

Kopfschmerz ist einer der häufigsten Gründe, weshalb ärzt-
liche Hilfe gesucht wird. Er kann als sogenannter Primärer
Kopfschmerz [1] Erscheinungsform einer eigenständigen
Krankheit sein ohne erkennbare weitere Ursachen. Beispie-
le hierfür sind Migräne oder Clusterkopfschmerz. Er kann
aber auch als sogenannter Sekundärer Kopfschmerz Symptom
anderer Erkrankungen sein, darunter insbesondere zerebra-
ler Erkrankungen oder Blutungen. [2]
Die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler
bei der Ärztekammer Nordrhein wird immer wieder angeru-
fen in Fällen, in denen wegen ungenügender Differenzial-
diagnostik und Befunderhebung schwere zerebrale Krank-
heitsbilder nicht erkannt und deshalb aussichtsreiche Früh-
behandlungen versäumt werden.Obwohl diese Problematik
schon 2002 durch Herbert Weltrich und Herwarth Lent im
Rheinischen Ärzteblatt
am Beispiel eines Behandlungsfehlers
dargestellt wurde,war unlängst allein aus einem Jahr wieder
über Schicksale zu entscheiden, deren teils tragische Wen-
dung durch größere Sorgfalt, etwa die Beachtung von Leit-
linien [3], und des seit den 1990ern in Lehrbüchern internis-
tischer Differenzialdiagnostik [4] beschriebenen Standes
medizinischerWissenschaft vermieden worden wäre.
Wichtig erscheint vor allem, dass die in den Notfallambulanzen
eines Krankenhauses – in welcher Abteilung auch immer –
diensthabenden Ärzte sich ihrer Verantwortung für eine
sorgfältige Diagnostik bewusst werden und sich weder
durch telefonische Erörterung mit Ärzten aus Nachbarklini-
ken noch durch Mutmaßungen von Fachkollegen anderer
Disziplinen, die selbst die Patientin nicht untersucht haben,
von dem zunächst als richtig erkannten Diagnosepfad ab-
bringen lassen. Zur Erläuterung nachfolgend zwei Fälle, in
denen der Behandlungsfehlervorwurf bestätigt wurde.
Fall 1
Die 30-jährige Antragstellerin ist nach Öffnung ihrer Woh-
nung durch die Polizei nicht ansprechbar imWohnzimmer
liegend aufgefunden worden.
Wie sich in der Folge herausgestellt hat, litt sie an einem
Aneurysma an der Schädelbasis, das zwischen dem 2. und
5. Mai rupturiert war. Zwischen dem 13. April und dem 2. Mai
hatte sie sich nacheinander bei den Antragsgegnern vorge-
stellt, zunächst gegen 1 Uhr nachts in der Notfallpraxis eines
Krankenhauses in der OrthopädischenAbteilung,wo notiert
ist:„seit einigen Stunden Nacken- und Kopfschmerzen, kein
Trauma, leichte Übelkeit, zweimal erbrochen“. Befund:
„Schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit der HWS,
leichter Druckschmerz, Kopfschmerz, Übelkeit, kein neuro-
logischer Befund. DMS (Durchblutung, Motorik, Sensibili-
tät) intakt. Temperatur: 36,5°, RR 130/90 mmHg. Röntgen
HWS in 2 Ebenen, ohne knöcherne Verletzung, EKG unauf-
fällig.“
Mit der Verdachtsdiagnose eines Migräneanfalls wurde die
Antragstellerin mit Schmerzmitteln versehen nach Hause
entlassen.
Zwischen dem 14. und dem 29. April hat sie sich insgesamt
fünfmal in die Praxis ihrer Hausärztin begeben, die sie letzt-
lich mit der Diagnose eines HWS-Syndroms an einen Ortho-
päden (Antragsgegner zu III.) überwiesen hat.
Am 2. Mai stellte sich die Antragstellerin bei diesem vor, der
nach einer orthopädisch-neurologischen Untersuchung der
gesamten Wirbelsäule mit der Dokumentation eines unauf-
fälligen neurologischen Befundes eine manuelle Therapie
vornahm und die Diagnose einer akuten Lumbalgie und ei-
nes rezidivierenden Zervikalsyndroms stellte.
Beurteilung der Gutachterkommission:
1. Behandlung in der Abteilung für Orthopädie des
Krankenhauses (Antragsgegner zu I.)
Ein plötzlicher, spontan auftretender Kopfschmerz mit
Übelkeit und Erbrechen bei einer jungen Frau ohne Kopf-
schmerzanamnese ist immer dringend verdächtig auf eine
akute Subarachnoidalblutung (SAB). Der diensthabende
Arzt hat folgerichtig denVersuch unternommen, die Antrag-
stellerin in einer benachbarten neurologischen Klinik vor-
zustellen, davon aber Abstand genommen, weil – nachts ge-
gen 2 Uhr – telefonisch stundenlange Wartezeiten angekün-
digt worden waren. Stattdessen hätte er die notwendigen
diagnostischen Maßnahmen auch selbst veranlassen kön-
nen: craniales Computertomogramm (CCT) und Lumbal-
punktion, was auch ohne Hinzuziehung eines Neurologen
möglich gewesen wäre. Das Versäumnis, ein neurologisches
Konsil und weitere diagnostische Maßnahmen zu veranlas-
sen, ist als Behandlungsfehler in Form eines Befunderhe-
bungsfehlers anzusehen.
Mit praktischer Gewissheit kann davon ausgegangen wer-
den, dass im Rahmen einer neurologischen Konsiliarunter-
suchung ein CCT und im Zweifelsfall auch eine Lumbal-
punktion veranlasst worden wären, die zur zutreffenden
Diagnose einer SAB und zu einer entsprechenden Therapie
geführt hätten.
Der untersuchende Orthopäde beruft sich auf eine Mittei-
lung des diensthabenden Internisten, es liege eine Migräne
vor. Darüber, ob dieser die Antragstellerin untersucht hat,
liegen unterschiedliche Angaben vor, die die Gutachterkom-
mission mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln nicht
klären kann. Dies ist aber unerheblich, da der Orthopäde die
Behandlung zu verantworten hatte; das Versäumnis eines
neurologischen Konsils mit entsprechender Befunderhe-
bung ist daher ihm als Behandlungsfehler anzulasten.
Der dadurch herbeigeführte Gesundheitsschaden ist die
zwischen dem 1. und dem 5. Mai eingetretene Blutung aus
einem Aneurysma an der Schädelbasis und ihre Folgezu-
Gutachtliche Entscheidungen
175
Fehlerhafte Differenzialdiagnostik beim Kopfschmerz
Ein plötzlicher, spontan auftretender Kopfschmerz kann auf eine akute
Subarachnoidalblutung hinweisen