

Behandlungsfehler bei Hautkrebs
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Gutachtliche Entscheidungen
Werden bei einer Untersuchung Befunde gesehen, die einer
Neubildung entsprechen, so sind diese durch eine Probeent-
nahme differenzialdiagnostisch abzuklären. Wird dies un-
terlassen oder wird es versäumt, die entnommenen Proben
sachgerecht zu beschriften und in geeigneter Form einem
Pathologen zur histologischen Untersuchung zuzuführen,
so ist dies ein – unter Umständen auch schwerwiegender –
vorwerfbarer Behandlungsfehler. Für diesen hat der Unter-
sucher zu haften, auch wenn die Versäumnisse einem seiner
Mitarbeiter unterlaufen sind.
Die Gutachterkommission geht bei der Beurteilung in stän-
diger Entscheidungspraxis davon aus, dass jeder entfernte
Hauttumor feingeweblich zu untersuchen ist,weil aufgrund
der Vielfalt möglicher Hautveränderungen auch vom Geüb-
ten makroskopisch nur schwer eine sichere Beurteilung
möglich ist.Nur durch die histopathologische Untersuchung
kann hinreichend sicher eine wissenschaftlich genaue Unter-
scheidung zwischen einem benignen und einem malignen
Leiden getroffen werden.
In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass nach der
neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch der
einfache Verstoß gegen die Pflicht zur Erhebung eines me-
dizinisch gebotenen Befundes (hier: Probeentnahme und
Histologie), der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein
reaktionspflichtiges Ergebnis erbracht hätte (hier: histologi-
sche Feststellung einer malignen Hautveränderung), einen
schwerwiegenden (groben) Behandlungsfehler darstellt,
wenn sich das Verkennen des Befundes als fundamentaler
Diagnosefehler oder die Nichtreaktion als grob fehlerhaft
darstellt (so genannte Befunderhebungsfehler).
Der schwerwiegende Behandlungsfehler führt zu einer Um-
kehr der Beweislast. Dies ist für den Patienten im Prozess
von großer praktischer Bedeutung, denn es befreit ihn von
der Last, den haftungsbegründenden Kausalzusammenhang
zwischen einem (häufiger vorkommenden) Befunderhe-
bungsfehler und dem eingetretenen Körperschaden zu be-
weisen.
Weniger häufig (4 Fälle), aber in manchen Fällen nicht min-
der gravierend war die Verletzung der ärztlichen Pflicht zur
Sicherungsaufklärung
(siehe Tabelle Seite 141)
. Unter der
Pflicht zur Sicherungsaufklärung ist die therapeutisch gebo-
tene Aufklärung des Patienten durch den Arzt zur Sicherung
des Heilerfolges, zum Schutz vor Unverträglichkeitsrisiken
oder anderen Nachteilen, oder die Unterrichtung der nach-
behandelnden Ärzte bzw. des Patienten über erhobene Be-
funde zur Sicherung einer sachgerechten Nachbehandlung
zu verstehen. Die Verletzung dieser Pflicht, die einen Be-
handlungsfehler darstellt, ist in den folgenden Verfahren
festgestellt worden:
Eine Chirurgische Klinik legte nach der ambulanten
Entfernung eines Hauttumors im Rückenbereich den
Histologiebericht des Pathologen lediglich in den Kran-
kenakten ab und unterrichtete weder den betreuenden
Hausarzt noch den Patienten über den Befund (noduläre
Form eines malignen Melanoms mit der Notwendigkeit
weiterer Resektionen). Der Fehler wurde erst 8 Monate
später bei einer erneuten Einweisung des Patienten we-
gen eines Rezidivs bemerkt. Die Gutachterkommission
hat einen schwerwiegenden Behandlungsfehler festge-
stellt.
Die Ärzte einer Universitätsklinik haben weder den ein-
weisenden niedergelassenen HNO- noch den Hausarzt
noch den Patienten davon unterrichtet, dass dieser nicht
an dem vermuteten Basaliom, sondern an einem entdif-
ferenzierten Plattenepithelkarzinom litt. Dadurch sind
frühere und vermutlich bessere Operations- und damit
Heilungschancen vergeben worden; auch ist es nicht zu
einer durchgängigen therapeutischen Betreuung gekom-
men. Die Kommission ist von einem schwerwiegenden
Behandlungsfehler und davon ausgegangen, dass die
Entwicklung des Leidens bis zum Tode des Patienten
den beschuldigten Ärzten anzulasten ist.
Bei einem 38-jährigen Patienten war in einer Fachklinik
eine linksseitige Lymphknotenmetastasierung eines
malignen Melanoms unklarer Primärlokalisation dia-
gnostiziert und eine linksseitige Axilladissektion mit an-
schließender adjuvanter Immuntherapie mit Interferon
alfa empfohlen worden. Der Patient begab sich jedoch in
die Behandlung des beschuldigten praktischen Arztes,
der eine so genannte „naturkundliche“ Behandlung mit
Tationil
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durchführte. Aus der fehlenden Dokumenta-
tion des Arztes hat die Gutachterkommission geschlos-
sen, dass eine Aufklärung über die realistischen Chancen
der unkonventionellen Therapie unterblieben ist und
hat als Gesundheitsschaden die Beeinträchtigung der
Chance auf einen günstigeren Verlauf angesehen.
Der behandelnde Dermatologe teilte nach Erhalt der
dermatohistologischen Diagnose „malignes Melanom“
dem Patienten wahrheitswidrig mit, es sei alles in Ord-
nung. Im Verfahren vor der Gutachterkommission hat er
sein Verhalten damit begründet, dass er den Patienten
der großen Gruppe von Menschen zugeordnet habe, die
es schätzten, wenn man Böses von ihnen fernhalte und
eine wahrheitsgemäße Aufklärung nicht wünschten. Er
habe die Reaktion auf die Diagnosemitteilung nicht vor-
hersehen können, zumal sich kurz vorher ein anderer
Patient nach Mitteilung der gleichen Diagnose das Le-
ben genommen habe. Die Gutachterkommission hat ei-
nen schwerwiegenden Behandlungsfehler festgestellt.
Sie hat es als die Pflicht des Arztes angesehen, den Pa-
tienten über die Diagnose zutreffend zu informieren.
Dem Arzt habe auch klar sein müssen, dass er durch die
falsche Information, der Tumor sei gutartig, nicht Scha-
den von dem Patienten abgewendet, sondern Schaden
zugefügt habe, denn er habe ihm die Chance genom-
men, sich zu einem therapeutisch günstigen Zeitpunkt
mit der schwerwiegenden Diagnose und ihren Folgen
auseinanderzusetzen und die zur Behandlung notwendi-
gen Entscheidungen zu treffen. Die mit der ärztlichen
Mitteilung der Diagnose einer Krebserkrankung an den
Patienten verbundene Beunruhigung und Beeinträchti-
gung seines Allgemeinbefindens seien unvermeidlich. Es
sei Aufgabe des Arztes, dem Patienten in dieser Situation
zur Seite zu stehen, ihm therapeutische Möglichkeiten
aufzuzeigen und ihn in seiner Krankheit zu begleiten.
Karl Joseph Schäfer, Ulrich Pfeifer,
Johann Schläger und Beate Weber