

Gutachtliche Entscheidungen
149
Urotheliale Karzinome gehen von der Schleimhaut des
Nierenbeckens, des Harnleiters und der Harnblase aus. Sie
finden sich entsprechend der größeren Oberfläche mehr-
heitlich in der Harnblase, können aber auch zeitgleich und
später in allen drei Etagen der ableitenden Harnwege auftre-
ten. Männer sind dreimal häufiger betroffen als Frauen.
Wie bei keinem anderen Tumor sind im Hinblick auf die
Karzinogenese Toxine erkannt und erforscht worden, ob-
wohl der Nachweis eines Zusammenhanges im Einzelfall
schwierig ist.
Die schmerzlose Harnblutung ist in 80 Prozent der Fälle das
typische Erstsymptom;„dysurische“ Beschwerden wie auch
entzündliche Befunde können ein urotheliales Karzinom
maskieren. So wird in den fachlichen Leitlinien empfohlen,
dass eine Harnblutung so lange als tumorverdächtig zu gel-
ten hat, bis ein Tumor gefunden oder aber eine andere Blu-
tungsquelle nachgewiesen worden ist. Denn Verlauf und
Prognose eines urothelialen Karzinoms sind wie bei ande-
ren Tumorentitäten abhängig vom Tumorstadium und vom
Grad der Bösartigkeit zum Zeitpunkt der Diagnosestellung,
Kriterien also, die auch für die Therapie bestimmend sind.
Eine kurative transurethrale Resektion ist nur dann mög-
lich, wenn das Harnblasenkarzinom im Stadium pT1 noch
nicht in die Muskulatur eingebrochen ist und eine zeitge-
rechte Nachresektion diesen Befund bestätigt. Bei Einbruch
des Karzinoms in die Muskulatur ist eine Heilung nur durch
die radikale Entfernung der Harnblase mit Bildung einer Er-
satzblase möglich. Bei Einbruch in Nachbarorgane muss die
Operation auch deren Sanierung durch − anteilige − Darm-
resektion oder Uterus- und Adnexentfernung umfassen. Mit
entsprechenden Fällen wurde die Gutachterkommission
wiederholt befasst.
Fall 1 – Sachverhalt
Der 54-jährige Patient litt im April an einer akuten Mik-
tionsstörung mit sichtbarer Harnblutung. Im August/
September wurde bei einer hausärztlichen Untersuchung
der Nachweis einer Erythrozyt- und Leukozyturie geführt.
Es erfolgte eine Behandlung mit Tavanic
®
.Anschließend be-
stand die Erythrozyturie fort. Daraufhin erfolgte im Sep-
tember eine erste Untersuchung durch den belasteten Uro-
logen. Hierbei wurde die Leukozyturie bestätigt, die Prosta-
ta war schmerzhaft. Bei der Urethro-Zystographie wurde ei-
ne Prostatavergrößerung dargestellt. Bei derAusscheidungs-
Urographie fanden sich regelrechte Verhältnisse. Blutwerte
(Kreatinin, PSA) waren unauffällig. Es wurde die Diagnose
einer rezidivierenden Prostatitis (ohne Zwei- oder Drei-
Gläser-Probe) gestellt.
Im Oktober trat neuerlich eine Miktionsstörung mit termi-
naler Hämaturie auf. Bei der Untersuchung durch den Uro-
logen waren der Harnstatus normal und die Prostata
schmerzhaft. Es erfolgte eine Behandlung mit Enoxor
®
.
Im November und Dezember nahmen die Beschwerden ab,
persistierten jedoch bei Vollfüllung der Harnblase. Im Janu-
ar des Folgejahres traten wiederkehrende Schmerzen beim
Wasserlassen auf. Im Harnstatus wurden Erythrozyten und
Leukozyten nachgewiesen. Die Sonographie der Harn-
organe war ohne Krankheitsbefund.
Im Juli trat wiederum eine Miktionsstörung ohne Blutab-
gänge auf. Im Harnstatus fand sich eine Erythrozyturie. Bei
der Sonographie wurde der Nachweis einer vergrößerten
Prostata geführt. Im Septemberwurde bei anhaltenden Mik-
tionsbeschwerden erneut eine Makrohämaturie festgestellt.
Die Behandlung erfolgte mit Tarivid
®
. Im November nahm
die Miktionsstörung zu mit terminaler Hämaturie.
ImDezemberwurde bei einer Urethrozystoskopie ein Harn-
blasentumor nachgewiesen. Im Januar des nächsten Jahres
erfolgten die transurethrale Resektion des Harnblasentu-
mors und der Prostatawucherung. Die histologische Unter-
suchung wies ein muskel-invasives Harnblasenkarzinom
geringer Differenzierung (pT 2 G3) nach. Nachfolgend wur-
de eine pelvine Lymphadenektomie mit Nachweis von bila-
teralen Metastasen vorgenommen. Es folgte eine palliative
Zystektomie mit orthotoper Ileozystoplastik.
Bei der histologischen Untersuchung fand sich ein 2,5 x 2 cm
durchmessendes Harnblasenkarzinom ohne exophytisches
Wachstum mit Infiltration bis in das Fettgewebe. Nach der
Operation trat eine Pneumonie mit respiratorischer In-
suffizienz auf. Wegen eines Ileus war eine Relaparatomie
und wegen einer Anastomosenstenose eine Ileozökostomie
erforderlich. Nach allmählicher Erholung wurde von März
bis Mai eine Chemotherapie angeschlossen. Im Oktober
fanden sich bei den bildgebenden Untersuchungen von
Abdomen, Schädel und Knochen zahlreiche Metastasen. Im
Januar des nächsten Jahres erfolgte bei Tumorprogression
eine Schmerztherapie. Im Juli trat der Tod ein.
Fall 2 – Sachverhalt
Die 75-jährige Patientin wurde im September nach frühe-
rer Uterusextirpation und linksseitiger Adnexektomie (vor
31 Jahren) wegen eines Zystadenoms einer Adnexektomie
rechts unterzogen.Wegen anschließender Makrohämaturie
nach fraglicher Harnblasenläsion nahm der behandelnde
Frauenarzt eine Zystoskopie vor, bei der als mögliche Ope-
rationsfolge Schleimhautveränderungen nachgewiesen
wurden.
Von Oktober bis zum Mai des übernächsten Jahres erfolgten
insgesamt 22 Behandlungen durch den belasteten Urologen.
Im Januar des auf den gynäkologischen Eingriff folgenden
Jahres bestanden Blasenbeschwerden; die Untersuchungen
ergaben den Nachweis einer Erythrozyturie und Leukozy-
turie. Die Sonographie war ohne Krankheitsbefund. Im
Februar blieb eine Miktionszystourethrographie ohne
Nachweis eines Refluxes oder eines Deszensus. Die Aus-
Versäumnisse bei der Diagnose des Harnblasenkarzinoms
Bei Blutzellen im Harn den Verdacht auf ein Karzinom mit geeigneten Methoden
nachweisen oder ausschließen