

Ärztekammer
Nordrhein
Jahresbericht 2015
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Allgemeine Fragen der Gesundheits-, Sozial- und Berufspolitik
Haut eindringen. Laut Studien ist diese Placebo-
prozedur ähnlich erfolgreich in der Reduktion von
Kopfschmerzen und Migräne wie die traditionelle
chinesische Medizin, so Robert Jütte. Auch Schein-
Operationen etwa des Knies bei Arthrose, bei denen
Probanden die Operation nicht wie angenommen
des eigenen, sondern in Wahrheit eines fremden
Knies auf dem Bildschirm gezeigt wurde, schnit-
ten hinsichtlich der Symptomreduktion gleich gut
ab wie wirkliche Operationen. Eine interdisziplinäre
Arbeitsgruppe „Placebo“ des Wissenschaftlichen
Beirats der Bundesärztekammer erweiterte den
Placebobegriff um den Einfluss des Behandlungs-
umfeldes, die Erwartungen des Patienten und des
Arztes sowie die Patient-Arzt-Kommunikation. Un-
ter der Federführung von Robert Jütte durchforstete
diese Arbeitsgruppe die internationale Placebofor-
schung und fand zahlreiche Belege für den thera-
peutischen Nutzen von Placebos. Die ausführliche
Stellungnahme der Arbeitsgruppe hat die Bundes-
ärztekammer als Buch herausgegeben
(Placebo in der
Medizin, Deutscher Ärzte-Verlag 2011, auch im Internet
verfügbar auf der Homepage der Bundesärztekammer:
www.baek.de)
.
Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts ist die
Wirkung von Placebos – auch mit Hilfe moderner
bildgebender Verfahren – verstärkt naturwissen-
schaftlich untersucht worden, wie Robert Jütte in
Düsseldorf berichtete. So führen sie bei Schmerzen
nachweislich zu einer erhöhten Ausschüttung an
Endorphinen. Auch erhöhen Placebos die Dopa-
min-Ausschüttung und aktivieren ähnliche Hirnre-
gionen wie Psychopharmaka. Placeboeffekte lassen
sich laut Jütte anhand von Laborparametern mit-
unter eindeutiger messen als durch Befragung der
Patienten. Kaum nachweisbar ist ein Placeboeffekt
zum Beispiel bei chronisch-obstruktiven Atemwegs-
erkrankungen, Osteoporose undpulmonalerHyper-
tonie. Dagegen schneidet das Placebo nach Jüttes
Worten bei arterieller Hypertonie, Morbus Parkin-
son, partieller Epilepsie und rheumatoider Arthritis
im Vergleich zu wirkstoffhaltigen Medikamenten
beachtlich ab – „und könnte daher bei der Therapie
durchaus in die Medikationsentscheidung mitein-
bezogen werden“.
Jüttes Fazit zu Placeboanwendungen in der the-
rapeutischen Praxis: Wenn keine geprüfte Therapie
vorhanden ist, es sich um relativ geringe Beschwer-
den handelt und Erfolgsaussicht besteht, kann es
der Arzt mit einer Placebo-Behandlung versuchen.
Selbstverständlich muss der Patient aufgeklärt
werden, was nach Jüttes Worten den Placeboeffekt
nicht konterkarieren muss. Hier kommt es ganz
achterkommission, wie Mitrenga-Theusinger erläu-
terte. Auch bei Streitigkeiten über privatärztliche
Honorarforderungen bietet die Ärztekammer eine
Schlichtung an. Die Patientenberatung und die Ko-
operationsstelle für Selbsthilfegruppen und Ärzte
stehen Bürgern und Ärzten mit Auskünften zur Ver-
fügung. Zur Alterssicherung ihrer Ärztinnen und
Ärzte hat die Kammer die Nordrheinische Ärzte-
versorgung eingerichtet.
Die Pflichtmitgliedschaft in der Kammer ist
verbunden mit − nach Einkommen gestaffelten −
Pflichtbeiträgen. Die Mitglieder ihrerseits können
die Entscheidungen der Kammer auf demokrati-
schemWegemitgestalten, etwamit ihrer Stimme bei
denWahlen zur Kammerversammlung. Dieses „ärzt-
liche Landesparlament“, dem 121 Mitglieder ange-
hören, hat beispielsweise bei der Weiterbildungs-
ordnung und der Berufsordnung das letzte Wort.
Die Kammerversammlung als höchstes Organ
wählt den ehrenamtlich tätigen 18-köpfigen Vor-
stand, der die Geschäfte der Kammer führt, ein-
schließlich des Präsidenten, der ebenfalls ein ge-
setzliches Organ ist, sowie des Vizepräsidenten
als dessen Vertreter. Die Organe werden alle fünf
Jahre neu gewählt, ebenso die 27 Kreisstellenvor-
stände und die acht Bezirksstellenausschüsse. Über
300 ehrenamtlich tätige Mitglieder gestalten in
zahlreichen Ausschüssen und Kommissionen die
Aktivitäten ihrer Kammer mit. „Das ist es, was un-
sere Arbeit eigentlich ausmacht“, sagte Mitrenga-
Theusinger, „und alle haben die Gelegenheit zur
Teilnahme.“
Erstaunliche Erfolge
„Ich möchte Ihnen heute nichts Theoretisches
mitgeben, sondern etwas Praktisches“, sagte Pro-
fessor Dr. Robert Jütte, Leiter des Instituts für Ge-
schichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung.
Er referierte in seinem Festvortrag mit dem Titel
„Was heilt? – Erkenntnisse aus Geschichte und
Forschung des Placebos und deren Auswirkungen
auf das ärztliche Handeln“ über die heilsame Wir-
kung von Placebos und die schädlichen Folgen von
Nocebos in der Medizin. Der Begriff des Placebos
ist den meisten Ärztinnen und Ärzten bekannt aus
klinischen Studien, in denen eine Probandengrup-
pe ein wirkstoffhaltiges Medikament erhält und
die Kontrollgruppe ein Scheinmedikament, das
zum Beispiel aus Milchzucker besteht. Auch aus der
Chirurgie, der Psychotherapie oder der Akupunk-
tur sind Scheinmaßnahmen bekannt – zum Beispiel
eine Akupunktur mit Nadeln, die gar nicht in die