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Gutachtliche Entscheidungen

Anträge, die die Überprüfung der Behandlung von Neubil-

dungen der Haut zumGegenstand haben,machen nur einen

geringeren Bruchteil der Überprüfungsverfahren vor der

Gutachterkommission aus. Von den 5.741 Verfahren der

Abschlussjahre 2004 bis 2007 betrafen 45 (0,8 Prozent)

Neubildungen der Haut. In 35 Fällen (77,8 Prozent) ging es

um bösartige (beispielsweise Melanome und Basaliome)

und in 10 Fällen (22,2 Prozent) um gutartige Hauttumoren

(Melanozytennaevi, Dermatofibrome, Histiozytome, sebor-

rhoische Keratosen etc). In 23 (51,1 Prozent) der 45 Verfah-

ren wurden Behandlungsfehler festgestellt; es handelte sich

in überwiegender Zahl um bösartige Tumoren.

Über zwei typische Behandlungsfehlervorwürfe bei der Er-

kennung maligner Melanome in bis zum Jahre 2003 abge-

schlossenen Verfahren ist bereits im

Rheinischen Ärzteblatt

berichtet worden

(Heft Mai 2004, S. 22 ff, im Internet verfüg-

bar unter

www.aekno.de)

.

Anlass für eine erneute Aufarbeitung von Begutachtungsver-

fahren aus diesem Fachbereich ist zum einen die hohe Be-

stätigungsquote der Vorwürfe von 51 Prozent bei einer lang-

jährigen durchschnittlichen Behandlungsfehlerquote aller

Verfahren um etwa 32 Prozent. Des Weiteren musste die

Gutachterkommission Fehler feststellen, die durch Beach-

tung einfacher Maßstäbe zu verhindern gewesen wären und

Schaden von den Patienten abgewendet hätten: So wurde

vielfach eine Probeentnahme einer Neubildung unterlassen

oder erst verspätet durchgeführt oder entferntes Gewebe

wurde nicht zur histologischen Untersuchung eingereicht

(siehe Tabelle Seite 141)

.

Bestätigt wurden Vorwürfe bei 13 Hautärzten, 3 Allgemein-

medizinern, 4 Allgemeinchirurgen, einemHNO-Arzt, einem

Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen und einem Pathologen. Als

Gesundheitsschaden wurde in 6 Fällen die aufgrund der

Therapieverzögerung eingetretene Prognoseverschlechte-

rung festgestellt; in einem Fall war die Vermutung begrün-

det, dass der Tod des Patienten Folge des Behandlungsfeh-

lers gewesen ist.

Zu den beurteilten Verfahren gehörte folgender Fall:

Sachverhalt

Im Rahmen einer routinemäßigen Gesundheitsuntersu-

chung, die der 48-jährige Patient im November bei seinem

langjährigen Hausarzt, einem Arzt für Allgemeinmedizin,

durchführen ließ, fielen zwei Hautveränderungen auf:

eine Hautwucherung auf dem Rücken über derWirbel-

säule, die in der Karteikarte des Arztes als „Talgdrüse“

bezeichnet wurde und die er in seiner späteren Stellung-

nahme als Atherom diagnostiziert hat und

ein Hautgebilde, das in der Karteikarte als „Muttermal“

im Bereich der rechten Hüfte eingetragen worden ist

und das der Arzt später als Nävus oder seborrhoische

Warze bezeichnet hat.

Er erklärte dem Patienten, beide Hautveränderungen seien

gutartig und schlug ihre Exzision vor.Diese wurde durchge-

führt, aber eine histopathologische Untersuchung der ent-

fernten Gewebeteile wurde nicht veranlasst. Die allgemeine

Untersuchung ergab keine erkennbaren gesundheitlichen

Störungen.

Im Juli des folgenden Jahres traten bei dem Patienten starke

Schmerzen im Bereich der rechten Hüfte und der Innenseite

des rechten Beines auf.Der behandelnde Orthopäde diagnos-

tizierte Lumbago mit Blockierung und pseudoradikulärer

Ausstrahlung und verordnete Krankengymnastik und Bä-

dertherapie. Bei stark zunehmenden Schmerzen veranlasste

er bei Verdacht auf eine Hüftkopfnekrose eine Computer-

tomografie, die keine Auffälligkeiten ergab.

Im Oktober konsultierte der Patient bei immer stärker wer-

denden Gelenkschmerzen, verbunden mit Gangstörungen

und allgemeiner Schwäche erneut seinen Hausarzt, der bei

einer Oberbauchsonografie Metastasen in der Leber er-

kannte und wegen besorgniserregender Blutwerte zur wei-

teren Abklärung eine Einweisung in ein Krankenhaus ver-

anlasste.

Dort brachte Ende Oktober die röntgenologische Untersu-

chung des Thorax den Nachweis eines circa 1,5 x 2 cm mes-

senden Rundherdes im linken Lungenunterfeld. Die histo-

logische Untersuchung einer Gewebeprobe aus dem rechten

Leberlappen ergab nach immunhistochemischer Aufarbei-

tung den Nachweis einer Lebermetastase eines malignen

Melanoms. Trotz umfangreicher Primärtumorsuche konnte

kein Primärtumor gefunden werden; insbesondere wurde

bei der körperlichen Untersuchung keine verdächtige Haut-

läsion gefunden. Die begonnene chemotherapeutische Be-

handlung wurde nach wenigen Tagen abgebrochen. Im Ja-

nuar verstarb der zu diesem Zeitpunkt 49-jährige Patient.

Gutachtliche Beurteilung

In dem von der Witwe des Patienten beantragten Überprü-

fungsverfahren stellte die Gutachterkommission als schwer-

wiegenden Behandlungsfehler des beschuldigten Arztes für

Allgemeinmedizin fest, dass er es unterlassen habe, die von

ihm entfernten Gewebeteile einer histologischen Untersu-

chung zuzuführen. Den Einwand des Arztes, es habe sich

um prima vista gutartige Hautgebilde gehandelt, was er auf-

grund zwanzigjähriger Erfahrung einschätzen könne, hat

die Kommission nicht gelten lassen.

Nach dem Eintrag in seiner Dokumentation habe es sich bei

dem einen Exzidat prima vista um ein Muttermal gehandelt.

Als Muttermale würden Nävuszellnävi, syn. Nävi pigmentosi

bezeichnet, welche gutartig seien, jedoch potentieller Aus-

gangspunkt eines Melanoms sein könnten. Die Unterschei-

dung von Pigmentzellnävi und Melanomen sei eine der

wichtigsten Aufgaben des Arztes bei der Untersuchung von

neoplastischen Hautläsionen und prima vista meist nicht

möglich.

Behandlungsfehler bei Hautkrebs

Versäumnisse in der Diagnostik und Behandlung von Neubildungen der Haut