

Ärztekammer
Nordrhein
Jahresbericht 2015
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Allgemeine Fragen der Gesundheits-, Sozial- und Berufspolitik
men. Steigende Erkrankungszahlen werden auch in
Zusammenhang mit einer fehlenden sozialen Teil-
habe, zum Beispiel bei Menschen, die lange Zeit
ohne Arbeit sind, aufgezeigt. Die erhöhten Erkran-
kungsrisiken gehen mit einer insgesamt verringer-
ten Lebenserwartung einher. Die Daten des Sozio-
oekonomischen Panels (SOEP) des Deutschen Insti-
tuts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigen Unter-
schiede in der mittleren Lebenserwartung von bis
zu zehn Jahren beim Vergleich von Menschen mit
Einkommen unterhalb der Armutsgrenze und Men-
schen aus der einkommensstärksten Bevölkerungs-
gruppe.
Ähnliche Zusammenhänge lassen sich auch zum
todesursachenspezifischen Sterblichkeitsgeschehen
nachweisen, etwa in Bezug auf vorzeitigen Tod
durch Herzinfarkt oder auch eine überproportional
hohe Säuglingssterblichkeit. Die Diskussion um die
sozial ungleiche Verteilung von Krankheiten und
Risikofaktoren beschränkt sich nicht nur auf die
Anforderungen an Gesundheitsförderung, Präven-
tion und medizinische Versorgung, sondern betrifft
auch die Ausgestaltung der sozialstaatlichen Siche-
rungssysteme.
Menschen in prekären Lebenslagen haben jeweils
spezifische Probleme bei:
• dem bedarfsgerechten Zugang zu den
Leistungen des Versorgungssystems,
• der Inanspruchnahme von angebotenen
Leistungen durch die Betroffenen,
• der Sicherstellung der Wirksamkeit von
Versorgungsmaßnahmen (zum Beispiel
durch eingeschränkte Adhärenz).
Da die wechselseitigen Zusammenhänge zwi-
schen prekärer Lebenslage und gesundheitlicher
Belastungssituation komplex sind, ist es notwendig,
auf Besonderheiten spezifischer Personengruppen
einzugehen, um die Gesundheitsversorgung für
diese Gruppen zu verbessern.
Daher fokussiert sich die LGK auf vier Gruppen
von Menschen in prekären Lebenslagen, die bei-
spielhaft für spezifische Problemlagen stehen:
1. Erwerbslose Menschen,
2. Menschen mit Behinderungen,
3. von Wohnungslosigkeit betroffene Menschen,
4. Menschen mit Migrationsgeschichte ohne
gesicherten oder geklärten Zugang zum
Regelsystem.
Pragmatische Lösungen sind gefragt
Als Ansatzpunkte zur verbesserten Versorgung
von Menschen in prekären Lebenslagen formu-
lierte die Landesgesundheitskonferenz konkrete
Handlungsempfehlungen, um den Benachteiligten
in unserer Gesellschaft eine gleichberechtigte Teil-
habe am Gesundheitssystem zu ermöglichen. Der
Maßnahmenkatalog umfasst unter anderem die
Entwicklung zielgruppenorientierter Präventions-
strategien und Programme zur Gesundheitsförde-
rung, den Ausbau und die Weiterentwicklung über-
greifender Vernetzungen und Kooperationen sowie
Maßnahmen zur Stärkung der gesundheitlichen
Selbsthilfe und der Patientenvertretung. Außerdem
setzt sich die Landesgesundheitskonferenz für kon-
struktive und pragmatische Lösungen zur Verbes-
serung der gesundheitlichen Versorgung für Men-
schen mit Migrationsgeschichte ohne gesicherten
oder geklärten Zugang zur Regelversorgung ein.
Armutsgefährdungsquoten* in NRW nach Altersgruppen
2014
2010
2006
Quelle: IT.NRW, 2015
Prozent
16,2
14,7
14,0
21,9
19,9
19,8
25,8
22,5
23,0
15,2
13,7
13,4
12,7
12,0
10,6
13,3
11,4
9,0
Bevölkerung insgesamt
unter 18 Jahren
18 bis 24 Jahre
25 bis 49 Jahre
50 bis 64 Jahre
65 Jahre oder älter
0
5
10
15
20
25
30
* Anteil von Personen mit einem Äquivalenzeinkommen von weniger als 60 Prozent
des mittleren Einkommens der NRW-Bevölkerung