

In der Ausgabe März 2004 des
Rheinischen Ärzteblattes
war
eine gutachtliche Beurteilung veröffentlicht worden, in der
als entscheidender Behandlungsfehler einer Medizinischen
Klinik vorgeworfen wurde, die Bestimmung des Faktors IX
bei einem Risikopatienten unterlassen zu haben. Dessen
Faktor IX-Synthesestörung war in derselben Klinik knapp
zwei Jahre zuvor festgestellt und mehrfach aktenkundig
gemacht worden. Es wurde beanstandet, dass invasive Maß-
nahmen vorgenommen worden waren, die bei Beachtung
der Gerinnungsstörung unterblieben wären. An den ent-
standenen Blutungen ist der Patient verstorben.
Die beschuldigten Ärzte hatten gegen den einen Behand-
lungsfehler feststellenden Kommissionsbescheid aus dem
Jahre 2002 keine nach dem Statut zulässigen Einwendun-
gen mit dem Antrag auf Entscheidung der Gesamtkommis-
sion erhoben, so dass der Bescheid bestandskräftig wurde.
Nach der Veröffentlichung im
Rheinischen Ärzteblatt
wurde
die Kommission durch zwei Fachinstitute darauf hingewie-
sen, dass die im Bescheid angeführte Begründung für die
zum Tode führende Blutungskomplikation nicht zutreffend
sein könne, weil die den Faktor IX-Mangel auslösende Mar-
cumar-Einnahme schon fast zwei Jahre zurückgelegen habe.
Obwohl der Kommissionsbescheid seit langem rechtliche
Bestandskraft erlangt hatte, veranlasste die Gutachterkom-
mission eine gutachtliche Stellungnahme durch den Direk-
tor des Universitätsinstituts für Hämostaseologie und Trans-
fusionsmedizin in Düsseldorf.Über das Ergebnis dieser Prü-
fung und die ergänzende Bewertung durch das in dieser Sa-
che federführende ärztliche Mitglied der Gutachterkommis-
sion soll im Nachtrag zur Veröffentlichung im Märzheft
2004 berichtet werden.
Zum Sachverhalt
Die für die ergänzende Prüfung maßgebenden wesentlichen
Vorgänge werden wie folgt zusammengefasst:
Nach Implantation einer mechanischen Herzklappenpro-
these und der erforderlichen Antikoagulation traten diffuse
Gewebseinblutungen und ein Hämoglobinabfall auf 6,0 g/dl
auf. Das Medikament Marcumar wurde abgesetzt. Die von
der behandelnden Medizinischen Klinik veranlassten Unter-
suchungen ergaben als abschließendes Ergebnis, dass eine
sehr seltene, durch Marcumar induzierte erbbedingte Gerin-
nungsstörung bei Faktor IX-Mutation vorlag. Anstelle der
implantierten Herzklappe wurde eine Bioklappe eingesetzt,
die nicht die Gabe von Marcumar erfordert.
Knapp zwei Jahre später wurde der 66-jährige Patient we-
gen unklarer Anämie und Niereninsuffizienz erneut in die
Medizinische Klinik eingewiesen. Sonographisch und imCT
wurden ein kleiner Stein in der Gallenblase und kleinflecki-
ge Leberveränderungen wahrgenommen. Eine am
24. Juli sonographisch gesteuerte Leberpunktion ergab kei-
ne wesentlichen Befunde. Bei diesem Vorgang konnte erst
durch die dritte Punktion ein Leberzylinder gewonnen wer-
den. Dabei verspürte der Patient –wie ärztlich dokumentiert
–„einen starken Schmerz und wurde kaltschweißig“. Er er-
hielt nach dem Eingriff mehrere Bluttransfusionen. Ohne
klare diagnostische Einordnung wurde der weitgehend be-
schwerdefreie Patient am 28. Juli entlassen.
Weitere stationäre Behandlung
Bereits zwei Tage später, am 30. Juli, wurde der Patient we-
gen kolikartiger Bauchschmerzen wieder in der Klinik auf-
genommen. Sonographisch wurde bei unverändert verdich-
tetem Reflexmuster der Leber ein echoreiches Konglomerat
in der Gallenblase gefunden; es ergab sich der Verdacht auf
eine sekundäre Einblutung. Am 31. Juli wurde eine ERCP
vorgenommen, bei der man einen kirschkerngroßen Stein
im Hauptgallengang vermutete. In der Gallenblase war der
zwei Wochen zuvor im CT wahrgenommene Gallenblasen-
stein nicht mehr vorhanden. Man nahm eine Steinwande-
rung in den Hauptgallengang an. Es wurde eine „relativ
großzügige“ endoskopische Papillotomie zwecks Entfer-
nung des Steins vorgenommen, der aber nicht gefunden
wurde.
Zwei Tage danach (3. August) traten erneut kolikartige
Oberbauchschmerzen und Erbrechen auf. Blutige Stühle
wurden abgesetzt. Der Hämoglobinwert sank auf 6,7 g/dl.
Bei einer daraufhin vorgenommenen Ösophago-Gastro-
Duodenoskopie wurde keine Blutungsquelle gefunden. Die
weiter unterhalb gelegene Papillenregion wurde nicht un-
tersucht. Die am nächsten Tag (4. August) durchgeführte
Coloskopie stellte älteres Blut im Darm ohne erkennbare
Blutungsquelle fest.
Zwei Tage später (6. August) entleerte der Patient fortlau-
fend frisches Blut aus dem Darm. Nunmehr wurden durch
eine erneute Ösophago-Gastro-Duodenoskopie ein großes
Blutkoagel in der Papillenregion und eine anhaltende fri-
sche Blutung aus der Papillotomiewunde festgestellt, die
auch durch Adrenalininjektion nicht gestillt werden konnte.
Der Patient wurde sofort in den Operationssaal der Chirur-
gischen Klinik des Hauses verbracht, wo es noch vor einem
Eingriff zu einemHerz-Kreislauf-Stillstand kam.Durch ent-
sprechende Maßnahmen konnte die Kreislaufsituation sta-
bilisiert werden. Wegen der vital bedrohlichen Blutung
wurden sofort anschließend eine Laparotomie und eine
Cholecystektomie mit Choledochusrevision und Anlage ei-
nes T-Drains vorgenommen. Danach traten Zeichen eines
hypoxischen Hirnschadens auf. Der Patient blieb tief
komatös und verstarb an den nicht mehr abwendbaren Fol-
gen der massiven Blutung am 23. August.
Gutachtliche Bewertung
Auf der Grundlage des Prüfungsergebnisses im ergänzen-
den Gutachten von Prof. Dr. Scharf hat sich das in dieser
Sache federführende ärztliche Mitglied der Gutachterkom-
mission erneut mit der Sache befasst. Es hält die in dem
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Gutachtliche Entscheidungen
Blutgerinnungsstörung – Faktor IX-Mangel