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Gutachtliche Entscheidungen
Folgen ärztlicher Dokumentationsmängel
tion der Nervenwurzel S1 innerhalb von drei Wochen und
einer zwischenzeitlichen Facettenblockade bei nicht erfrag-
ter Immunsuppression hervorgingen.
Bei fehlender Dokumentation nicht nachweisbarwar die an-
geblich einvernehmlich mit den Angehörigen getroffene,
von diesen bestrittene Entscheidung, von einer Revisions-
operation bei akutem Abdomen mit Verdacht auf Mes-
enterialischämie zwei Wochen nach operierter Teilgangrän
des Colon sigmoideum bei – differenzialdialgnostisch nicht
gesicherter – „infauster Prognose“ abzusehen. Ob der Tod
abzuwenden gewesen wäre, konnte von der Gutachterkom-
mission nicht festgestellt werden.
Eingriffsdokumentation
Für eine Kryoablation und nachfolgende Hochfrequenz-
stromablation einer atrioventrikulären Reentery-Tachykar-
die konnte kein zeitnah erstelltes Protokoll vorgelegt wer-
den, das die Bestimmung und Kontrolle der Zieltemperatur,
die Leistung, Dauer und Anzahl der Energieapplikationen
sowie die fluoroskopisch dokumentierte Katheterposition
belegt, sodass aufgrund der Beweislastumkehr bei Unterlas-
sung dokumentationspflichtiger Maßnahmen die Ärzte den
Nachweis zu führen hatten, dass der eingetretene totale AV-
Block mit notwendiger Schrittmacherversorgung und die
Begünstigung der Entstehung einer Kardiomyopathie nicht
Folge eines fehlerhaften Vorgehens waren.
Kommt es bei einer Ballon-Kyphoplastie einer Sinterungs-
fraktur des 1. LWK zu einem Kontrastmittel- und Zement-
austritt in den Spinalkanal mit der Folge schwerwiegender
neurologischer Ausfälle und ist die OP selbst mangelhaft do-
kumentiert („keine Auffälligkeiten“), weil weder der Her-
gang nachvollziehbar wird noch Angaben zum Ballonvolu-
men, angewandtem Druck, Füllmengen und zur Konsistenz
des Zements oder zu dem auf den intraoperativen Printauf-
nahmen sichtbaren großen Kontrastmittelaustritt gemacht
werden,muss von einem Sorgfaltsmangel ausgegangen wer-
den.
Lagerungsmaßnahmen
Weder aus dem OP-Bericht noch aus dem Anästhesieproto-
koll ging hervor,wie die Arme bei einer vaginalen Hysterek-
tomie in Steinschnittlagerung gelagert und welcher Arm als
Infusionsarm benutzt wurde, sodass zulasten des Opera-
teurs und des Anästhesisten angenommen werden musste,
dass die einseitige Plexus brachialis-Läsion mit passagerer
Parese des m.deltoideus durch Lagerungsmängel bedingt war.
Postoperative Betreuung
Beweiserleichterungen wurden einer 72-jährigen Patientin
zugestanden, die in der zweiten postoperativen Nacht nach
Osteosynthese einer Unterschenkeltrümmerfraktur mit
Gipsschienenanlage Sensibilitätsstörungen am Fußrücken
und Druckschmerzen im Gips beklagt hatte, ohne dass
durch den informierten Dienstarzt eine Untersuchungsbe-
funderhebung zumAusschluss einer Durchblutungsstörung
am operierten Bein dokumentiert wurde, mit der Folge des
Verlustes des Unterschenkels.
War die gutachtliche Bewertung erschwert beziehungswei-
se teilweise nicht möglich, weil weder die erforderlichen
ärztlichen und pflegerischen Unterlagen zum postopera-
tiven Zustand nach laparoskopischer Hemikolektomie am
28. Februar noch die Laborbefunde vom 10. März und ein
ausführlicher OP-Bericht der Revisionsoperation vom glei-
chenTag sowie Einträge des weiterenVerlaufs – auch auf der
Intensivstation – vorgelegt werden können, so war im Zuge
der eingeräumten Beweiserleichterungen der Tod des 80-
jährigen Patienten nach Anastomoseninsuffizienz mit septi-
schem Multiorganversagen den Ärzten anzulasten.
Sicherungsaufklärung/Entlassungsbrief
Sowohl über den Umstand als auch über die Notwendigkeit
der Kontrolle und zeitnahen Entfernung eingelegter Ureter-
schienen beiderseits nach einer Sektio mit Notfall-Hysterek-
tomie hätte die Patientin mittels dokumentierter Siche-
rungsaufklärung informiert werden müssen.
Dies gilt auch für eine Patientin mit Kontrollnotwendigkeit
einer präoperativ auffälligen Skelettszintigraphie mit Akti-
vitätsanreicherung am BWK 12 bei mittels modifizierter
radikaler Mastektomie operiertem Mammakarzinom. Be-
handlungsfehlerhaft wurde der Arztbrief erst nach sechs
Monaten verfasst und erst auf Nachfrage nach 13 Monaten
an den behandelnden Arzt verschickt.
Wird im Entlassungsbrief anstelle eines als kompliziert ein-
zustufenden Pleuraergusses mit gramnegativem Erreger-
nachweis mit nötiger weiterer Therapie und Kontrolle
fälschlich nur über eine stattgehabte Pneumonie berichtet,
so geht der ungünstige Verlauf mit Entwicklung eines Pleura-
empyems zulasten der Internisten.
Archivierung
Kann das zumAusschluss einer Endokarditis bei septischem
Fieber und Streptokokkennachweis in der Blutkultur durch-
geführte TEE als dynamische Untersuchung nicht vorgelegt
werden, muss zulasten des zur Aufbewahrung verpflichte-
ten Arztes angenommen werden, dass diese nicht erkannt
und behandlungsfehlerhaft nicht mittels Kombinations-
therapie behandelt wurde, sodass eine Aorteninsuffizienz
resultierte.
Auch der Verlust einer cerebralen Computertomographie,
die laut schriftlichem Befund keine Anzeichen einer später
nachgewiesenen, nicht mehr ganz frischen Kleinhirnblu-
tung bei einem 63-jährigen Patienten mit in Einklang zu
bringenden Symptomen einer Hirnblutung wie Kopf-
schmerzen, Übelkeit, Schwindel und hypertensiver Entglei-
sung zeigte, führte zur Haftung für die persistierenden Be-
schwerden, da dem Patienten die beweisrechtlichen Nach-
teile nicht zuzumuten waren.
Geräteanwendung
Kommt es bei einer Probe-Laserung einer nicht näher be-
schriebenen Schmucktätowierung am Bauch durch einen
nicht als optimal angesehenen Light-SheerLaser zu einer
für die angegebene Impulslänge (100 ms) und Leistung (24
Joule) ungewöhnlichen Verbrennung dritten Grades mit
narbiger Abheilung, ist dennoch von einer unsachgemäßen
Anwendung auszugehen (Anscheinsbeweis). An einer ord-
nungsgemäßen Risikoaufklärung eines kosmetischen Ein-
griffs über die unerwünschten Wirkungen, Erfolgsaussich-
ten, alternativen Verfahren und den Lasertyp fehlte es zu-
dem.