INTERVIEW
WERDER MAGAZIN SPEZIAL 323 19
Uhr, die ich getragen habe, oder ein Pfennig,
den ich gefunden hatte. Ein gewisser Aber-
glaube ist also auch mir zu Eigen. Auch wenn
ich in Berlin mal ein besonderes Erlebnis hat-
te: 1990 lagen wir im DFB-Pokal-Endspiel ge-
gen Kaiserslautern zur Pause mit 0:3 zurück.
Da habe ich alles, was ich als Glücksbringer in
meinen Taschen hatte, wütend weggeworfen.
Leider hat es für uns aber nur noch zu zwei
Treffern und damit zum 2:3 gereicht
(lacht)
.
An welche anderen Plätze im Weser-Stadion
erinnern Sie sich besonders gern?
Zu Beginn meiner Mitgliedschaft bei Werder
gab es auf der Südtribüne einen Ort, an dem
alle ehrenamtlich tätigen Mitglieder stan-
den. Dort konnte man von oben auf die Spie-
ler schauen, wenn sie ins Stadion kamen,
und jedes Mal das Kribbeln vor dem Spiel
spüren. An diesem Platz habe ich damals
unglaublich gerne gestanden. Heute gibt es
noch einen weiteren Ort: den Ausgang in der
fünften Etage der Geschäftsstelle. Wenn mir
die Arbeit im Büro zu hektisch wird und ich
mal eine Minute Pause machen muss, dann
öffne ich dort die Tür und schaue von oben
in dieses herrliche Stadion. Das ist ein Blick,
den ich jedes Mal wieder genieße.
Gibt es einen besonderen Tag in Ihrem Leben,
den Sie gerne noch einmal erleben würden?
(überlegt)
Es gibt eigentlich zwei Tage: Der
eine ist unser Spiel im Weser-Stadion am
11. Mai 1999 gegen Schalke 04
(Werder
gewann das erste Spiel unter Cheftrainer
Thomas Schaaf mit 1:0 und machte einen
großen Schritt in Richtung Ligaverbleib,
Anm. d. Red.).
Das ist für mich noch immer
einer der wichtigsten Tage in der Geschichte
von Werder Bremen. Ich sehe mich noch auf
der Tribüne in der Tür stehen und auf den
Abpfiff warten. Dann war Schluss, Dieter
Eilts kam nach oben gestürmt, um mich zur
Mannschaft zu holen. Ich wusste, dass ich
direkt danach zum Fernsehinterview muss –
zu Premiere damals. Ich gebe zu, dass es der
einzige Werder-Moment war, in dem ich Trä-
nen vergossen habe. Ich kam zum TV, wur-
de gefragt, ob ich weinen würde. Aber zum
Glück regnete es, und ich konnte mein et-
was nasses Gesicht darauf schieben
(lacht)
.
Sie sprachen von einem zweiten besonderen
Tag…
Es gibt ein ganz persönliches Erlebnis, das
mit unserem Gewinn des Meistertitels 2004
zusammenhängt. Am Tag des entscheidenden
Spiels in München am 8. Mai fanden in Gre-
venbroich die Deutschen Meisterschaften im
Prellball statt, an denen ich teilnahm. Nach
der Vorrunde am Samstag bin ich ins Flug-
zeug nach München gestiegen, habe dort den
3:1-Erfolg erlebt, konnte kurz allen gratulie-
ren, ehe der Flieger zurückging. Am Sonntag
sind wir dann tatsächlich Deutscher Meister
im Prellball geworden. Das ist ein persönli-
ches Highlight und unvergessen für mich.
Wer war Ihr wichtigster Weggefährte?
Ohne Zweifel mein Vorgänger als Präsident,
Dr. Franz Böhmert. Und es tut mir weh, dass
sein Name heute nur noch so wenig genannt
wird. Das zeigt, wie schnelllebig unsere Zeit
ist. Er war für Werder ein solch großer Ge-
winn, insbesondere weil er beim DFB eine
wichtige positive Rolle gespielt hat. Franz
Böhmert hat die Aufgaben mit sehr viel Herz
angepackt, konnte gut vermitteln, Konflikte
lösen. Vielleicht haben wir so gut zusam-
mengepasst, weil wir sehr gegensätzlich wa-
ren. Ich kann auch mal ‚draufhauen‘, sicher
auch mal überziehen. Das hat man bei Franz
Böhmert nie erlebt. Daneben hat mich na-
türlich eine Vielzahl unglaublich toller Mit-
arbeiter begleitet. Einzelne herauszuheben,
würde den anderen nicht gerecht werden.
Was ist Ihnen an Kollegen, Mitarbeitern, Ver-
einsfreunden wichtig?
Das wohl Wichtigste ist für mich Zuverläs-
sigkeit. Und dass jemand bereit ist, Entschei-
dungen zu treffen. Leider
ist es im Fußballgeschäft
weit verbreitet, dass
Menschen nicht ent-
scheiden wollen. Ich mag
es auch, wenn man mir
inhaltlich widerspricht.
Denn gerade aus der
Gegensätzlichkeit von Meinungen entstehen
neue Entwicklungen. Wir haben viele junge
Mitarbeiter mit tollen Ideen und Widersprü-
chen zu meinen Ansichten – das ist prima.
Ich gehöre nicht zu denen, die ihre Meinung
unbedingt durchsetzen müssen. Obwohl im-
mer Teil meines Lebensziels war, nicht nur
bei Werder: Ich wollte nie gedreht werden,
sondern wollte immer selbst mitdrehen, woll-
te mitreden, mithelfen und dazu beitragen,
dass das Umfeld, in dem ich mich bewege,
funktioniert und dass alle gerne mitarbeiten.
Wer ist Ihr Werder-Lieblingsspieler aller Zei-
ten?
In 45 Jahren ist das natürlich schwer auf ein-
zelne Personen zu begrenzen. Aber in der
frühen Zeit war es sicher Horst Dieter Hött-
ges mit seinem Ausspruch: So lange ich bei
Werder spiele, steigen wir nicht ab. Und in
der neuen Zeit war Naldo mein Lieblingsspie-
ler, nicht nur wegen seiner außergewöhnli-
chen fußballerischen Fähigkeiten, sondern
auch wegen seiner herausragenden Einstel-
lung. Er hat sich sehr schnell integriert, sehr
schnell Deutsch gelernt, war bereit, sich am
sozialen Engagement von Werder Bremen
aktiv zu beteiligen. Ein ganz toller Mensch.
Dabei will ich natürlich nicht Pico Schütz,
Rudi Völler, Tim Borowski, Frank Baumann,
Torsten Frings, Marco Bode, Dieter Eilts und
andere vergessen. Zu jeder Zeit hatte Werder
tolle Spieler, die den Verein geprägt haben.
Welche Rolle wird Werder zukünftig in Ihrem
Leben spielen?
Ich möchte weiterhin mit klopfendem Her-
zen hier im Weser-Stadion sitzen. Ich würde
mich auch freuen, wenn ich auf den Fußball-
plätzen und in den Sporthallen von Werder
weiterhin ein gern gesehener Gast bin, der
sich am Nachwuchsfußball, am Handball,
am Tischtennis und an den anderen Sport-
arten bei Werder erfreut. Außerdem hoffe
ich, dass wir in allen Bereichen auch in den
kommenden Jahren so erfolgreich sind. Denn
wenn man sich die Entwicklung von Werder
Bremen anschaut, dürfen wir stolz sein. Als
ich 1970 mit Franz Böhmert begann, hatten
wir 1.500 Mitglieder,
heute sind es knapp
40.000. Ich erinnere
mich an eines unserer
ersten Gespräche, als
wir gesagt haben: Wie
herrlich wäre es, wenn
wir einmal am interna-
tionalen Wettbewerb teilnehmen. Wir haben
dann große Erfolgszeiten unter Otto Rehha-
gel erlebt, danach auch unter Thomas Schaaf.
Auch wenn es schwieriger geworden ist:
Ich glaube an einen Rhythmus im Fußball,
an ein Auf und Ab, das uns die Möglichkeit
geben wird, wieder oben dabei zu sein. Wir
haben die Talsohle durchschritten und sind
dabei, uns zu erholen und wieder anzugrei-
fen. Diese weitere Entwicklung des SV Wer-
der möchte ich noch so lange wie möglich
verfolgen können.
Interview: Martin Lange
Fotos: Martin Rospek
„Wir sind
dabei, wieder
anzugreifen“