Champions-League-Erträgen die Schulden
zu bezahlen. Die Realität sieht aber so aus,
dass die Champions-League-Gelder dann
noch ein zweites Mal ausgegeben, zum Bei-
spiel in weitere Spieler investiert werden.
Das ist eine ‚Milchmädchen-Rechnung‘, die
spätestens dann nicht mehr aufgeht, wenn
der sportliche Erfolg ausbleibt. Denn dann
wird durch die Schuldenlast der Handlungs-
spielraum eingeschränkt. Wir bei Werder
haben keine Verbindlichkeiten, und diese be-
währte Geschäftspolitik müssen wir weiter
verfolgen.
LEMKE:
Wir sind schon immer ins finanziel-
le Risiko gegangen, auch in der vergangenen
und in dieser Spielzeit. Aber wir setzen nicht
alles auf eine Karte und riskieren es, die
Bundesliga-Mannschaft zu vernichten – das
wird es mit uns im Aufsichtsrat nicht geben.
HESS-GRUNEWALD:
Man muss ganz deut-
lich sagen: Risiko und Verschuldung sind
nicht dasselbe. Wir gehen ins Risiko, aber
immer auch den Weg der wirtschaftlichen
Vernunft.
Einige fragen sich: Wohin ist das Geld, das
Werder in den vergangenen Jahre eingenom-
men hat, geflossen?
LEMKE:
Wir haben nicht mit diesem Geld
spekuliert oder es ins Kasino gebracht, son-
dern haben es in den Bundesliga-Fußball
investiert. Wir haben hohe Ablösesummen
und Gehälter bezahlt, aber nicht alle Spieler
haben die hohen Erwartungen erfüllt.
HESS-GRUNEWALD:
Wir haben auch in
den Champions-League-Jahren in die Mann-
schaft investiert und dennoch jährlich Ge-
winne ausgewiesen. Dadurch hat sich unser
Eigenkapital erhöht, und wir waren zum
Beispiel in der Lage, den größeren Negativ-
betrag des vergangenen Jahres zu tragen.
Die Champions-League-Einnahmen liegen
nicht in Massen auf der ‚hohen Kante‘. Aber
sie sind zum Teil in der Bilanz als Werte im
Eigenkapital vorhanden und keinesfalls voll-
ständig weg.
Muss der Aufsichtsrat noch präsenter sein,
um auch mal Dinge, die falsch gesehen wer-
den, klarzustellen?
HESS-GRUNEWALD:
Schon Dr. Franz Böh-
mert hat gesagt: Je weniger man vom Auf-
sichtsrat mitbekommt, desto besser ist er. Im
Bundesliga-Geschäft, das viel von Öffentlich-
keit lebt, ist das nicht immer so leicht durch-
zuhalten. Es gibt kein Patentrezept. Wir
müssen von Situation zu Situation entschei-
den, ob es sinnvoll ist, als Aufsichtsrat in die
Öffentlichkeit zu treten.
Herr Lemke, es wird viel persönliche Kritik an
Ihnen geübt, zum Beispiel, dass Sie zu geizig
seien. Wie gehen Sie damit um?
LEMKE:
Das trifft mich sehr, weil ich durch
und durch Werderaner und seit Jahrzehnten
dabei bin. Es tut mir vor allem dann weh,
wenn es Kritik ohne Sachkenntnis ist. Ich
weiß, dass viele, die jetzt ihren Unmut äu-
ßern, nach einem Sieg rufen: Willi, das war
klasse! Daher will ich mich nicht beschwe-
ren. Werder hat mein Leben geprägt, damit
werde ich weltweit identifiziert. Und da
muss man wohl auch mal eine Backpfeife
ertragen können…
HESS-GRUNEWALD:
Klar ist: Auch unpopu-
läre Entscheidungen sind im Aufsichtsrat in
der Vergangenheit stets einstimmig getrof-
fen worden. Willi Lemke kommuniziert sie
als Vorsitzender nach außen. Dass er dann
Prügel einstecken muss, als sei er persönlich
dafür verantwortlich, ist nicht in Ordnung.
Um das Bild noch einmal aufzugreifen: Wann
scheint über dem Weser-Stadion wieder die
Sonne?
HESS-GRUNEWALD:
Ich denke, wir sollten
einen etwas längeren Atem haben. Aber
wenn man spürt, dass die Mannschaft sich
entwickelt, Schritte nach vorne macht, dann
werden alle den Weg mit Geduld begleiten.
LEMKE:
Unser Umbruch braucht Zeit. Wir
haben ihn alle gewollt, er war unvermeid-
lich. Für mich ist das Wichtigste, dass die Zu-
schauer bei jedem Spiel sehen, dass sich jeder
Spieler zu 100 Prozent für diese Mannschaft,
für diesen Verein zerreißt und sich mit Wer-
der identifiziert.
Interview: Martin Lange
Fotos: T. Grziwa
mal viel mehr ausgegeben würde als geplant,
dann müssen wir auch mal ‚Stopp‘ sagen.
Provokant gefragt: Es ist doch gang und gäbe,
Schulden zu machen, um erfolgreich Fußball
zu spielen. Warum ist der SV Werder so zu-
rückhaltend?
HESS-GRUNEWALD:
Andere Vereine ma-
chen Schulden, um in die Champions
League zu kommen und dann aus den
Starkes Gremium
Willi Lemke (li.) und
Dr. Hubertus Hess-Gru-
newald sprechen für
den Aufsichtsrat, dem
auch Marco Bode,
Dr. Werner Brinker,
Axel Plaat und Hans
Schulz angehören.
WERDER MAGAZIN 310 13