

Behandlungsfehler bei Hautkrebs
Gutachtliche Entscheidungen
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Aus diesem Grund und wegen der Grundkonstitution des
Patienten (hellhäutig, im mittleren Lebensabschnitt und
mehrere Pigmentnävi tragend) sowie der Häufigkeit des
Melanoms in den Industrieländern sei die Unterlassung der
histologischen Untersuchung der entfernten Gewebeteile
ein eindeutiger Verstoß gegen die ärztlichen Standards. Der
schwerwiegende Behandlungsfehler führe zu einer Beweis-
lastumkehr mit der Folge, dass es Sache des beschuldigten
Arztes sei, den Nachweis zu erbringen, dass der Tod des
Patienten nicht auf dem ärztlichen Versäumnis beruhe.
Häufige Fehler
Wie die Tabelle rechts zeigt, war in den anderen Verfahren
häufigster Fehler das Unterlassen einer Probebiopsie und
Histologie der auffälligen Hautneubildung (7 Fälle), gefolgt
vom Verzicht auf eine histologische Untersuchung der ent-
fernten Gewebeteile nach durchgeführter Exzision (6 Fälle).
Regelmäßig wurde in diesen Fällen die festgestellte Hautver-
änderung von demArzt als gutartig eingestuft und eine wei-
tere Diagnostik nicht durchgeführt oder veranlasst, obwohl
hierzu aufgrund der konkreten Gegebenheiten Veranlas-
sung bestand:
Bei einer als seborrhoische Keratose diagnostizierten
Hautveränderung wurde trotz Größenzunahme und
Blutung keine weitere Diagnostik durchgeführt; die
spätere Untersuchung ergab ein malignes Melanom.
Bei einer als Chrondrodermatitis chronica helicis mit
antibiotikahaltiger Corticoidcreme behandelten Entzün-
dung an der Ohrmuschel war ein weiteres Anschwellen
unter stärkeren Schmerzen zu beobachten, worauf eine
Elektrokauterisation durchgeführt wurde; später wurde
ein Plattenepithelkarzinom festgestellt.
18 Monate nach Entfernung eines Melanoms in situ
wurden fünf Naevuszellnaevi laserchirurgisch ohne
histopathologische Untersuchung entfernt; dies ent-
spricht nicht den Leitlinien der Deutschen Dermatolo-
gischen Gesellschaft. Den Gesundheitsschaden der
Patientin hat die Gutachterkommission in der psychisch
belastenden Unsicherheit darüber gesehen, ob es sich
bei den entfernten Hautveränderungen um maligne
Veränderungen gehandelt hat oder nicht.
2 Jahre nach Entfernung eines Muttermals, dessen
Exzisionspräparat als malignes Melanom diagnostiziert
worden war, wurden fünf Muttermale ohne feingewebli-
che Untersuchung laserchirurgisch entfernt. Der Be-
handlungsfehler hat eine Nachexzision und die Entfer-
nung von Lymphknoten zur Folge gehabt. Gutachterlich
wurde eine Malignität ausgeschlossen.
Bei seit mehreren Jahren rezidivierenden kirschgroßen
Hautknoten am Kopf wurde kürettiertes Gewebe nicht
der histologischen Untersuchung zugeführt, obwohl bei
einer früheren Kürettage an gleicher Stelle histologisch
kein eindeutiges Ergebnis festgestellt werden konnte;
später wurde ein Melanom Clark Level V diagnostiziert.
Schuppige leicht gerötete Hautveränderungen wurden
mehrfach mit scharfem Löffel oder Stanzbiopsie abge-
tragen, wobei die Gewebeproben regelmäßig als für eine
histopathologische Beurteilung nicht geeignet bezeich-
net wurden; später wurde ein Basaliom festgestellt.
Eine als Keratose diagnostizierte Hautveränderung im
Bereich der linken Schläfe wurde ohne feingewebliche
Untersuchung mit einer Kryotherapie behandelt und
auch nicht weiter kontrolliert, als im Bereich derWange
ein Basaliom festgestellt wurde.
Die skizzierten Fälle machen deutlich, dass beim Auftreten
von Neubildungen der Haut der Probeentnahme und der histo-
logischen Untersuchung der entnommenen Gewebeteile
besondere Bedeutung für die Diagnostik und weitere Be-
handlung der Neubildung zukommt.
Jeder suspekte Tumorbefund der Haut ist durch eine Biop-
sie zu klären. Zunächst ist eine genaue Anamneseerhebung
und Befundbeschreibung erforderlich. Sind anamnestisch
bösartige Hautveränderungen bekannt, sollte auch die neuer-
liche Veränderung bis zum Beweis des Gegenteils wie eine
solche behandelt werden.
Besteht differenzialdiagnostisch zunächst kein Zweifel an
der Gutartigkeit, ist es dennoch erforderlich, dass der Patient
zu einem Kontrolltermin einbestellt wird. Der Patient muss
darauf hingewiesen werden, dass er sich bei einer Verände-
rung der Neubildung umgehend einem Arzt vorstellen soll-
te (Sicherungsaufklärung).
Eine Biopsie wird auch erforderlich,wenn die Lokaltherapie
einer bisher zunächst als „benigne“ eingestuften tumorösen
Hautveränderung erfolglos bleibt, spätestens jedoch, wenn
eine Größenzunahme, Blutung oder Ulceration auftritt.
Tabelle: Festgestellte Fehlbehandlungen bei Neubildungen der Haut
Zeitraum 1.1.2004–31.12.2007
Fehler bejaht
Gesamt
Gutachtliche Verfahren
1
1.809 (31,5 %) 5.741
Vorwurf der unzureichenden
Erstdiagnostik
bei Hautneubildungen
23 (51,1 %)
45 (0,8 %)
Hauptsächlich festgestellte Fehler
2
Fehluntersuchung:
Keine PE + Histologie
7
Exzidat-Histologie versäumt
6
Fehlende Sicherungsaufklärung
4
Unzureichende Nachbehandlung 2
Nichtbeachten der Histologie
1
Ausbleiben der Histologie
nicht bemerkt
1
Fehlbeurteilung der Histologie
1
Ausweiten der OP
ohne Kenntnis der Dignität
1
1
Gutachtliche Verfahren = Gutachtliche Bescheide der Gutachterkommission
und sonstige Erledigungen nach Erstellung eines einen Behandlungsfehler
verneinenden Gutachtens
2
Ein maßgeblicher Fehler pro Verfahren