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Gutachtliche Entscheidungen
ten Ferse festgestellt. Aus der Tatsache, dass bis zum 6. Tag
in der Akte keinerlei Vermerke zur Dekubitusprophylaxe
vorhanden waren, war zu folgern, dass diese auch nicht
stattgefunden hat.
Prophylaxe nur teilweise durchgeführt
Bei einem hochgradig dekubitusgefährdeten, 87-jährigen,
multimorbiden, insulinpflichtigen und überwiegend bettlä-
gerigen Patienten mit schwerer akuter Bronchitis entwickel-
ten sich 4 Dekubitalulzera III.–IV. Grades im Sakral- und
Fersenbereich. Die Pflegedokumentation wies eine Dekubi-
tusprophylaxe bis zum 8. Tag mit Umlagern tagsüber und
Eincremen der Prädilektionsstellen aus. Laut Pflegebericht
wurden an diesem Tag dem betreuenden Arzt eine Dekubi-
tusrötung und eine kleine offene Stelle gezeigt und ver-
merkt, dass keine ärztliche Anordnung getroffen wurde. Am
10.Tag kam eine Antidekubitusmatratze zum Einsatz, am 11.
Tag wurde ein Chirurg konsiliarisch hinzugezogen, der eine
Fortsetzung der Lokaltherapie empfahl. Bei Entlassung am
12.Tag erfolgte − ohne Befundbeschreibung − die Empfehlung
an den Hausarzt von „Hydrocoll®/Sorbalgon® am Gesäß“.
Der Hausarzt wies den Patienten 4 Tage später zur chirurgi-
schen Wundbehandlung ein. Folgende Sorgfaltsmängel wa-
ren festzustellen: keine Einschätzung des Dekubitusrisikos,
fehlender Lagerungsplan mit Angabe der Frequenz des Um-
lagerns sowie der angewandten Lagerungsform, ferner ver-
säumte nächtliche Umlagerung, verspäteter Einsatz der An-
tidekubitusmatratze und Unterlassen ärztlicher Anordnun-
gen zur Behandlung des eingetretenen Dekubitus.
Dekubitusentstehung mangels Kontrolle verkannt
Bei einem Patienten wurde am Ende einer Knieendoprothe-
senwechseloperation trotz bekannter arterieller Durchblu-
tungsstörungen und eines nach Hauttransplantation abge-
heilten chronischen Ulkus im Bereich der Achillessehne nach
einer Kriegsverletzung ein Verband angelegt, der am 3. Tag
erstmalig gewechselt wurde. Zu diesem Zeitpunkt lagen ein
Dekubitus II. bis III. Grades von 4 cm Durchmesser an der
Ferse und eine bläuliche Verfärbung der transplantierten
Hautstelle vor. Zu beanstanden war, dass ärztliche Anord-
nungen für eine absolut druckfreie Lagerung und eine Termi-
nierung der 1.Verbandskontrolle nicht getroffenwordenwaren.
Fehlbehandlung
Patientenführung
Verdreifacht sich innerhalb von 3 Monaten ein Dekubitalul-
kus unter regelmäßiger ambulanter Behandlung mit ES-
Kompressen
®
, Fixomull
®
und Fuzidine-Gaze
®
sowie zeit-
weiser Verschreibung eines Antibiotikums und erlangt der
Arzt Kenntnis davon, dass die Patientin infolge Uneinsich-
tigkeit die Wunde selbst mittels Küchenrollenpapier und
Drogerieartikeln behandelt, so ist ihm vorzuwerfen, profes-
sionelle Hilfe mit regelmäßigen Verbandswechseln nicht
veranlasst und die Anwendung von adäquaten Wundver-
bänden unterlassen zu haben. Nach Arztwechsel war nach
5 Monaten eine Abheilung erreicht.
Schmerzbehandlung
In diesem Fall lehnte die teilmobilisierte multimorbide Pa-
tientin nach einer Intensivtherapie bei schwerer Lungenent-
zündung vor allem wegen Schmerzen Lagerungshilfen und
pflegerische Maßnahmen zum Teil ab. Aber auch wenn dies
so in den Unterlagen dokumentiert wurde, war davon aus-
zugehen, dass die Dekubitusprophylaxe nicht mit der erfor-
derlichen Intensität durchgesetzt und bei den Umlagerungs-
maßnahmen eingetretene Schmerzzustände nicht ausreichend
bekämpft wurden. Sonst hätte wohl der erst eine Woche
nach Verlegung von der Intensivstation aufgetretene sakrale
Dekubitus nicht nach 11Tagen ein Stadium IVerreichen können.
Keine Überprüfung der Maßnahmen
Aufgrund einer über etwa 4 Tage unbemerkt gebliebenen
Fehlfunktion der Antidekubitusmatratze verschlechterte
sich der trotz im Übrigen sachgerechter Prophylaxe bei einer
mäßig kooperierenden 72-Jährigen mit hohem Dekubitus-
risiko aufgetretene Dekubitus II. Grades im Kreuzdammbe-
reich rapide. Nach Austausch der Lagerungshilfe konnte
schnell eine deutliche Rückbildungstendenz erreicht werden.
Unzureichende Entlassungsuntersuchung
28 Stunden nach der Entlassung eines Patienten mit sehr ho-
hem Dekubitusrisiko wurde vom ambulanten Pflegedienst
ein Dekubitus II. Grades festgestellt, aus dem sich in den
nächsten 48 Stunden ein operationspflichtiger drittgradiger
Dekubitus entwickelte. Dieser schnelle Zeitablauf spricht
für einen Sorgfaltsmangel des Krankenhauses, auch wenn
laut Entlassungsbericht der Patient angeblich frei von Haut-
läsionen entlassen worden war. Diese Auffassung wird da-
durch gestützt, dass im Krankenblatt die Lagerungsnotwen-
digkeit vermerkt ist, eine Dokumentation der Maßnahmen
und ein Lagerungsplan aber fehlen. Deshalb war davon aus-
zugehen, dass die Prophylaxe nicht erfolgte und der Entlas-
sungsbefund nicht den Gegebenheiten entsprach.
Haftung
Die Verantwortung dafür, dass der Patient im Rahmen der
Behandlung keinen Dekubitus entwickelt, liegt primär beim
Arzt, auch wenn das Pflegepersonal für die Umsetzung der
Maßnahmen zeichnet. Wird eine Dekubitusprophylaxe trotz
erkennbar hohen Risikos unterlassen, so haftet der Arzt für
die eingetretenen Folgen. Bei den in den letzten 4 Jahren
festgestellten 18 Behandlungsfehlern traten 10-mal zweit-
gradige, 5-mal drittgradige und 4-mal viertgradige Dekubi-
talgeschwüre mit teilweise langen Heilungsverläufen auf.
Insgesamt war bei 4 Patienten eine Hauttransplantation
durchgeführt worden. In einem Verfahren wurde eine Haf-
tung auch für den Tod des Patienten bestätigt. Der Patient
war an den Folgen eines septischen Multiorganversagens auf
dem Boden eines ausgedehnten sakralen Dekubitalulkus mit
fistelnder Abszedierung bis zum Hüftgelenk verstorben.
Aufgrund der Behandlungsunterlagen des betreuenden Haus-
arztes konnte die zum Tode führende Zustandsverschlech-
terung eindeutig auf den Dekubitus zurückgeführt werden.
Fazit
Auch wenn nicht jeder Dekubitus zu verhindern ist, müssen
im Patienteninteresse alle dazu gegebenen Möglichkeiten
genutzt werden.DerArzt muss umgehend über eine Befund-
verschlechterung informiert werden, damit er die erforderli-
chen Maßnahmen zeitnah und zielgerichtet anordnen kann.
Dies setzteineguteKooperationzwischenArztundPflegevoraus.
Beate Weber und Hans-Joachim Castrup
Ärztliche Fehler bei der Dekubitusprophylaxe