

Die Hüftdysplasie ist die häufigste orthopädische Erkran-
kung bei Neugeborenen. Ihre Ursache ist eine Hüftreifungs-
störung. Sie tritt vor allem bei Mädchen auf. Es gibt eine fa-
miliäre Belastung.
Ihre klinischen Zeichen bestehen in einer Asymmetrie der
Gesäßfalten, einem spürbaren, eventuell auch hörbaren
Klick bei Beugung und Abduktion der Oberschenkel in Rü-
ckenlage des neugeborenen Kindes oder des Säuglings und
in einer Abspreizhemmung der Beine. Die klinischen Zei-
chen sind unsicher.
Deshalb ist die Ultraschalldiagnostik der Hüften als Be-
standteil der Vorsorgeuntersuchungen zur Früherkennung
entwicklungsgefährdender Gesundheitsschäden eingeführt
worden. Sie ist für die dritte Vorsorgeuntersuchung (U 3) im
Alter von vier bis fünf Wochen vorgesehen. Die Untersu-
chung kann vom Kinderarzt, einem Facharzt für Allgemein-
medizin oder einem Orthopäden vorgenommen werden,
wenn der Untersucher zum Beispiel durch Teilnahme an
entsprechenden Kursen der Deutschen Gesellschaft für Ultra-
schall in der Medizin (DEGUM) die notwendigen Kenntnis-
se über den standardisierten Untersuchungsgang der Hüft-
sonografie erworben hat. Die Ultraschalldiagnostik erspart
im Allgemeinen eine Röntgenaufnahme, die zwar zuverläs-
sige Ergebnisse liefert, aber mit einer gonadennahen Strah-
lenbelastung verbunden ist.
Die Gutachterkommission hatte sich unlängst mit einem
Fall zu befassen, der Anlass gibt, auf die methodischen
Grundsätze und geforderten Standards bei der sonografi-
schen Diagnostik von Hüftdysplasien hinzuweisen.
Sachverhalt
Die Antragstellerin wurde im Alter von drei Monaten auf
Veranlassung des Kinderarztes mit der Diagnose Hüftdys-
plasie links der beschuldigten Ärztin für Orthopädie vorge-
stellt. Sowohl bei der Mutter als auch bei der Tante des Kin-
des mütterlicherseits bestand eine Hüftdysplasie. Der Kin-
derarzt hatte bei der klinischen Untersuchung eine Gesäß-
faltenasymmetrie und eine Abspreizhemmung festgestellt
und im Sonogramm der Hüften eine linksseitige Dysplasie
erkannt. Nach wiederholter Untersuchung bestätigte die be-
schuldigte Ärztin die Diagnose. Sie ordnete die linke Hüfte
dem Typ II g (gefährdete Hüfte) und die rechte dem Typ I a
(ausgereifte Hüfte) nach Graf zu und verordnete eine Spreiz-
hose.
Einen Monat später fertigte die Orthopädin erneut Sono-
gramme der Hüften und notierte in ihrer Karteikarte „linke
Hüfte gebessert“. Die Behandlung sollte zunächst fortge-
setzt werden.
Die zweite sonografische Kontrolluntersuchung fand einen
weiteren Monat später statt. In der Karteikarte ist festgehal-
ten: „keine Abspreizhemmung bds“. Der linke Hüftkopf
wurde noch als kleiner beschrieben. Die Position der Hüft-
köpfe und die übrige im Ultraschall fassbare Morphologie
der Hüften wurden als regelrecht beurteilt. Die Spreizhose
wurde entfernt.
Bei der dritten Kontrolluntersuchung etwa einen weiteren
Monat später fiel eine deutliche Abspreizhemmung des an-
gewinkelt gehaltenen linken Beines auf. Seine Bewegung
war schmerzhaft. Die Hüftsonografie bestätigte den klini-
schen Verdacht einer linksseitigen Hüftluxation.
Die weitere Behandlung erfolgte in orthopädischen Klini-
ken. Nach erfolglosen konservativen Repositionsversuchen
wurde eine offene Reposition des linken Hüftkopfes vorge-
nommen, die erfolgreich war. Auf einer Beckenübersichts-
aufnahme nach der Behandlung war der Hüftkopf beidseits
zentral eingestellt. Der linke Hüftkopf war in seiner Ent-
wicklung allerdings retardiert und deutlich kleiner als der
rechte, auch die linke Gelenkpfanne hatte noch ein Ent-
wicklungsdefizit.
Nicht geeignete Sonogramme
Die belastete Ärztin hat bei der Erstuntersuchung und den
im Abstand von etwa einem Monat vorgenommenen Kon-
trollen Hüftsonogramme erstellt. Bei deren Durchsicht ist
die Gutachterkommission, sachverständig beraten, zu fol-
genden Feststellungen gelangt:
Auf den Hüftsonogrammen sei der Abbildungsmaßstab mit
0,6:1 weitaus niedriger als der übliche und seit 1996 gefor-
derte Abbildungsmaßstab von 1,7:1. Eine zuverlässige mess-
technische Auswertung und Typisierung der Bilder sei des-
halb grundsätzlich nicht möglich gewesen.
Die sonografischen Schnittebenen seien falsch gelegt wor-
den, sodass die für exakte Winkelmessungen festgelegten
vorgeschriebenen Punkte unzureichend oder gar nicht er-
fasst worden seien. Drei Festpunkte müssten präzise darge-
stellt sein: der Unterrand des Darmbeins in der Gelenkpfan-
ne, der mittlere Pfannendachbereich und die Gelenklippe
auf dem Rand der Hüftgelenkpfanne. Die Präzision fehle
hier in unterschiedlichemAusmaß. Die Sonogramme hätten
deshalb nicht ausgemessen und nicht beurteilt werden dür-
fen.
Ihre Beschriftung sei von Hand vorgenommen worden. Dies
gelte für die Daten der Untersuchung und die Seitenzuord-
nung. Dabei seien Fehler unterlaufen. Die Seitenbezeich-
nungen seien häufig falsch gewesen oder fehlten. Auch hät-
ten nach den eingetragenen Daten die Kopien und Origina-
le des ersten Kontrolltermins nicht übereingestimmt. Nach
den Originalaufnahmen habe bereits eine Typ IV-Hüfte
links vorgelegen, die in der Auswertung von der behandeln-
den Ärztin jedoch als gebessert angesehen worden sei. Die
der linken Hüfte zugeordnete Aufnahme, die bei der nächs-
ten Vorstellung des Mädchens in der fachorthopädischen
Praxis dazu geführt habe, die linke Hüfte als ausgeheilt an-
zusehen, habe eindeutig von der rechten Hüfte gestammt.
Gutachtliche Entscheidungen
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Fehlerhafte Diagnose und Behandlung einer angeborenen Hüftdysplasie