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Gutachtliche Entscheidungen

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Die Gutachterkommission hatte wiederholt Patientenbe-

schwerden zu beurteilen, die sich auf die Durchführung einer

Koloskopie und deren Folgeerscheinungen bezogen. Perfo-

rationen des Darmes hatten vielfach zu erheblichen Kompli-

kationen geführt, die in der Regel einer operativen Behand-

lung bedurften.

Allgemeine Bemerkungen

Zu beanstanden war allgemein nicht die Durchführung die-

ser Untersuchung, da eineVerletzung der Darmwand, zumal

in Verbindung mit Probeexcisionen, auch bei größter Vorsicht

und Sorgfalt nicht immer vermeidbar ist. Nur in wenigen

Fällen war die Indikation fehlerhaft gestellt.

Zuweilen haperte es allerdings an der ausreichenden Vorbe-

reitung des Eingriffs, die eine Darmreinigung durch Gabe

einer ausreichend großen Flüssigkeitsmenge (3–4 Liter) am

Vorabend voraussetzt, ferner an der gehörigen Aufklärung

über die Möglichkeit dieser typischen Komplikation. Zumeist

betrafen die Beanstandungen die mangelnde Überwachung

bei Beschwerden und die entsprechende Nachsorge. So auch

in dem nachfolgend geschilderten Fall.

Der Sachverhalt

Aus den Krankenunterlagen der beschuldigten Ärzte (Inter-

nist und Allgemeinmediziner) sowie der im Notdienst tätig

gewordenen Ärztin und der nachbehandelnden Klinik ergab

sich folgender Sachverhalt: Der 75-jährige Patient stellte

sich wegen Unregelmäßigkeiten des Stuhlgangs, Müdigkeit,

Schwäche,Gewichtsabnahme und Anämie bei seinemHaus-

arzt (Allgemeinmediziner) vor, der zum Ausschluss eines

Darmtumors eine Koloskopie beim Internisten veranlasste.

Vor deren Durchführung wurden 0,4 ml Dormicum i.v. und

1 Ampulle Buscopan i.m. gegeben. Die Spiegelung erfolgte

bis zum aufsteigenden Dickdarm und wurde dann beendet,

weil eine starke Darmverschmutzung die Sicht behinderte.

Nach Schilderung des Patienten traten bei der Untersuchung

starke Schmerzen auf. Aus den untersuchten Abschnitten

wurden Gewebeproben entnommen, die 4 Tage später beim

Pathologen eingingen. In ihnen wurden am 6. Tag nach der

Koloskopie feingeweblich „gebündelte glatte Muskulatur,

möglicherweise aus der Wand des Dickdarms“ sowie ein

leicht fibrosiertes Fettgewebe mit mesothelialen Deckzellen

gefunden, jedoch keine Dickdarm-Schleimhaut. Nach diesen

Befunden wurde vom Pathologen die Frage nach der Ent-

nahmestelle und einem Darmdefekt gestellt (das heißt nach

einer Perforation des Dickdarms).

Der Internist empfahl dem Hausarzt telefonisch eine ergän-

zende Röntgenuntersuchung und bat den Patienten, der

nach der Koloskopie über Schmerzen klagte, noch am selben

Tage seinen Hausarzt aufzusuchen. Auch diesemArzt gegen-

über äußerte der Patient Schmerzen im Bauch. Der Hausarzt

überwies den Patienten an ein Röntgeninstitut zwecks Durch-

führung der empfohlenen Röntgenuntersuchung, ohne auf

die Beschwerden weiter einzugehen. Der Patient bemühte

sich an diesem Tag erfolglos um einen sofortigen Termin.

Am nächsten Tag verstärkten sich die Schmerzen. Hierüber

unterrichtete der Patient den Internisten, der ohne Untersu-

chung „schmerzstillende Zäpfchen“ verordnete. Die am da-

rauffolgenden Morgen herbeigerufene Notärztin veranlass-

te die sofortige stationäre Einweisung.

Bei derAufnahme in derchirurgischenAbteilung des Kranken-

hauses bestanden diffuse Bauchschmerzen; der Leib, insbe-

sondere der Unterbauch, war massiv gespannt. Röntgenolo-

gisch fand sich viel freie Luft im Bauchraum unter dem

Zwerchfell. Die Leukozyten waren auf 13,0/nl erhöht.

Bei der anschließenden Operation wurde eine gedeckte Per-

foration am rektosigmoidalen Übergang ohne Hinweise auf

tumoröse Veränderungen oder Divertikel festgestellt. Es er-

folgte eine Resektion des betroffenen Dickdarmanteils. Im

9 cm langen Dickdarm-Resektat wurde bei der feingewebli-

chen Untersuchung eine „frischere tagealte Wandperforation

des Dickdarms mit fokaler Serositis“ beschrieben.

Beurteilung durch die Gutachterkommission

Dieser Sachverhalt wurde auf der Grundlage eines Fachsach-

verständigen-Gutachtens wie folgt gutachtlich beurteilt:

Die Indikation zur Koloskopie mit den ebenfalls indizierten

Probeexcisionen aus einem endoskopisch nicht sicher zu be-

urteilendenAreal imBereich des rektosigmoidalenÜbergangs

war nicht zu beanstanden.

Abgesehen von der Vorbereitung (keine ausreichende Dick-

darmentleerung) konnten Mängel hinsichtlich der Durch-

führung nicht festgestellt werden, da die zunächst nicht er-

kannte Perforation im Zusammenhang mit den Probeexci-

sionen kein Indiz für ein vorwerfbar fehlerhaftes Vorgehen

bedeutet. Eine solche Komplikation ist trotz sorgfältigster

Behandlung nicht immer sicher zu vermeiden. Über die

– wenn auch selten eintretende – Möglichkeit einer Verlet-

zung der Darmwand und ihrer Folgen war allerdings aufzu-

klären, da es sich dabei um ein typisches Risiko einer Kolos-

kopie handelt, das nach der Literatur in 0,14 Prozent bis

0,25* Prozent zu erwarten ist.

Der Internist hatte weder ein Aufklärungsgespräch noch die

Einwilligung des Patienten dokumentiert, so dass insoweit

das Vorgehen des Arztes zu beanstanden war.

Als vorwerfbar fehlerhaft war dann vor allem das Verhalten

des Internisten im unmittelbaren Anschluss an die Untersu-

chung zu beurteilen. Die Beschwerden des Patienten, die

Vermeidbare Fehler bei der Koloskopie

Perforation des Darmes kann zu erheblichen Komplikationen führen

* H. Lent, Erfahrungen der Gutachterkommission bei der Ärztekammer Nordrhein mit „Zwischenfällen“ in der Endoskopie.

Hamburger Arbeitsgemeinschaft für Gastroenterologie 25.11.1992