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Die Makrosomie ist definiert als ein Geburtsgewicht ober-

halb der 95. Perzentile (4.350 g). Das Normalgewicht in der

vollendeten 40. Schwangerschaftswoche bei männlichen

Einlingen liegt bei 3.600 g. Für die antepartale Gewichts-

schätzung nach der Ultraschallbiometrie des Feten gilt heu-

te, dass durchschnittlich etwa 75 Prozent des tatsächlichen

Geburtsgewichtes in einem Bereich von plus/minus 10 Pro-

zent des sonographisch geschätzten Geburtsgewichtes lie-

gen. Bei makrosomen Feten ist die Abweichung größer und

kann bis zu 20 Prozent betragen.

Eine Makrosomie ist ein signifikanter Risikofaktor. Ein

Kind mit einem Geburtsgewicht oberhalb von 4.000 bis

4.500 g hat ein 2,5-mal höheres Risiko einer neurologisch

bedingten Störung durch Schädigung des Brachialplexus.

Bei einem Geburtsgewicht von mehr als 4.500 g ist das Risi-

ko bedeutend höher.

Durch eine Kaiserschnittentbindung kann die neurolo-

gische Komplikation bei dem Kind in den meisten Fällen

vermieden werden. Seltene Ausnahmen sind intrauterin

(also vor der Geburt) bedingte Armplexuslähmungen und

Schwierigkeiten bei der Entwicklung des Kindes bei der

Sektio. Aufgrund des Ultraschallbefundes sollte mit einem

zu erwartenden Geburtsgewicht von über 4.500 g eine

Sektio erwogen werden.

Das Risiko einer Geburtsverletzung beträgt bei diesen Kin-

dern nach vaginaler Geburt 9,3 Prozent, nach Sektio

2,6 Prozent

(aus H. Schneider, P. Husslein, K.T.M. Schneider,

Springer-Verlag)

. Bei jeder Schwangerschaft mit deutlich er-

höhten Risikofaktoren für das Auftreten einer Schulterdys-

tokie bei einer vaginalen Entbindung ist mit der Schwange-

ren rechtzeitig die Risikosituation und die Möglichkeit einer

Schnittentbindung mit geringerem Risiko zu erörtern.

Eingehende Aufklärung

Die Rechtsprechung, so schon Urteile des Bundesgerichts-

hofes vom 6.12.1988 und 17.11.1991, verlangt eine eingehen-

de Aufklärung, wenn im Falle einer vaginalen Entbindung

für das Kind ernstzunehmende Gefahren drohen. Der Arzt

dürfe sich nicht eigenmächtig für eine vaginale Geburt ent-

scheiden, so die rechtliche Begründung. Vielmehr müsse er

die Mutter über die für sie und das Kind bestehenden Risi-

ken unterrichten.

Dafür, dass dies erfolgt ist, trage er die Beweislast. Unter-

lasse der Arzt die Aufklärung und damit die Einbeziehung

der Mutter in die Entscheidung über die Entbindungsmetho-

de, fehle es an der Einwilligung zurVaginalgeburt. Damit ist

das vaginale Vorgehen rechtswidrig mit der Folge, dass der

Arzt für alle Verletzungen und Schäden haftbar ist, auch wenn

bei der vaginalen Entbindung keine Fehler unterlaufen sind.

In diesem Zusammenhang ist noch ein Hinweis der Gut-

achterkommission im

Rheinischen Ärzteblatt

von Interesse

(Ausgabe Juli 1997, Seite 28, im Internet verfügbar unter

www.aekno. de/RhAe-Archiv)

. Aus zahlreichen Begutach-

tungsverfahren, die Plexusparesen betrafen, hatte die Kom-

mission die Erkenntnis gewonnen, dass das Risikomanage-

ment in solchen Fällen vielfach unzureichend war. In vielen

Kliniken fehlten Anleitungen und Pläne, wie zum Beispiel

bei einer vaginalen Geburt im Falle einer Schulterdystokie

und sonstiger erschwerter Schulterentwicklung vorzugehen

ist.

Bei den Begutachtungen ergab sich oft, dass im Falle von

Plexusschäden der erstversorgende Geburtshelfer und die

Hebamme nicht sachgerecht gehandelt hatten. Die Gutach-

terkommissionwies auch nachdrücklich auf die Notwendig-

keit einer vollständigen Dokumentation des Geburtsverlau-

fes hin. Die Schulterentwicklung und die dabei getroffenen

Maßnahmen seien darzustellen. Anzugeben sei auch die

Kindslage, aus der die Geburt erfolgte, ebenso seien die Uhr-

zeiten des Geschehensablaufes zu nennen.

Im nachfolgend geschilderten Fall, der bei einem makroso-

men Kind die unterlassene Risikoaufklärung behandelt,war

auch die mangelhafte Dokumentation der Vaginalgeburt zu

beanstanden.

Der Sachverhalt

Die 29-jährige Patientin erwartete zum 27. Januar ihr erstes

Kind. In der 34. (+ 6) Schwangerschaftswoche (SSW) am

22. Dezember wurde sie in der beschuldigten geburtshilf-

lich-gynäkologischen Klinik mittels Ultraschall untersucht

(BIP 8,8, FODurchmesser 10,1,Thoraxquerdurchschnitt 9,5,

Thorax ap 9,6, Femurlänge 6,6). Es fand sich eine Becken-

endlage (BEL). Das Schätzgewicht des Kindes betrug 2.700 g.

Am 27. Januar (37. + 1 SSW) erfolgte in der Klinik eine er-

neute Ultraschalluntersuchung: BIP 9,6, FO 11,4, Thorax

quer 11,0. In den Krankenunterlagen wurde vermerkt:

„BEL, großes Kind -› Sectio“.

Am 8. Januar wurde die äußere Wendung aus BEL in Schä-

dellage stationär durchgeführt; sie verlief ohne Komplika-

tionen. Am 9. Januar wurde die Patientin wieder entlassen.

Stationäre Behandlung

Am 31. Januar, vier Tage nach dem errechneten Termin,

wurde die Patientin mit dem Verdacht auf vorzeitigen Bla-

sensprung in der Klinik stationär aufgenommen. Der Auf-

nahmebefund ergab einen Muttermund von 1 cm Breite,

Höhenstand des Kopfes –4, Wehen alle zwei bis vier Minu-

ten, Cardiotokogramm (CTG) imWesentlichen unauffällig.

Um 18:05 Uhr wurde eine Oxytocintropfinfusion angelegt,

die um 21:50 Uhr wieder abgenommen wurde. Der Mutter-

mund war zu diesem Zeitpunkt ein bis zwei Zentimeter

weit, der Höhenstand des Kopfes –4, das CTG unauffällig.

Risikofaktor Makrosomie des Kindes

Aufklärung der Schwangeren über ein erhöhtes Geburtsrisiko für das Kind

bei der vaginalen Entbindung

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Gutachtliche Entscheidungen