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Gutachtliche Entscheidungen

Die Entwicklung dieser Querschnittlähmung sei eindeutig

auf eine sogenannte spinale Einklemmung zurückzufüh-

ren, die dann eintrete, wenn postpunktionell noch Liquor

aus der Punktionsstelle der Dura mater in das umgebende

Gewebe sich entleert und es dadurch zu einem Tiefertreten

des Rückenmarks kommt. Dies bleibe normalerweise fol-

genlos, sei aber in diesem Fall, in dem man nicht mit der

Möglichkeit eines thorakalen Bandscheibenvorfalls gerech-

net habe, dahingehend deletär gewesen, dass es zu einer

Durchblutungsstörung des Rückenmarks mit der sich an-

schließend entwickelnden Querschnittlähmung gekommen

sei.

Obwohl die folgerichtig durchgeführte Operation zunächst

erfolgreich gewesen sei, habe sich nach zweiWochen erneut

eine Querschnittlähmung entwickelt. Die erneute Operati-

on habe bei fehlendem diagnostischem Nachweis sonstiger

Schädigungsfaktoren keine Besserung der Querschnittsym-

ptomatik mehr bewirkt. Man müsse davon ausgehen, dass

sich ein sogenanntes Arteria spinalis anterior-Syndrom ein-

gestellt habe, wodurch es zu einer Durchblutungsstörung

des Rückenmarks mit dem klinischen Bild der Querschnitt-

lähmung gekommen sei. Möglicherweise sei diese durch die

diabetische Stoffwechsellage der Patientin begünstigt wor-

den.

Abschließend stellt der gutachtliche Bescheid fest, dass die

durch die Myelographie bedingte spinale Einklemmung die

Irreversibilität der Querschnittlähmung begünstigt habe.

Nachdem bei der Patientin keine Hinderungsgründe für die

Durchführung einer MRT (Metall, Schrittmacher, Klaustro-

phobie) vorgelegen hätten, sei eindeutig festzustellen, dass

vor der Durchführung der invasiven Untersuchung in Form

der Myelographie zunächst eine MRT der gesamtenWirbel-

säule, die auch ambulant hätte vorgenommen werden kön-

nen, grundsätzlich zu fordern gewesen wäre. Eine invasive

Untersuchung wie die Myelographie dürfe erst dann durch-

geführt werden, wenn andere, nicht invasive Verfahren kei-

nen verwertbaren Befund erbracht hätten. Die Durchfüh-

rung der Myelographie sei daher in der heutigen Zeit als Be-

handlungsfehler zu bewerten und habe die Querschnittläh-

mung begünstigt.

Folgerungen

Die vorstehend dargestellte Entscheidung bietet Anlass dar-

an zu erinnern, dass der Arzt verpflichtet ist, Diagnostik und

Therapie nach dem im jeweiligen Zeitpunkt geltenden me-

dizinischen Standard durchzuführen, auch wenn spezielle,

den Einzelfall betreffende Richtlinien oder Leitlinien nicht

existieren. Der medizinische Standard entspricht dem gesi-

cherten Stand der medizinischen Wissenschaft, der ärztli-

chen Erfahrung und der anerkannten medizinischen Praxis.

Für den vorliegenden Fall war von Bedeutung, dass zwar die

primäre Durchführung einer Myelographie seit über 30 Jah-

ren die bewährte und allgemein anerkannte Methode zur

Diagnose spinaler Erkrankungen gewesen war, inzwischen

jedoch als weitere Methode die MRT zur Verfügung stand.

Während die Myelographie wegen der damit verbundenen

Kontrastmitteleinbringung eine invasive Untersuchungsme-

thode mit entsprechendem Gefährdungspotential darstellt,

entfällt bei der neueren Methode die invasive Komponente,

sodass die damit verbundenen Risiken erheblich vermindert

sind. Die MRT bringt daher sowohl dem Patienten als auch

dem behandelnden Arzt Vorteile und ist auch im Ergebnis

meist der alten Methode überlegen. Sie ist zudem seit Jahren

wissenschaftlich anerkannt und unumstritten und steht in-

zwischen überall zur Verfügung. Bei der Diagnose spinaler

Erkrankungen sollte sie daher, wenn keine Hinderungs-

gründe vorliegen, in jedem Fall als primäres Untersuchungs-

verfahren angewandt werden.Dies entspricht der anerkann-

ten medizinischen Praxis und Erfahrung. Dagegen versto-

ßen zu haben, musste daher als Behandlungsfehler gewertet

werden.

Michael Schirmer und Erwin Wolf

Ist die Myelographie obsolet?