

gar schwerwiegende –Behandlungsfehler. Bereits imMai lag
statt eines kontrollbedürftigen Typ IIG, der mittels Spreiz-
hose behandelt wurde, ein nicht erkannter Typ IV nach Graf
vor, das heißt eine luxierte Hüfte (Behandlungsfehler). Die
Kontroll-Sonographie im Juni wurde fehlerhaft nicht mittels
Bildmaterials festgehalten (Dokumentationsmangel), aber
eine „Besserung“ notiert. Im Juli und August wurde auf-
grund der Sonogramme fälschlicherweise ein Normalbe-
fund attestiert (Behandlungsfehler) und die Spreizbehand-
lung im Juli abgesetzt. Dank der Einweisung durch den
Kinderarzt erfolgte noch imAugust bei Hüftgelenksluxation
andernorts eine Fettweis-Sitzhockgipsbehandlung, die bis
Dezember zu einer stabilen Hüfte mit Restdysplasie führte.
Die Zeitverzögerung und die Restdysplasie gehen freilich
zulasten des Orthopäden.
Um einen Dokumentationsmangel handelt es sich, wenn ei-
ne 64-jährige Patientin ihren Augenarzt über 16 Jahre hin-
weg zehn Mal konsultiert, ohne dass die Beschwerden und
Augenuntersuchungsbefunde niedergelegt werden. Die
deutliche Sehminderung am linkenAuge und die ausgepräg-
ten Gesichtsfelddefekte an beiden Augen aufgrund eines
zwischenzeitlich entstandenen Glaukoms gehen zulasten
des Arztes, weil wegen der Lückenhaftigkeit der Aufzeich-
nungen derVerlauf nicht mehr aufklärbar war und nach den
Umständen grobe Behandlungsfehler wahrscheinlich sind.
Befundermittlung bei Risikofaktoren
Statt einer „normalen Gravidität“ hätten Anzeichen einer
Risikogravidität mit Adipositas der Mutter, Nikotinabusus
und Zustand nach Sektioentbindung des ersten Kindes
wegen Retardierung und Oligohydramnie, ein mütterlicher
Gewichtsverlust von fünf Kilogramm in zwölf Wochen im
2. Trimenon, rezidivierende Harnwegsinfekte ab der
22. SSW und Fetometriewerte fast konstant an der unteren
Grenze im Schwangerschaftsverlauf erkannt, imMutterpass
und in den Krankenunterlagen dokumentiert werden und
im 3. Trimenon zu einer intensiveren Schwangerschafts-
überwachung führen müssen. Bei rechtzeitiger Überwei-
sung zur primären Re-Sektio in der 37. Schwangerschafts-
woche resultierte allerdings kein Gesundheitsschaden.
Verlaufskontrollen
Da aus den Krankenunterlagen weder der primäre Befund
noch regelmäßig erforderliche klinische und sonographi-
sche Kontrollen des Bauchs und des Kreislaufs durch einen
Arzt trotz „zweimaliger Arztinfo“ wegen Luftnot und zu-
nehmender abdomineller Symptomatik über zehn Stunden
nach stumpfem Bauchtrauma mit atemabhängigen Thorax-
schmerzen durch einen abendlichen Fahrradsturz hervor-
gingen, musste zulasten der Ärzte angenommen werden,
dass die zweizeitige Milzruptur in der Nacht verkannt und
die Notfall-Laparotomie verzögert wurde.
Bei einem psychotischen 71-jährigen Patienten mit Verwei-
gerung der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme und zwi-
schenzeitlich aufgetretener Pleuropneumonie konnten eine
genaue Flüssigkeitsbilanzierung sowie laborchemische und
Urin-Kontrollen nicht vorgelegt werden, sodass die Exsik-
kose – die nach Verlegung unter sachgerechter Therapie
rasch reversibel war – mit konsekutiver Immobilität und
Dekubitusentstehung den Ärzten als Folge eines Sorgfalts-
mangels anzulasten war.
Pflegeprotokoll
Geht weder aus der Krankenakte noch aus dem Pflegebe-
richt bei einem 78-jährigen teilweise verwirrten Patienten
nach einer mittels Hüftendoprothese versorgten Femurfrak-
tur das erkannte Dekubitusrisiko hervor, und sind eine Pro-
phylaxe nach Plan und eine Pflege und Lagerung bei einge-
tretenem Dekubitus aus den Unterlagen nicht ersichtlich, so
ist davon auszugehen, dass der aufgetretene Dekubitus auf
Versäumnisse in diesem Bereich zurückzuführen ist. Eine
angebliche „Unmöglichkeit“ der Prophylaxe bei unkoopera-
tivemPatienten hätte inderAkte dokumentiertwerdenmüssen.
Präoperative Befunde
Fehlt es an den Unterlagen zur präoperativen Berechnung
der Linsenwerte, so geht die postoperative Hyperopie von
2,25 Dioptrien zulasten des Arztes.
Für ein frühzeitiges Rezidiv musste ein Orthopäde haften,
der bei Spreizfuß mit Hallux valgus-Fehlstellung präopera-
tiv weder die Anamnese noch eine ausreichende Befunder-
hebung mit den Winkelwerten, dem Metatarsalindex noch
den Zustand des Großzehengrundgelenks mit der Frage ei-
ner Subluxation/Arthrose niederlegte noch einen OP-Be-
richt vorlegen konnte. Die Indikation und die Durchfüh-
rung der Vorfußoperation waren anhand der vorgelegten
Unterlagen nicht zu beurteilen.
Indikation
Haften musste ein Arzt für ein Querschnittssyndrom auf-
grund einer lokalen Staphylococcus aureus-Infektion mit
Meningitis, da aus seinen Unterlagen keine rechtfertigende
Anamnese- und Untersuchungsbefunderhebung für die
Durchführung einer zweimaligen CT-gesteuerten Infiltra-
Gutachtliche Entscheidungen
191
Folgen ärztlicher Dokumentationsmängel
Tabelle: Dokumentationslücken in den abgeschlossenen Verfahren
bei der Gutachterkommission Nordrhein der Jahre 2007–2011
Zeitraum 1.1.2007–31.12.2011 n Anteil in %
(von n)
Gesamtzahl der Begutachtungen*
7.039
100,0
– mit im Verfahren festgestellten
Dokumentationslucken
751
10,7
Darunter im Einzelnen bei
OP-Bericht
182
2,6
Sicherungsaufklärung an Patienten/
Nachbehandler
180
2,6
Befundniederlegung Anamnese,
Einzel- und/oder Verlaufsbefund
164
2,3
Risikoaufklärung
110
1,6
Eingriffsprotokoll/medizinische Maßnahme
82
1,2
Bildgebung
58
0,8
Krankenakte
48
0,7
Entlassungsbrief/Befundbericht
36
0,5
Pflegeprotokoll (auch Dekubitusprophylaxe)
19
0,3
*
Begutachtungen = Gutachtliche Bescheide der Gutachterkommission
und nach Einholung eines Gutachtens nicht weiter verfolgte Anträge