

Gutachtliche Entscheidungen
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Die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler
bei der Ärztekammer Nordrhein ist aufgrund eines Be-
schlusses der Kammerversammlung der Ärztekammer
Nordrhein vom 22. November 1975 – als erste ihrer Art – am
1. Dezember 1975 errichtet worden. Ihr Verfahren richtet
sich nach dem ministeriell genehmigten Statut
(siehe Seite
202 f.)
.
Nach
§ 1 Abs. 1
des Statuts verfolgt die Ärztekammer mit der
Errichtung der Gutachterkommission das Ziel, durch objek-
tive Begutachtung ärztlichen Handelns dem durch einen
Behandlungsfehler in seiner Gesundheit Geschädigten die
Durchsetzung begründeter Ansprüche und dem Arzt die
Zurückweisung unbegründeter Vorwürfe zu erleichtern.
Die ehrenamtlichen Mitglieder der Kommission (Mediziner
und Juristen) sind bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben
unabhängig und an Weisungen nicht gebunden. Der Vor-
sitzende und seine Vertreter sollen über langjährige Er-
fahrung als Richter, die übrigen (medizinischen) Mitglieder
und ihre Vertreter über langjährige Erfahrung in ihrem Be-
ruf verfügen und mit dem Gutachterwesen vertraut sein.
Das Verfahren, das für die Beteiligten gebührenfrei ist, be-
ginnt mit dem schriftlichen Antrag eines Patienten oder
Arztes auf Feststellung, ob dem Arzt ein Behandlungsfehler
vorzuwerfen ist, durch den der Patient einen Gesundheits-
schaden erlitten hat oder voraussichtlich erleiden wird. Die
Beteiligten können sich auf ihre Kosten vertreten lassen,
müssen dies aber nicht. Das Verfahren wird regelmäßig
schriftlich durchgeführt. Die Gutachterkommission erörtert
den Sachverhalt mit den Beteiligten mündlich, wenn dies
sachdienlich ist. Sie entscheidet aufgrund des Vorbringens
der Beteiligten, aller beigezogenen Krankenunterlagen so-
wie ggf. des Ergebnisses der mündlichen Erörterung. Sie
kann Sachverständigengutachten einholen, deren wesent-
licher Inhalt den Beteiligten zur Kenntnis gebracht wird.
Eine Klärung streitigen Sachverhalts durch Zeugen- oder
Parteivernehmung nimmt die Gutachterkommission nicht
vor, da diese Möglichkeit nur den Gerichten zusteht. In
zahlreichen Fällen ist eine interdisziplinäre Erörterung an-
gebracht. Diese erfolgt in der monatlich stattfindenden Ple-
narsitzung, an der neben den Juristen sämtliche medizi-
nischen Mitglieder und ihre Vertreter teilnehmen, sodass
nahezu alle Fachbereiche der Medizin vertreten sind.
Das Verfahren wird durch gutachtlichen Bescheid des (stell-
vertretenden) Geschäftsführenden Kommissionsmitglieds
(sog. Erstbescheid) oder durch Entscheidung der Gutachter-
kommission in der Besetzung nach § 4 Abs. 2 des Statuts er-
ledigt, wenn nicht die Beteiligten nach Bekanntgabe eines
zu deren Vorbereitung eingeholten Sachverständigengut-
achtens
(§ 6 Abs. 2 des Statuts)
auf eine förmliche Entschei-
dung verzichten. Gegen einen Erstbescheid kann derjenige,
der durch ihn belastet wird, gemäß
§ 5 Abs. 4
des Statuts die
Entscheidung durch die Gutachterkommission verlangen.
Befriedungsfunktion
Im langjährigen Durchschnitt enden etwa 33 Prozent der
Verfahren mit der Feststellung eines ärztlichen Behand-
lungsfehlers. Diese Quote unterscheidet sich nicht wesent-
lich von der Behandlungsfehlerquote in den gerichtlichen
Arzthaftungssachen, die ebenfalls in etwa einem Drittel zu-
gunsten des Patienten entschieden werden. Den einen Be-
handlungsfehler feststellenden Bescheid kann der Patient
der Haftpflichtversicherung des Arztes vorlegen, die in aller
Regel seinen Schaden reguliert. Verneint der Bescheid ein
fehlerhaftes Verhalten des Arztes, sieht der Patient im Regel-
falle von einer gerichtlichen Klage ab. Nach den wiederhol-
ten Ermittlungen der Gutachterkommission durch umfas-
sende Umfragen bei den Haftpflichtversicherern und den
Betroffenen kommt es in nur etwa 10 Prozent der gutacht-
lichen Bescheide zu einem anschließenden Gerichtsver-
fahren. Die Zahl der abweichenden Gerichtsurteile ist ver-
schwindend gering (unter 1 Prozent) und beruht nicht
selten auf den ergänzenden Klärungsmöglichkeiten durch
Zeugen- und Parteivernehmung.
Behandlungsfehlerprophylaxe
Die Gutachterkommission sieht ihre Aufgabe auch darin,
zur künftigen Vermeidung ärztlicher Behandlungsfehler
beizutragen. Dies geschieht mit Hilfe des außerordentlich
umfangreichen Materials der Kommission, das zurzeit über
33.000 beurteilte Fälle umfasst und, in Form von Grund-
daten und Leitsätzen strukturiert, elektronisch gespeichert
ist. Besonders häufige oder schwerwiegende Schadensfälle
werden gezielt ausgewertet. Die Ergebnisse macht die Kom-
mission den Ärzten des Kammerbezirks durch die jährlich
veröffentlichten Tätigkeitsberichte an die Kammerver-
sammlung, durch warnende Hinweise im
Rheinischen Ärzte-
blatt
und in Fortbildungsveranstaltungen zugänglich, die
sie in enger Zusammenarbeit mit dem Institut für Qualität
im Gesundheitswesen Nordrhein durchführt. Die Entschei-
dungssammlung steht insbesondere auch den Mitgliedern
der Gutachterkommission zur Verfügung, die sie für wis-
senschaftliche Darlegungen in den jeweiligen medizini-
schen Fachzeitschriften, die überregionale Bedeutung ha-
ben, verwenden.
Schon in den 1990er-Jahren war an die Gutachterkommissi-
on wiederholt die Anregung herangetragen worden, gut-
achtliche Entscheidungen in regelmäßigen Berichten zu
veröffentlichen, um die Ergebnisse der Kommissionsarbeit
für die praktische ärztliche Tätigkeit, ggf. auch für die Ent-
wicklung von Leitlinien, nutzbar zu machen. Eine solche
Veröffentlichung kann allerdings nicht durch einfachen (an-
onymisierten) Abdruck der jeweiligen Entscheidung gesche-
hen. Ihre fallbezogene Fassung und die oft umfangreichen
gutachtlichen Anlagen bedürfen der Konzentration auf die
wesentlichen Einzelheiten des Sachverhalts und den maß-
geblichen Kern der Beurteilung. Diese Arbeit wurde in den
ersten vier Jahren von dem früheren Vorsitzenden der Gut-
achterkommission, Präsident des Oberlandgerichts Köln a.D.
Einleitung
Über die Arbeit der Gutachterkommission