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Eine unzureichende Versorgung von Schnittwunden zählt

zu den häufigsten Behandlungsfehlervorwürfen,die der Gut-

achterkommission zur Beurteilung unterbreitet werden.

Darunter finden sich sehr oft durch Glas verursachte Verlet-

zungen, vielfach beim unachtsamen Greifen in Müllbehäl-

ter.

Zu beanstanden war regelmäßig die Erstversorgung in der

chirurgischen Ambulanz, insbesondere die mangelhafte Un-

tersuchung zum Beispiel der Hand und der Finger, um Seh-

nenverletzungen und den Ausfall von Nervenleitfunktionen

feststellen zu können. Dabei lässt sich zumeist nur durch

ausreichendes Öffnen der Wunde der Umfang der Schädi-

gung ermitteln. Verbleibende Beschwerden führen schließ-

lich zu Sekundäreingriffen, deren Ergebnisse zumeist un-

günstiger sind als bei einer sachgerechten Primärversor-

gung. Der erstbehandelnde Arzt sollte schon im eigenen In-

teresse zum Nachweis seiner gründlichen Untersuchung

diese sorgfältig dokumentieren.

Die Rechtsprechung wertet die Unterlassung ausreichender

Kontrolluntersuchungen vielfach als einen vorwerfbaren

groben ärztlichen Behandlungsfehler.

Soweit der erstbehandelnde Arzt die gebotene Untersu-

chung bzw. die Behandlung festgestellter Sehnen- und/oder

Nervenverletzungen nicht selbst durchführen kann, hat er

die Überweisung an einen fachlich geeigneten Arzt oder ei-

ne entsprechende Klinik zu veranlassen.

Aus der Fülle der von der Gutachterkommission beurteilten

Fälle werden zwei Sachverhalte geschildert, bei denen eine

Sehnen- bzw. Nervenverletzung nicht erkannt wurde und

deshalb erst verspätet therapiert werden konnte.

Erster Fall: Durchtrennung der langen

Daumenstrecksehne

Die 39-jährige Patientin erlitt am 9. Oktober zu Hause eine

Glas-Schnittverletzung über der Streckseite des rechten

Daumens. Bei der ärztlichen Untersuchung in der chirurgi-

schen Ambulanz des beschuldigten Krankenhauses wurde

folgender Befund beschrieben:„Streckseite D I re. 4 cm lan-

ge Wunde (längsverlaufend) DMS intakt“. Es erfolgte eine

„primäre chirurgische Wundversorgung in Oberst’scher

Leitungsanästhesie“. Danach wurde der rechte Daumen mit

einer Alu-Schiene ruhiggestellt.

Der Befund der Klinik wurde der Patientin zur Weiterbe-

handlung durch ihre Hausärztin, eine Ärztin für Allgemein-

medizin, mitgegeben. Diese untersuchte am 12. Oktober die

Wunde, die als „reizlos“ beschrieben wurde. Die Fäden wur-

den am 15. Oktober „bei reizlosen Wundverhältnissen“ ent-

fernt.

Bei der erneuten Vorstellung am 19. Oktober wurde eine Be-

wegungseinschränkung im Daumen festgestellt, die zur

Überweisung an einen niedergelassenen Chirurgen führte.

Seine Untersuchung am selben Tage dokumentierte, dass

Beugung und Streckung nur eingeschränkt möglich seien

und beschrieb „Kraftminderung“. Nachdem der Chirurg ei-

ne Behandlung mit Bewegungsübungen eingeleitet hatte

und diese erfolglos blieb, überwies er die Patientin bereits

am 26. Oktober in eine Klinik für Unfall-, Hand- und Wie-

derherstellungschirurgie.

Bei der dortigen Untersuchung am 2. November war die

„Streckfähigkeit des rechten Daumens gegen Widerstand

aufgehoben“. Der untersuchende Arzt stellte die „Durch-

trennung der langen Strecksehne des Daumens bei dem Un-

fall vor drei Wochen“ fest und hielt eine Rekonstruktion

durch direkte Naht nach dieser Zeit nicht mehr für erfolg-

versprechend. Zur Verbesserung der Streckfähigkeit wurde

eine „Indicisersatzplastik“ vorgeschlagen.

Die Operation wurde am 18. November in der genannten

Klinik vorgenommen. Es erfolgte eine „Sehnentransplanta-

tion von D II rechts auf D I rechts“. Der mehrstündige Ein-

griff verlief ohne Komplikationen, so auch der postoperati-

ve Verlauf, so dass die Patientin bereits nach drei Tagen mit

Unterarmgipsschiene entlassen werden konnte. Die Nach-

behandlung durch den einweisenden Chirurgen wurde am

14. Januar „bei guter Beweglichkeit“ abgeschlossen.

Gutachtliche Beurteilung

Die Gutachterkommission bewertete die Untersuchung am

9. Oktober in der beschuldigten Klinik als vorwerfbar unzu-

reichend. Die Tatsache, dass die Durchtrennung der langen

Strecksehne des rechten Daumens übersehen wurde, führte

sie auf folgende Fehler zurück:

Der erstbehandelnde Arzt habe es versäumt, eine gründliche

Untersuchung der Beuge- und Streckfähigkeit des Daumens

vorzunehmen. Es heiße zwar im Befundbericht „DMS in-

takt“, was wohl heißen soll „Durchblutung, Motorik, Sensi-

bilität ohne Ausfälle“. Es entspreche jedoch medizinischer

Erfahrung, dass bei einer Durchtrennung der langen Dau-

menstrecksehne eine Reststreckfähigkeit im Daumenend-

glied erhalten bleibe, da die kleinen Handmuskeln imTenar-

bereich die aktive Streckung des Endgelenkes ermöglichen.

Der Bewegungsablauf sei aber kraftlos und gegen passiven

Widerstand nicht möglich. Der Arzt hätte sich vergewis-

sern müssen, ob das Endglied gegenWiderstand streckfähig

ist.

Der untersuchende Arzt habe es weiter versäumt, die

Schnittwunde auf ihre Tiefe hin zu überprüfen. Erfahrungs-

gemäß reichen Glas-Schnittverletzungen regelmäßig tiefer

als es der äußere Eindruck der glatten Durchtrennung der

Haut und des Unterhautzellgewebes vermittele. Da über der

Streckseite der Finger und des Daumens die Sehnen knapp

unterhalb der Haut liegen, sei es notwendig, bei einer

Schnittverletzung in diesem Bereich den Wundgrund sorg-

fältig zu untersuchen.

Fehlerhafte Behandlung von Schnittverletzungen

Schäden an Sehnen oder Nerven dürfen nicht übersehen werden

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Gutachtliche Entscheidungen