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Gutachtliche Entscheidungen

Behandlung des Diabetes mellitus

Doppler-sonographisch ließen sich imApril 1996 an beiden

Füßen die Pulse der a. tibialis posterior und der a. dorsalis

pedis nicht nachweisen.

Am 3. Juni 1996 suchte die Patientin denArzt wegen Schwin-

delgefühlen und einer Gangunsicherheit auf. Im Hinblick

auf den hohen Blutzucker von 399 mg/dl wurden nun zusätz-

lich Glukophage mite

®

(Metformin) verordnet und die Blut-

zucker- und Diätsituation sowie die diabetische Polyneuro-

pathie erörtert.

Am nächsten Tage wurde die Patientin als Notfall in der Inne-

ren Abteilung eines Krankenhauses stationär aufgenommen.

Dabei war sie verwirrt, hatte eine bradycarde Herztätigkeit

bis 30/Min. und einen Blutzucker von 456 mg/dl. Dazu be-

standen eine fieberhafte Harnwegsinfektion, eine Links-

herzinsuffizienz sowie im EKG ein AV-Block III. Grades und

ein vollständiger Linksschenkelblock bei einer Frequenz um

40 Schlägen/Min. Die anfangs bedrohliche Situation wurde

durch die Implantation eines Herzschrittmachers sowie die

Einstellung des Diabetes auf 3 x 3,5 mg Glibenclamid, 2 x

280 mg Metformin sowie 3 x 50 mg Acarbose beherrscht, so

dass die Patientin nach 3 Wochen in gutem Allgemeinzu-

stand wieder nach Hause entlassen werden konnte.

Beurteilung durch die Gutachterkommission

Dieser Sachverhalt wurde nach Beratung im Plenum der

Kommission wie folgt gutachtlich beurteilt:

Zunächst war die gänzlich unzureichende Dokumentation

in den Behandlungsunterlagen des Arztes zu beanstanden, in

denen Angaben über die Behandlung des Diabetes mellitus

vermisst wurden. Aufgrund der gemessenen Blutzuckerwer-

te lag ein behandlungsbedürftiger Diabetes mellitus Typ IIA

vor, der nicht nur durch regelmäßige Blutzuckerkontrollen,

sondern auch durch etwa wöchentliche Untersuchungen

des Urins auf Zucker und Aceton (u.a. durch die Patientin)

sowie Bestimmungen des Körpergewichts hätte überwacht

werden müssen.

Diese Maßnahmen über einen Zeitraum von über 4 Jahren

nicht nachweisbar vorgenommen oder veranlasst zu haben,

entsprach nicht dem seinerzeitigen Standard einer Diabetes-

Therapie und wurde von der Gutachterkommission als

schwerwiegendes Versäumnis der gebotenen ärztlichen Sorg-

falt des Internisten bewertet.

Hierdurch wurde eine ausgeprägte Kohlenhydrat-Stoff-

wechselstörung mit sekundärer Hyperlipidämie unzurei-

chend behandelt. Das Versäumnis war in dem betreffenden

Zeitraum geeignet, die Ausbildung einer diabetischen Makro-

und Mikroangiopathie zu begünstigen, aller Wahrschein-

lichkeit nach mit den Folgen einer peripheren arteriellen

Verschlusskrankheit sowie einer diabetischen Nephro- und

Polyneuropathie, die sich unter einer sachgerechten Thera-

pie in weniger ausgeprägter Form entwickelt hätten.

Die Feststellung eines schwerwiegenden (=„groben“) Behand-

lungsfehlers kann für die Frage, ob die fehlerhafte Behand-

lung die eingetretenen Komplikationen verursacht hat, zur

Umkehr der Beweislast führen. Das bedeutet, dass in einem

solchen Fall nicht der Patient die Kausalität nachzuweisen

hat.Vielmehr hat dann der betroffene Arzt zu beweisen, dass

die Gesundheitsschäden nicht eine Folge seiner Behand-

lungsmängel sind. Das dürfte bei dem gegebenen Sachver-

halt kaum gelingen.

Herbert Weltrich und Herwarth Lent