

Gutachtliche Entscheidungen
189
Resistenzmitteilung erfordert Umstellung der Antibiotikagabe
deutliche Verschlechterung erkennen ließ. Es zeigten sich nun-
mehr eine ausgedehnte Mastoiditis und Otitis media sowie
ein Fokalbefund und ein perifokales Ödem im linken Tem-
porallappen, entsprechend einem umschriebenen Hirnab-
szess. Die Meningen waren in diesem Bereich im Sinne einer
entzündlichen Reaktion
verdickt.AndiesemTag klagte die Pa-
tientin auch über zunehmende unerträgliche Kopfschmerzen.
Unter dem Verdacht einer beginnenden Durchwanderungs-
meningitis wurde bei der Patientin notfallmäßig noch am
8. Dezember nach Einweisung durch den Arzt eine radikale
Mastoidektomie mit Freilegung der Dura und des Sinus sig-
moideus und am 12. Dezember eine Abszessdrainage links
temporal vorgenommen, wobei sich rahmiger Eiter entleerte.
Der weitere Verlauf war ohne Komplikation.
Beurteilung
Die seit dem 13. November bestehenden linksseitigen Ohr-
schmerzen wurden von dem belasteten HNO-Arzt zunächst
sachgerecht mit Ofloxacin (Tarivid
®
) und Doxycyclin sowie
Nasensprays und die imweiteren Verlauf auftretende Trom-
melfellperforation zutreffend mittels Paukendrainage be-
handelt.
Das vorab telefonisch mitgeteilte Ergebnis des von dem Se-
kret entnommenen Abstrichs wurde aber offensichtlich
missverstanden in dem Sinne, wegen Resistenzen solle die
Behandlung nur mit Gentamycin, Ciprofloxacin und Cotri-
moxazol erfolgen. Es war fehlerhaft, die Behandlung mit
Ciprofloxacin fortzuführen und den erst am nächsten Tag
übermittelten schriftlichen Befund zu ignorieren, auch, als
bei fehlender Besserung ein weiterer Abstrich zum gleichen
Ergebnis führte. Erst die zunehmenden Beschwerden und
die daraufhin veranlassten CT-und MRT-Kontrollen führten
zum Nachweis der otogenen Durchwanderungsmeningitis
mit Temporallappenabszess.
Die sachgerechte Behandlung der Otitis media scheiterte an
der fehlinterpretierten Information über die gerade nicht an-
zuwendenden Antibiotika. Dieser „Kommunikationsfehler“
war als schwerwiegender Behandlungsfehler zu bewerten,
weil er angesichts der übermittelten, vom Arzt aber außer
Betracht gelassenen Laborbefunde schlechterdings unver-
ständlich war. Die Entstehung einer lebensbedrohlichen
Situation mit langem Heilverlauf und Folgeschäden hätte
verhindert werden können.
Fall 3
Im dritten Fall wurde bei einem 47-jährigen Mann eine ge-
deckt perforierte Sigmadivertikulitis mittels linksseitiger
Colonteilresektion mit Colorektostomie operativ saniert. Be-
reits drei Tage zuvorwar eine Antibiotikatherapie mit Cipro-
floxacin und Metronidazol eingeleitet und postoperativ fort-
gesetzt worden, obwohl der intraoperativ entnommene Ab-
strich einen ausschließlich gegen Imipenem empfindlichen
und gegen Ciprofloxacin resistenten E. coli-Keim nachwies.
Fortgesetzte Gabe unwirksamer Antibiotika
Unter Fortsetzung dieser Behandlung, deren Wirksamkeit
(gegen Metronidazol) nicht überprüft wurde, blieb der CRP-
Wert deutlich erhöht. Nach vorübergehender Absetzung
wurde die Therapie mit dem ebenfalls unwirksamen Cefu-
roxim sowie mit Metronidazol fortgesetzt. Es traten Durch-
fälle auf, sonographisch zeigte sich freie Flüssigkeit subhe-
patisch sowie zwischen den Darmschlingen. Trotz erhöhter
Entzündungswerte wurde der Patient am 12. postoperativen
Tag entlassen, um drei Tage später mit linksseitigen Flan-
kenschmerzen und anhaltenden Diarrhöen, Leukozytose,
CRP-, LDH-, GGT-, Serumharnstoff- und Serumkreatinin-
Erhöhung wieder aufgenommen zu werden.
Das CT ergab keinen Abszess und keine freie Luft, eine Ana-
stomosendehiszenz wurde ebenfalls ausgeschlossen. Aber-
mals wurde für zwei Tage Cefuroxim, hiernach Imipenem
verabreicht und dieses weitere zwei Tage später ersatzlos ab-
gesetzt. Am 17. postoperativen Tag führte eine erneute CT-
Untersuchung, die keine Änderung gegenüber dem Vorbe-
fund ergab, zur Verlegung auf die internistische Intensivsta-
tion. Von dort aus wurde der Kranke sechs Tage später zur
Dialyse in eine auswärtige Klinik verlegt.
Eine Woche später erfolgte dort eine Relaparotomie mit
Nachweis einer Abszedierung in Höhe der Anastomosen-
region im proximalen Rektum beginnend und bis in Höhe
der linken Colonflexur reichend und ohne Anhaltspunkte
für eine Dehiszenz. Bakteriologisch wurde abermals ein
multiresistenter E. coli-Keim nachgewiesen, der ausschließ-
lich gegen Meropenem und Imipenem sensibel war. Letzte-
res wurde ab dem Operationstag über 14 Tage verabreicht.
Die Allgemeinsituation besserte sich nun rasch, schon zehn
Tage postoperativ waren keine Dialysen mehr erforderlich.
Beurteilung
Es war als fehlerhaft zu beurteilen, dass die postoperative
Begleittherapie trotz nachgewiesenen multiresistenten Coli-
Bakteriums mit einem nicht wirksamen Antibiotikum fort-
gesetzt wurde.
Als Folge dieses Fehlers entwickelte sich das bedrohliche
septische Krankheitsbild mit Leukozytose und massiver
CRP-Erhöhung. Da die Ultraschalluntersuchung nicht
weitergeführt hatte, wären nun folgerichtig die Anfertigung
einer CT-Untersuchung und gegebenenfalls auch eine
diagnostische Laparotomie erforderlich gewesen. Die Ent-
lassung aus demKrankenhaus war bei demvorliegenden Be-
fund unvertretbar. Das gilt auch für die Fortsetzung der un-
geeigneten Therapie nach derWiederaufnahme.
Bereits nach Auftreten der Niereninsuffizienz und spätes-
tens nach dem zweiten CT hätte die Indikation zur Relaparo-
tomie gestellt werden müssen, die zum früheren Nachweis
und zu einer zeitgerechten adäquaten Therapie der um-
schriebenen sekundären Peritonitis auf dem Boden einer
abgelaufenen Divertikulitis des Colons geführt hätte. Auf-
grund des festgestellten schwerwiegenden Behandlungsfeh-
lers trifft die Beweislast dafür, dass das Nierenversagen und
die Hämodialyse auch durch zeitgerechte Therapie nicht
hätte abgewendet werden können, die Behandlungsseite.
Heinz Ferdinand Stupp, Antonio Larena-Avellaneda,
Beate Weber und Ulrich Smentkowski