenen
Ziel der Leiharbeit, dem Flexibilita¨tsbedarf
der Unternehmen gerecht zu werden und
somit zur Schaffung von Arbeitspla¨tzen
und zur Teilnahme am und zur Einglie-
derung in den Arbeitsmarkt beizutragen,
bleibt wenig u¨brig.
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DB0591342
Prof. Dr. Dr. h.c. Manfred Lo¨wisch, For-
schungsstelle fu¨r Hochschularbeitsrecht
an der Uni Freiburg, Freiburg/Brsg.
DER BETRIEB | Nr. 21 | 24. 5. 2013
Gastkommentar
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