Zur Deckelung von Vorstandsgeha¨ltern,
oder: „It’s accounting, stupid!“
E
s darf nicht verwundern, wenn sich die
Politik im Wahlkampfjahr des Themas
der Begrenzung der Vorstandsgeha¨lter an-
nimmt. Das Schweizer Referendum gab
hierzu einen willkommenen Anlass. Dabei
musste wohl auf die Empo¨rungswelle(n)
politisch reagiert werden. Damit soll nicht
gesagt werden, dass eine entsprechende
Symbolpolitik nicht auch sinnvoll sein
ko¨nnte. Zudem geht von den Entlohnungs-
systemen eine Anreizwirkung aus, die unter
bestimmten Bedingungen und an den fal-
schen Stellen gesetzt eine „systemrelevan-
te“ Wirkung entfaltet.
E
rfolgsabha¨ngige Entloh-
nung von Gewinnermitt-
lungsregeln abha¨ngig
Zum einen erscheint jedoch die Zielrich-
tung und Problemstellung der Diskussion
eher unklar, was sicher nicht bei der Erarbei-
tung einer ada¨quaten Problemlo¨sung hilf-
reich sein kann. Zum anderen wird ein wich-
tiger Punkt u¨bersehen: Erfolgsabha¨ngige
Entlohnung hat immer auch etwas mit den
Regeln der Gewinnermittlung, d. h. mit
der Rechnungslegung, zu tun. Die Instituti-
on Rechnungslegung ist ein wichtiger Be-
standteil der Corporate Governance. Wu¨rden
bei der Standardsetzung der Gewinnermitt-
lungsregeln die entsprechenden Entloh-
nungsprobleme beru¨cksichtigt werden,
mu¨ssten diese nicht durch Eingriffe im Be-
reich der Kompetenzzuordnung oder gar
durch paternalistische Maßnahmen des Ge-
setzgebers (in der Schweiz ging die Initiative
im U¨ brigen vom Volke aus) angegangen wer-
den.
Zuna¨chst mu¨sste jedenfalls gekla¨rt wer-
den, welche Probleme hinsichtlich der Ent-
lohnung von Vorsta¨nden u¨berhaupt gelo¨st
werden sollen. Unterstellt man eine dem
gesamtwirtschaftlichen Interesse verpflich-
tete und nicht opportunistische Politik,
ko¨nnte es dieser um
– die Beseitigung von gesamtwirtschaft-
lich relevanten Fehlanreizen durch (zu
hohe) erfolgsabha¨ngige Entlohnung
und/oder
– um ein wichtiges Symbol in der sog.
„Gerechtigkeitsdebatte“
gehen. Insbesondere die zweite Zielrich-
tung ko¨nnte freilich von politischen Eigen-
interessen u¨berlagert werden, indem
gleichsam eine „Neiddebatte“ initiiert wird.
Aber das soll hier nicht weiter interessie-
ren. Entscheidend ist, dass die „Lo¨sung“
dieses Problems wohl keine o¨konomische
Analyse der Anreizsysteme erfordert. Viel-
mehr wird folgender politischer „Situati-
onslogik“ gefolgt: Die Politik muss (warum
auch immer) etwas machen. Maßnahme X
oder Y ist „etwas“. Folglich wird Maßnahme
X und/oder Y beschlossen. Die Schwierig-
keiten liegen eher im Bereich der politi-
schen Mehrheiten-Beschaffung, der Kom-
promissfindung („Beschlussformel“: 0,7
H
X + 0,2
H
Y +
e
) und der Erkla¨rung, warum
„0,7
H
X + 0,2
H
Y +
e
“ unter den gegebe-
nen Umsta¨nden genau das Richtige fu¨r das
Land sein soll (die Opposition hat hin-
gegen zu erkla¨ren, warum das nicht der Fall
ist oder warum „0,4
H
X + 0,6
H
Y +
e
“ bes-
ser sei oder dass alles ihre Idee war).
B
eseitigung von
Fehlanreizen
Geht es um die Beseitigung von Feh-
anreizen, stellt sich die o¨konomische Situa-
tion komplexer dar. Eine Einda¨mmung der
Risikofreude und der Kurzsichtigkeit, ko¨nn-
te ggf. nur fu¨r bestimmte Branchen rele-
vant sein. Insbesondere dort, wo Gla¨ubiger
die Risiken der Gescha¨ftspolitik nicht ein-
kalkulieren, da ihre Anspru¨che vom Steuer-
zahler „gerettet“ werden, versagt na¨mlich
die betreffende Marktkontrolle (Stichwort:
„
too big to fail
“).
Der Vorschlag, die Entscheidung u¨ber
die Vergu¨tung der Vorsta¨nde auf die Haupt-
versammlung zu u¨bertragen klingt zu-
na¨chst aus marktwirtschaftlicher Sicht ver-
nu¨nftig. Doch stellt in der „modernen“ In-
vestitionstheorie ein Unternehmen ein blo-
ßes Anlageobjekt, d. h. ein Mittel-zum-
Zweck zur Optimierung des Konsumeinkom-
mensstroms der (potenziellen) Anteilseig-
ner dar (vgl.
Schmidt/Terberger
, Grundzu¨ge
der Investitions- und Finanzierungstheorie,
4. Aufl. 1997, S. 40 ff.). Somit ist ein Un-
ternehmen aus Sicht eines diversifizierten
Anteilseigners nur ein „Bu¨ndel“ von Zah-
lungsstro¨men, welches es zu optimieren
gilt. Das Eigenkapital ist bei beschra¨nkter
Haftung mit einer Option vergleichbar, da
es aus Investorensicht den Wert Null nicht
unterschreiten kann, wa¨hrend diese an
Wertsteigerungen unbegrenzt teilhaben.
Dabei pusht die Erho¨hung des Verschul-
dungsgrades die Eigenkapitalrentabilita¨t
(
leverage effect
). Somit ist es fu¨r diversifi-
zierte Anteilseigner ggf. sogar sinnvoll,
dem Management durch eine hohe erfolgs-
abha¨ngige Entlohnung oder Aktienoptio-
nen Anreize fu¨r eine riskante Investitions-
strategie und zur Erho¨hung des Verschul-
dungsgrads zu geben. Die „Deckelung“ der
Vorstandsbezu¨ge ist also nicht unbedingt
im Anteilseignerinteresse. Auch lohnt es
sich oftmals fu¨r den Kleinanleger gar nicht,
sich mit solchen Themen wie der Vorstands-
vergu¨tung auseinanderzusetzen. Vielfach
will bzw. kann der Kleinanleger die Auswir-
kungen solcher Entscheidungen auch nicht
angemessen beurteilen. Warum sollte eine
„Deckelung“ also von der Hauptversamm-
lung beschlossen werden, sofern diese den
eigenen Interessen zuwider la¨uft? Vielmehr
sollte der Aufsichtsrat in der Lage sein, ei-
ne leistungsgerechte und angemessene
Vergu¨tung fu¨r Vorstandsmitglieder im Inte-
resse des Unternehmens festzusetzen. Er
vertritt schließlich neben den „risikohung-
rigen“ auch die weniger „risikohungrigen“
Interessen.
Bei gewinnabha¨ngiger Vergu¨tung soll-
ten Anreizprobleme besser an der Wurzel
angepackt werden. Die IFRS-Gewinnermitt-
lung setzt in vielen Bereichen Anreize fu¨r
eine riskante und kurzsichtige Unterneh-
menssteuerung. Zu nennen ist die Nicht-
abschreibung des Goodwills u¨ber die Nut-
zungsdauer, die Aktivierung von Verlustvor-
tra¨gen und – vor allem in der Finanzbran-
che – die erfolgswirksame Fair Value-Be-
wertung von Finanzinstrumenten des Han-
delsbestands. Hier werden Fehlanreize ge-
setzt, welche durch die gewinnabha¨ngige
Entlohnung noch versta¨rkt werden. Unrea-
lisierte Scheingewinne ko¨nnen na¨mlich
„bonuswirksam“ vereinnahmt werden.
Maßnahmen zur Verbesserung der gewinn-
abha¨ngigen Entlohnung, sollten daher (zu-
na¨chst) bei der Gewinnermittlung anset-
zen. Oder, frei nach
Bill Clinton: „It’s
accounting, stupid!“
Dr. Andreas Haaker, DGRV/FernUni Hagen /
Alexander Bull, Vorstand des DVAI/FernUni
Hagen
u
DB0585299
DER BETRIEB | Nr. 15 | 12. 4. 2013
Gastkommentar
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