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Gutachtliche Entscheidungen
Fehlerhafte Diagnose und Behandlung einer angeborenen Hüftdysplasie
Die rechte Hüfte sei aber zu allen Zeiten normal gewesen.
Die Verwechslung habe eine gravierende Folge gehabt. Die
Behandlung sei als beendet angesehen worden, obgleich
links eine nicht erkannte Luxation bestanden habe.
Insgesamt ist die Gutachterkommission zu demErgebnis ge-
langt, dass die von der beschuldigten Ärztin gefertigten
Hüftsonogramme hinsichtlich Untersuchungstechnik, Sei-
tenbezeichnung und Datierung nicht dem geforderten Stan-
dard entsprächen und für die sonografische Diagnostik
nicht geeignet gewesen seien.
Mangelhafte Dokumentation
des Behandlungsverlaufs
Die bei den Untersuchungen erhobenen Befunde sind ledig-
lich in knappen Angaben in der Karteikarte erfasst und in
der Sachverhaltsdarstellung wiedergegeben worden. Schrift-
liche Auswertungsbefunde zu den Hüftsonografien fehlen
zu allen Kontrolluntersuchungen. Nur die Befunde der Erst-
begutachtung sind durch die belastete Ärztin schriftlich fest-
gehalten worden. Dieser Bericht gebe jedoch den Befund
nur mangelhaft wieder. Die Beschreibung sei nicht kon-
gruent mit den Sonogrammen und stimme auch nicht mit
den Vermessungsdaten überein, sodass eine Typisierung
nicht möglich sei.
Die Gutachterkommission hat diese Fehler nicht lediglich
als Dokumentationsfehler, sondern zugleich als Behand-
lungsfehler gewertet. Die Dokumentation der bei der An-
tragstellerin vorliegenden Hüftveränderungen sei nicht le-
diglich für die Diagnose und Therapie notwendig gewesen,
sondern darüber hinaus zur Sicherung derVerlaufsbeobach-
tung und Weiterbehandlung. Fehle es aber an einer Doku-
mentation, die eine Befundbeobachtung gewährleisten sol-
le, liege ein Behandlungsfehler vor
(vgl. Martis/Winkhart,
Arzthaftungsrecht, 3. Aufl., S. 597/D 434; OLG Stuttgart, VersR
1997, 700, 701)
.
Weitere Behandlungsfehler
Sachverständig beraten, hat die Gutachterkommission wei-
tere Behandlungsfehler aufgezeigt:
Das Originalsonogramm der ersten Kontrolluntersuchung
zeige links eine luxierte Hüfte vom Typ IV nach Graf. Hier-
von ausgehend könne nicht bei der Erstuntersuchung etwa
fünf Wochen vorher nur eine Hüfte vom Typ II g (gefährde-
te Hüfte) vorgelegen haben. Vielmehr müsse ein wesentlich
schlechterer Hüfttyp vorhanden gewesen sein,weil es mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht möglich
sei, dass sich bei einer Spreizbehandlung ein Hüftgelenk in
diesem kurzen Zeitraum vom Typ II g zum Typ IV ver-
schlechtere. Das bedeute, dass die Diagnose bei der Erst-
untersuchung falsch gewesen sei. Habe aber bei der Erstun-
tersuchung ein schlechterer Hüfttyp als II g vorgelegen,
stelle die Verordnung der Spreizhosenbehandlung einen
Therapiefehler dar. Mit einer Spreizhose sei die Antrag-
stellerin dann eindeutig untertherapiert gewesen.
Am Tag der zweiten Kontrolluntersuchung habe die Ärztin
festgestellt, dass kein wesentlicher Unterschied zwischen
beiden Hüftgelenken mehr sei und die Spreizhose abgelegt
werden könne. Einen bildlichen Beweis für diese deutliche
Verbesserung gegenüber dem Zustand einen Monat vorher
gebe es nicht. Wenn die Bewertung richtig gewesen wäre,
müsse innerhalb von vier Wochen ein „normales“ Hüftge-
lenk in die schlechteste Luxationsvariante, nämlich Typ IV
abgeglitten sein.Denn der Befund der dritten Kontrollunter-
suchung sei nachweisbar. Das bedeute, dass auch die bei der
zweiten Kontrolluntersuchung gestellte Diagnose falsch ge-
wesen sei und die Anordnung des Ablegens der Spreizhose
ebenfalls.
Zusammenfassung und Folgerungen
Zusammenfassend hat die Gutachterkommission festge-
stellt:
Die beanstandete Behandlung weise eine Reihe von Einzel-
fehlern auf, die in ihrer Summe nicht mehr verständlich er-
schienen und schlechterdings nicht unterlaufen dürften.Die
Behandlung sei daher in ihrer Gesamtheit als schwerwie-
gend (grob) fehlerhaft anzusehen, was zu einer Umkehr der
Beweislast hinsichtlich der Kausalität für den eingetretenen
Schaden führe.
Als Primärschaden sei die Hüftluxation links anzusehen,
weil die fehlerhafte Erfassung der Befunde mit falscher Dia-
gnosestellung und Untertherapierung geeignet gewesen sei,
jedenfalls mitursächlich zu der ungünstigen Entwicklung
bis zur Luxation beizutragen. Infolge der fehlerhaften Be-
handlung sei es zu einer Behandlungsverzögerung um min-
destens den Zeitraum gekommen, den die Behandlung bei
der belasteten Ärztin gedauert habe. Die nach Abschluss der
Behandlung verbliebene Restdysplasie sei ebenfalls zumGe-
sundheitsschaden zu
zählen.Essei Sache der belastetenÄrz-
tin darzulegen und zu beweisen, dass der Krankheitsverlauf
ohne die Behandlungsfehler identisch verlaufen wäre.Dafür
fehle es jedoch an einem Nachweis.
Zur Vermeidung von Behandlungsfehlern sollten bei der
Diagnostik und Therapie von Hüftdysplasien stets die gülti-
gen Standards und die aktuellen Leitlinien beachtet und an-
gewandt werden:
1. Bei vorliegenden Risikofaktoren muss mit besonderer
Sorgfalt nach einer Hüftdysplasie gefahndet werden.
Dazu ist die Sonografie ein geeignetes Verfahren. Es ist
schonend, methodisch einfach und informativ.
2. Die Hüftsonografie ist eine streng standardisierte, jeder-
zeit reproduzierbare Methode.
3. Die vorgegebenen Standards des Untersuchungsablaufs
und der Auswertung der Sonogramme müssen strikt ein-
gehalten werden. Dazu zählen der Abbildungsmaßstab
und die Schnittebenen, die die drei für die Ausmessungen
entscheidenden Punkte darstellen müssen, ohne die eine
Beurteilung gar nicht möglich ist.
4. Das Verfahren erlaubt bei Beachtung dieser Grundsätze
eine exakte Diagnose, deren Einzelkriterien festgelegt
sind. Sie geben Auskunft über die Morphologie und den
Reifungszustand der Hüften, die jeweils als Typ definiert
sind.