Ärztekammer
Nordrhein
Jahresbericht 2016
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Kammerversammlung
Angriffe auf Einrichtungen der Krankenversorgung
Die Kammerversammlung spricht allen Angehörigen und Freunden
der bei Angriffen auf Einrichtungen der Krankenversorgung
Getöteten und Verletzten das zutiefst empfundene Beileid und
Mitgefühl aus.
Die Kammerversammlung verurteilt jeden Angriff auf Einrichtungen
der Krankenversorgung und sonstiger humanitärer Hilfen.
Es muss weltweit gewährleistet bleiben, dass Menschen, die sich
der Versorgung Verletzter und sonstig Erkrankter gerade in Krisen-
gebieten widmen, vor kriegerischen Handlungen geschützt sind.
Forderungen der Kammerversammlung der
Ärztekammer Nordrhein zur medizinischen Ver-
sorgung von Flüchtlingen in Nordrhein-Westfalen –
Forderungen an die Landesregierung
Die hohe Zahl neu aufgenommener Flüchtlinge stellt Deutschland
vor eine bisher nicht gekannte Aufgabe. Ärztinnen und Ärzte leisten
schon jetzt ihren herausragenden Beitrag zur Bewältigung dieser
Herausforderung und wollen dies auch zukünftig leisten. Damit
die erforderliche medizinische Versorgung gelingen kann, sind
vorrangig folgende Voraussetzungen zu schaffen:
1. Einheitliche Standards für die ärztliche Untersuchung bei der
Aufnahme in Gemeinschaftseinrichtungen
2. Frühzeitige Impfungen bei Asylsuchenden in Gemeinschafts-
unterkünften gemäß den Empfehlungen des Robert-Koch-
Institutes
3. Bereitstellung von geschultem medizinischem Fachpersonal
(z. B. Medizinische Fachangestellte, Pflegekräfte) in ausreichen-
der Zahl in allen Einrichtungen als Ansprechpartner für alltäg-
liche gesundheitliche Fragestellungen der Flüchtlinge sowie für
die Erkennung akuter gesundheitlicher Probleme
4.Bereitstellung von Sprach- und Kulturmittlern als Voraussetzung
für eine gute medizinische Versorgung. Ausbildung und Einsatz
von Sprach- und Kulturmittlern müssen stärker gefördert werden
5. Strukturierte Weiterleitung in die ärztliche Versorgung auf Basis
transparenter Zuordnungskriterien
6. Einrichtung ärztlicher Sprechstunden vor Ort in Gemeinschafts-
einrichtungen für Flüchtlinge als Brücke zur gezielten und
bedarfsgerechten Vermittlung in die ärztliche Regelversorgung
in den entsprechenden Fachgebieten. Dazu gehört auch die not-
wendige Erkennung und Behandlung psychischer Erkrankungen,
z.B. als Folgen psychischer Traumatisierungen.
7. Transparenz für Flüchtlinge und Ärzte über den von staatlicher
Seite gewährten Leistungsumfang in der medizinischen Versor-
gung;
8. Weitergabe von Untersuchungsbefunden an Dritte (Behörden,
Einrichtungsbetreiber) nur soweit dafür gesetzliche Vorgaben
bestehen; im Übrigen Mitteilung der Untersuchungsbefunde
alleine an die untersuchte Person und Bereitstellung der Be-
funde zur weiteren Behandlung für Ärztinnen und Ärzte durch
geeignete Archivierung.
9. Beschleunigung der Anerkennungsverfahren für berufliche
Qualifikationen nach dem Berufsanerkennungsgesetz, den in der
Bundesärzteordnung geregelten Anforderungen u.a. gesetz-
lichen Normen anstelle der im Asylverfahrensbeschleunigungs-
gesetz vorgesehenen besonderen Regelung zur Ermächtigung
der vorübergehenden Ausübung von Heilkunde.
Statement zur medizinischen Versorgung
von Flüchtlingen
Grundsätzlich kann nach dem aktuellen Stand des Wissens und
den bisher umfangreich vorliegenden Erfahrungen davon ausge-
gangen werden, dass von Flüchtlingen weder für die Allgemein-
bevölkerung noch für helfende Personen ein erhöhtes Infektions-
risiko ausgeht.
Eine generelle (ärztliche) „Inaugenscheinnahme“, die lediglich
auf die Identifikation vermeintlicher Ansteckungsgefahren abzielt,
ist daher eine Vergeudung von wertvollen Ressourcen. Diese
Ressourcen werden an anderer Stelle im Rahmen der Flüchtlings-
versorgung dringend benötigt.
Eine ärztliche Erstuntersuchung aller Flüchtlinge nach Ankunft
in Deutschland zur Feststellung des medizinischen Versorgungs-
bedarfes setzt voraus, dass eine Anamnese erhoben wird, eine
gezielte Untersuchung stattfindet und ein Angebot für die Behand-
lung evtl. festgestellter Erkrankungen gegeben ist. Nur so können
für die Flüchtlinge ernsthafte Erkrankungen festgestellt werden.
Bisher fehlen dafür meist zeitliche und ökonomische Ressourcen.
Durch eine „Inaugenscheinnahme“, die sich auf die Feststellung
von Infektionen beschränkt, erfahren die Flüchtlinge hingegen
erneut Repressalien, die es aus humanitären und medizinischen
Gründen zu vermeiden gilt.
Statt dieser somit wertlosen und im schlimmsten Falle sogar
erneut traumatisierenden „Inaugenscheinnahme“ erscheint
folgende, immer symptomorientierte, medizinische Versorgung
von Flüchtlingen humanitär, nicht traumatisierend, medizinisch
zielführend und ist zudem ökonomisch:
1.Bereitstellung von geschultem medizinischem Fachpersonal
wie (Kinder- und Jugend-) KrankenpflegerInnen, Medizinischen
Fachangestellte/ArzthelferInnen oder SanitäterInnen in ausrei-
chender Zahl in allen Flüchtlingseinrichtungen als Ansprech-
partnerInnen für alltägliche gesundheitliche Fragestellungen
sowie für die Erkennung akuter gesundheitlicher Probleme der
Flüchtlinge.
2.Bei Vorliegen akuter gesundheitlicher Probleme unverzügliche
Weiterleitung in ambulante oder stationäre ärztliche Versorgung
ohne institutionelle Barrieren.
3.Einrichtung einer medizinischen Sprechstunde vor Ort in
Flüchtlingseinrichtungen zur Notfallversorgung und Ermittlung
chronischer gesundheitlicher Störungen und bei Bedarf
ungehinderter Zugang zur ärztlichen Regelversorgung in den
entsprechenden medizinischen Fachdisziplinen.
Unberührt von den oben stehenden Ausführungen ist die un-
verzügliche gesetzliche Untersuchungspflicht bzgl. ansteckungs-
fähiger Lungentuberkulose nach § 36 (4) IfSG aufgrund der
Unterbringung in Gemeinschaftseinrichtungen für einen Zeitraum
von länger als 3 Tagen.
Zur Reduzierung der Ansteckungsrisiken für Flüchtlinge unter-
einander, vor allem bei Unterbringung in Gemeinschaftseinrich-
tungen, sollten Schutzimpfungen, vordringlich gegen Masern/
Mumps/Röteln sowie Windpocken, darüber hinaus entsprechend
den Empfehlungen der STIKO, angeboten werden.
Entschließungen der Kammerversammlung