

Nach einer Koronarstent-Implantation muss der Patient
über die Notwendigkeit der Einnahme gerinnungshemmen-
der Medikamente und die Folgen bei Nichteinnahme aufge-
klärt werden. Es ist sicherzustellen, dass dem Patienten die-
se unbedingt erforderliche gerinnungshemmende Medika-
tion bei Entlassung überbrückungsweise für die folgenden
Tage zur Verfügung gestellt wird oder dass er am Entlas-
sungstag noch einen Arzt aufsucht, damit ihm die Medika-
mente rezeptiert werden. Es empfiehlt sich, dem Patienten
bei Entlassung vor dem Wochenende oder einem nachfol-
genden Feiertag die Medikamente mitzugeben. Die Tat-
sache, dass eine diesbezügliche Dienstanweisung besteht,
entbindet die Ärzte nicht vom individuellen Nachweis der
Sicherungsaufklärung. Diese ist im folgenden Fall unter-
blieben mit der Folge eines akuten Herzinfarktes.
Der Sachverhalt
Der Patient wurde am 22. September wegen einer belas-
tungsabhängigen Angina pectoris-Symptomatik und patho-
logischer Ergometrie zur invasiven Diagnostik in die be-
klagte Kardiologische Klinik aufgenommen. Als kardiovas-
kuläre Risikofaktoren bestanden, neben einer familiären Be-
lastung, eine Hypertonie und eine Fettstoffwechselstörung.
Die invasive Diagnostik ergab bei normaler linksventrikulä-
rer Funktion eine 95-prozentige Stenose im proximalen und
mittleren Bereich des absteigenden Astes der linken Herz-
kranzarterie (LAD) sowie eine 90-prozentige Abgangssteno-
se im ersten Diagonalast im Sinne einer 1-Gefäßerkrankung
bei starker Koronarverkalkung. In gleicher Sitzung wurden
die Stenosen im proximalen und mittleren LAD-Bereich so-
wie im Ramus diagonalis mit vier nicht medikamentös be-
schichteten Stents versorgt. Aufgrund der diffusen Koronar-
verkalkung war die Prozedur komplex und schwierig. Im
Rahmen des Eingriffs erhielt der Patient eine Ampulle
Aspirin
®
(500 mg) und 5.000 I.E. Heparin
®
intrakoronar
sowie zusätzlich intraoperativ als Bolus Aggrastat
®
mit an-
schließender 24-stündiger Infusionstherapie (9 ml/h) sowie
600 mg Iscover
®
. Ausweislich des Herzkatheterprotokolls
wurde eine kombinierte thrombozytenaggregationshem-
mende Therapie über einen Monat empfohlen. Die postinter-
ventionelle Betreuung erfolgte auf der Intermediate Care-
Station. Dort bestand die Medikation ausweislich der Fieber-
kurve aus Iscover
®
75 mg/die,Aspirin
®
100 mg oral und einer
Heparin
®
- sowie Aggrastat-Infusion bis 17 Uhr des 22. Sep-
tember. Eine invasive Kontrolluntersuchung am Folgetag
wies ein gutes angiographisches Kurzzeitresultat aus. An
diesem Tag erfolgte die Verlegung auf eine periphere Bet-
tenstation unter folgender Medikation, die bis zum Tag der
Entlassung am 24. September beibehalten und auch an den
Hausarzt durch den an den Patienten überreichten Entlas-
sungsbrief ausgewiesen wurde: Aspirin 100 mg, Iscover 75
mg, Simvastatin 20 mg, Ramipril 2,5 mg, Beloc zoc mite
®
50
mg und Zantic
®
300 mg.
Der Patient gibt an, er sei auf die Notwendigkeit der unbe-
dingten Einnahme der antithrombotischen Medikation (Is-
cover
®
und Aspirin
®
) zur Vermeidung einer Stent-Throm-
bose zu keinem Zeitpunkt hingewiesen worden. Auch seien
ihm inAnbetracht des unmittelbar bevorstehendenWochen-
endes keine entsprechenden Medikamente zur Überbrü-
ckung mitgegeben worden.
Aus dem Entlassungsbrief wie aus den vorliegenden Akten
geht nicht hervor, dass der Patient über die Notwendigkeit
einer konsequenten plättchenaggregationshemmenden
Therapie mündlich unterrichtet wurde. Auch wird nicht er-
sichtlich, dass zum Zeitpunkt der Entlassung dem Patienten
für das bevorstehende Wochenende die entsprechende Me-
dikation mitgegeben wurde.
In den Morgenstunden des 27. September wurde der Patient
bei hämodynamisch stabilen Kreislaufverhältnissen, seit dem
Morgen bestehenden akuten heftigsten pectanginösen Be-
schwerden und dem elektrokardiographischen Befund ei-
nes akuten Vorderwandinfarktes notfallmäßig erneut in die
primär in Anspruch genommene Klinik aufgenommen.
Ausweislich des EKGs lag ein supraapikaler Infarkt mit ST-
Hebungen in den Ableitungen V1 bis V4 mit erhaltenen
R-Zacken und schneller Rückbildungstendenz in den fol-
genden Tagen vor. In der sofort durchgeführten invasiven
Diagnostik fand sich ein thrombotischer Gefäßverschluss
im proximalen LAD-Bereich unmittelbar vor dem ersten
Stent mit einer zusätzlichen subtotalen Abgangsstenose im
ersten Diagonalast. Das Gefäß konnte erfolgreich rekanali-
siert werden. Es wurde imVerschlussbereich ein neuer über-
lappender Stent erfolgreich implantiert und die subtotale
Diagonalast-Stenose erfolgreich dilatiert. Unter dem Ver-
dacht auf eine Clopidogrelresistenz erfolgte am 29. Septem-
ber eine Umstellung auf Prasugrel
®
(10 mg/die). Ein Echo-
kardiogramm von diesem Tag wies eine normale linksven-
trikuläre Funktion
auf.Am2. Oktober wurde der Patient be-
schwerdefrei in die hausärztliche Behandlung entlassen bei
folgender Medikation: ASS
®
100 mg, Prasugrel
®
10 mg,
Beloc zok mite
®
50 mg,Ramipril 2,5 mg, Simvahexal
®
20 mg,
Ranitidin 300 mg. Ausweislich einer handschriftlichen Ein-
tragung im Verordnungsbogen wurde dem Patienten „eine
Packung Prasugel
®
mitgegeben“.
Beurteilung
Für die invasive Diagnostik bestand aufgrund der Klinik
und des pathologischen Ergometrie-Befundes eine klare In-
dikation.Erfolgreich konnte koronarinterventionell eine so-
genannte 1-Gefäßerkrankung mit vier Stents behandelt wer-
den. Aufgrund der komplexen Koronarmorphologie war ei-
ne intensivierte intraoperative und postinterventionelle
thrombozytenhemmende Medikation mit Aggrastat
®
und
der üblichen oralen, dualen thrombozytenhemmenden The-
rapie bestehend aus Aspirin
®
100 mg und 75 mg Iscover
®
erforderlich und wurde sachgerecht entsprechend dem me-
dizinischen Standard bis zur Entlassung zwei Tage später
verabreicht.
Nach Stent-Implantation beziehungsweise spätestens vor
der Entlassung hätte der Patient aber über die Notwendig-
keit einer kontinuierlichen Einnahme der beiden gerin-
nungshemmenden Medikamente zur Verhinderung eines
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Gutachtliche Entscheidungen
Sicherstellung einer erforderlichen Medikation bei Entlassung