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Gutachtliche Entscheidungen
Die Galvanisation ist eine Form der Elektrotherapie, bei der
konstanter Gleichstrom angewendet wird.Während bei an-
deren Formen der Elektrotherapie Reizstromimpulse zur
Stimulierung von Nerven und Muskeln verwendet werden,
nimmt die Galvanisation eine Sonderstellung ein. In deren
Wirkungsbereich wird eine erhöhte Durchblutung ange-
strebt. Diese Wirkung des Stromes ist als dezente Hautrö-
tung erkennbar, die in Abhängigkeit zur Stromstärke steht.
Untersuchungsergebnisse weisen darauf hin, dass die Rö-
tung nicht nur auf den Hautbereich unter den Elektroden
begrenzt ist, sondern das gesamte Gebiet erreicht, das vom
Strom durchflossen wird. Nach Abklingen des galvanischen
Erythems ist noch über Stunden oder gar Tage eine höhere
Durchblutung des behandelten Bereiches messbar.
Neben der therapeutischenWirkung einer stärkeren Durch-
blutung kann die Galvanisation zum Einbringen von Medi-
kamenten durch die intakte Haut in den Körper genutzt
werden, ein Vorgang, der unter dem Begriff der „Iontopho-
rese“ bekannt ist. Medikamente, deren Wirkstoffe überwie-
gend aus positiven Ionen (Kationen) bestehen, werden vom
positiven Pol (Anode) aus eingebracht, Medikamente mit
überwiegend negativen Ionen vom negativen Pol (Kathode)
aus.
Die klassische Galvanisation ist eine großflächige Behand-
lung. Durch elektrische Spannung wird eine Ionenwande-
rung zwischen zwei Polen, der Anode und der Kathode, auf
der Haut erzeugt. Dabei bilden sich als Sekundärreaktionen
an der Anode Säuren und an der Kathode Laugen. Die Säu-
ren und die Laugen können in Abhängigkeit von der Dauer
der Behandlung und der Stromdichte zu Verätzungen füh-
ren. Die Stromdichte sagt aus, wie viel Strom pro Fläche
fließt (mA/cm²), wobei es nicht auf die Spitzenstromstärke,
sondern die Effektivstromstärke, das heißt die im Durch-
schnitt erreichte Stromstärke ankommt.
Zum unmittelbaren Schutz vor Verätzungen werden Elek-
trodenzwischenlagen verwendet, die geeignet sein müssen,
die Säuren und Laugen aufzunehmen. Aber auch anderen
Gegebenheiten kommt eine große Bedeutung zu, zum Bei-
spiel den Hautbeschaffenheiten und dem Anlagedruck der
Elektroden, sodass letztlich der beste Schutz gegen Verät-
zungen nicht nur das sorgfältige Arbeiten, sondern eine auf-
merksame Kontrolle in kurzen, regelmäßigen Zeitabstän-
den ist. Dieses gilt umso mehr, je größer die Effektivstrom-
stärke und je länger die Behandlung ist.
Deshalb ist zunächst die Haut in dem zu therapierenden Ge-
biet eingehend zu überprüfen. Sie darf keine Verletzungen,
beispielsweise Kratzer oder Pickel aufweisen, sonst muss
zur Anlage der Elektroden möglichst auf andere Stellen aus-
gewichen werden. Zudem ist die Haut sorgfältig zu reinigen,
um unkontrollierte Reaktionen zu vermeiden.
Die oben angesprochenen Zwischenlagen (Schwämme)
müssen ausreichend dick und vor jederAnwendung gut aus-
gewaschen sein. Denn unter der Anwendung kommt es in
den Schwämmen zur Ansammlung der Säuren und Laugen.
Die Schwämme müssen so groß sein, dass die Silikon-
oder Metallelektroden die Haut nicht berühren können; am
besten eignen sich Schwammtaschen.
Die Intensität des Stromes darf nur langsam erhöht werden,
bis der Patient ein angenehmes „Stromgefühl“ angibt. Dies
ist dann der Fall, wenn der Strom gleichflächig, also gleich-
mäßig die Haut durchdringt.
Die sogenannte Toleranzgrenze liegt bei 0,1–0,3 mA/cm²
Elektrodenfläche. Grundsätzlich muss der Patient darauf
hingewiesen werden, dass er sich melden soll, wenn er beim
Hochregulieren einen starken Reiz beziehungsweise ein
Brennen oder Stechen verspürt.
Gibt der Patient schon bei sehr geringer Stromstärke (weni-
ge mA) ein „Stromgefühl“ an, so entwickelt sich daraus nach
Intensitätserhöhung häufig ein punktförmiges Beißen oder
Brennen. Das sind klinische Signale dafür, dass die Strom-
stärke zu hoch ist. In diesem Falle sind alle Schritte des Vor-
gehens noch einmal zu überprüfen. Probleme treten beson-
ders bei trockener und schlecht durchbluteter Haut auf, da
der Strom dann nur an den leicht passierbaren Stellen
(„Schweißkanälchen“) durch die Haut fließt. Gelegentlich
löst sich allerdings dieses Problem durch die hyperämisie-
rende, das heißt durchblutungsfördernde Wirkung des war-
men Wassers in den Schwämmchen von selbst.
Beim Hochregulieren der Intensität, auch wenn der Patient
ein gleichmäßiges „Stromempfinden“ angibt, ist es wichtig,
nach einigen Minuten und dann immer wiederkehrend die
Haut unter den Elektroden zu kontrollieren. Sollte sich eine
Verätzung entwickeln, zeigt sich diese zuerst durch kleine
rote Flecke (Erytheme), die sich zunehmend deutlich von
ihrer Umgebung abheben. Im weiteren Therapieverlauf
würden sich diese Punkte in Blasen umwandeln und an der
Anode eine Koagulationsnekrose (trockene, schorfige Haut)
beziehungsweise unter der Kathode eine Kolliquations-
nekrose (feuchte, weiche, aufgequollene Haut) zeigen. Ver-
schiedene dermatologische Veränderungsstadien sind kenn-
zeichnend für eine Verätzung, die bei rechtzeitiger Kon-
trolle in jeder Position noch unterbunden werden kann.
Dem entspricht es, dass auch der Hersteller des zur Behand-
lung verwendeten Geräts in der Gebrauchsanweisung als
besten Schutz gegen Verätzungen empfiehlt, die betroffe-
nen Hautpartien aufmerksam zu kontrollieren und bei
ersten Zeichen einer Verätzung die Behandlung sofort ab-
zubrechen.
Bei der schon erwähnten Iontophorese ist der Wirkungsef-
fekt von mehreren Faktoren abhängig. Um die höchste ion-
tophoretische Wirkung zu erreichen, ist es erforderlich,
Nichtleiter als Lösungsmittel zu benutzen. Zusätzlich ist auf
die Wirksubstanz zu achten. Deren Menge ist abhängig von
Fehlerhafte Galvanisation bei orthopädischer Therapie
Gelegentlich unerwünschte Nebenwirkungen und Arzthaftungsfragen bei der
Elektrotherapie in Form der Galvanisation