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Gutachtliche Entscheidungen

Vermeidbare Fehler bei der Koloskopie

Anlass zur telefonischen Rücksprache mit dem Hausarzt

waren,verpflichteten zur ärztlichen Kontrolle und Beobach-

tung. Der Patient durfte nicht ohne Weiteres nach Hause

entlassen werden.

Vielmehr hatte der Arzt ihn zunächst für einige Zeit in seiner

Praxis zu beobachten und dabei Palpations- und Auskulta-

tionsbefunde zu erheben sowie Temperatur, Pulsfrequenz

und Blutdruck zu kontrollieren. Bei anhaltenden Leib-

schmerzen war eine Bauchübersichtsaufnahme im Stehen

zu veranlassen, um der Frage nach einer etwaigen Darmper-

foration nachzugehen und dann das Erforderliche sofort in

die Wege leiten zu können.

Das Verhalten des Hausarztes war ebenfalls zu beanstanden.

Er durfte sich nicht auf die Überweisung zum Radiologen

beschränken. Die zu diesem Zeitpunkt anhaltenden Schmer-

zen im Unterbauch nach einer Koloskopie mussten auch für

den Hausarzt Anlass zu einer gründlichen Untersuchung

sein, da er ebenso wie der Internist die Möglichkeit einer

Darmperforation im Zusammenhang mit der ihm bekann-

ten Koloskopie zu bedenken hatte.

Zu veranlassen war nunmehr die – bisher unterbliebene –

Röntgen-Übersichtsaufnahme des Abdomens des Patienten

im Stehen, um eine etwaige Darmverletzung mit der mögli-

chen Folge einer Peritonitis so schnell wie möglich erkennen

zu können und ggf. chirurgisch behandeln zu lassen. Die

Unterlassung dieser Maßnahmen war als ein erheblicher

Verstoß gegen die ärztlichen Sorgfaltspflichten zu werten.

In diesem Falle musste somit die Kommission vorwerfbare

Behandlungsfehler sowohl des Internisten als auch des All-

gemeinmediziners feststellen.

Ergänzend zum Thema

Unter den von 1976 bis Ende 1999 festgestellten 4.747 vor-

werfbaren Behandlungsfehlern waren 26-mal vermeidbare

Fehler im Rahmen von Koloskopien zu beanstanden. Zwei

weitere Untersuchungen waren aufgrund einer fehlenden

Risikoaufklärung rechtswidrig. Hier wurde zum einen nicht

über das typische Risiko einer sich dann verwirklichenden

Sigma-Perforation aufgeklärt. Im anderen Verfahren wurde

ohne präoperative Einwilligung des Patienten „bei guten

Sichtverhältnissen“ die Rectoskopie bis zum Kolon trans-

versum ausgedehnt.

Eine unvollständige Durchführung der Koloskopie führte in

6 Verfahren vor der Gutachterkommission zur verzögerten

Erkennung eines Kolonkarzinoms. Davon 3-mal mangels aus-

reichender Darmreinigung.

Einmal betraf die Rüge die Prämedikation vor der Untersu-

chung bei einem Patienten mit einer chronisch obstruktiven

Emphysem-Bronchitis, die mit 100 mg Dolantin und 10 mg

Diazepam i.v. in zu hoher Dosis vorgenommen wurde und

zu einem Atemstillstand führte, der nicht mehr behoben

werden konnte.

In zwei Verfahren wurde das Sigma beimVersuch, eine Sigma-

stenose zu passieren, perforiert, einmal bei einer floriden

Colitis ulcerosa. Für diese Vorgehensweise wurde die Indi-

kation als nicht gegeben angesehen.Allein in 9 gutachtlichen

Bescheiden wurde die Diagnose einer Sigma-Perforation als

verspätet gestellt bewertet, und zwar mangels hinreichender

Überwachung der Patienten nach der Untersuchung. Darun-

ter befand sich eine Perforation mit einer Längen-Ausdeh-

nung von 10 cm. In 2 dieser Verfahren wurde die Perforation

in der Kontrastmitteldarstellung verkannt. Eine späte Koa-

gulationsnekrose nach einer Blutstillung, die in typischer

Weise erst 2 bis 5 Tage später auftritt, wurde in einem ande-

ren Fall trotz Hinweisen auf eine Peritonitis verkannt.

Als vorwerfbar fehlerhaft wurde ferner gewertet, dass bei ei-

ner schwierigen Passage der linken Kolon-Flexur und erheb-

licher Schmerzäußerung des Patienten die Untersuchung

nicht abgebrochen wurde. Ihre Fortsetzung verursachte eine

Dekapsulierung der Milz mit einer Milzruptur, weil Ver-

wachsungen zwischen Milz und Kolon bestanden. Diese Kom-

plikation stellt zwar ein äußerst seltenes Ereignis dar, hätte

jedoch unter den gegebenen Umständen vermieden werden

können.

Nach Polypektomien im Rahmen einer Koloskopie wurden

7-mal Perforationen der Dickdarmwand verkannt bzw. ver-

spätet einer chirurgischen Behandlung zugeführt. In einem

dieser Verfahren war das bei der „Polypektomie“ gewonne-

ne Material keiner histologischen Untersuchung zugeführt

worden.

Schließlich sollte vor„Polypektomien“imBereich des Coecums

bedacht werden,dass hier ein eingestülpterAppendixstumpf

nach Appendektomie vorliegen kann. Seine Entfernung

führte einmal zu einer massiven Peritonitits mit tödlichem

Ausgang.

Herbert Weltrich und Herwarth Lent