

Rechtliche Grundlagen
Vertraglich, aber auch in Folge einer bloß faktisch übernom-
menen Behandlungsaufgabe, also deliktisch, ist der Arzt zur
Therapiesicherung und Erfüllung der ihm gegenüber dem
Patienten obliegenden Rechenschaftspflichten gehalten,
Aufzeichnungen zum Behandlungsablauf niederzulegen [1].
Das Behandlungsgeschehen soll dadurch für den Arzt und
den Patienten jederzeit nachvollziehbar sein. Soweit es den
Patienten betrifft, dient dies vor allem der Wahrung seines
Persönlichkeitsrechts [2]. Verletzungen der Pflicht zur Do-
kumentation sind zwar in der Regel keine Behandlungsfeh-
ler, sprechen aber unter Umständen zulasten des Arztes (so-
genannte Vermutung) in der Art, dass
erforderliche Untersuchungen und sonstige Maßnahmen
nicht durchgeführt wurden und/oder
rechtfertigende Befunde für einen Eingriff nicht erhoben
wurden, sodass die Indikation in Zweifel zu ziehen ist,
sowie
bei strittiger Sachverhaltsdarstellung ein Aufklärungs-
versäumnis vorliegt, wenn das Aufklärungsgespräch
nicht anderweitig bewiesen werden kann [3, 4].
Zweck der Dokumentationspflicht ist es aber nicht, in einem
späteren Arzthaftungsprozess Vorwürfe abwehren zu kön-
nen [5], auch wenn dies ein wichtiger Nebeneffekt ist. Nach
den Grundsätzen der heute gültigen Rechtsprechung
kommt der ärztlichen Dokumentation ein hoher Beweis-
wert zu. Im Allgemeinen ist einer angemessenen, vollstän-
digen und zeitnah zur Behandlung erstellten Dokumenta-
tion zu vertrauen, sodass die Durchführung der dokumen-
tierten Maßnahmen aufgrund der ärztlichen Berichte bis zum
Beweis des Gegenteils als erwiesen angesehen werden kann
[6]. Eine sorgfältige Dokumentation kann den Arzt also
durchaus vor unberechtigt gestellten Ansprüchen in Arzt-
haftungsverfahren schützen helfen [7]. Im Umkehrschluss
kann eine Nichtdokumentation beweisrechtliche Folgen ha-
ben: Kommt der Arzt nämlich seiner Pflicht zur Befund-
sicherung, beginnend bei der Anamnese- oder Untersu-
chungsbefunderhebung oder bei der differenzialdiagnosti-
schenAbklärung beispielsweise mittels Labor oder Röntgen,
nicht nach, kann dies im Arzthaftungsprozess zur Folge ha-
ben, dass diese als nicht erfüllt angesehen wird (Befunder-
hebungsfehler). Muss dabei dann sogar davon ausgegangen
werden, dass sich mit hinreichenderWahrscheinlichkeit ein
positiver, reaktionspflichtiger Befund ergeben hätte und
dessen Verkennung oder gedachte Nichtreaktion hierauf ei-
nen groben Behandlungsfehler darstellen würde, so kann
dies Beweiserleichterungen für den Patienten bis hin zur
Beweislastumkehr bewirken [8].
Wie es um die Qualität der ärztlichen Dokumentation wirk-
lich bestellt ist, darüber gibt es kaum Zahlen. Ärzte selber
beklagen „eine überbordende Bürokratisierung ihres Ar-
beitslebens“, sodass kaum noch Zeit für die Patientenversor-
gung bleibe [9]. Hier muss also ein Spagat gelingen zwi-
schen effizienter Patientenbetreuung und den Anforderun-
gen des Haftungsrechts an den Arzt: so viel wie nötig und so
kurz und knapp wie möglich.
Nach einer 2006 durchgeführtenAuswertung der Norddeut-
schen Schlichtungsstelle von 317 stichprobenartig ausge-
wählten Krankenakten abgeschlossener Begutachtungsver-
fahren des Jahres 2004 aus dem Bereich Chirurgie, Ortho-
pädie, Innere Medizin und Neurologie waren diese nur zu
27 Prozent in allen erforderlichen Dokumentationsteilen
vollständig und qualitativ einwandfrei. Die ärztlichen Ver-
laufsnotizen entsprachen nur zu 49 Prozent den Anforde-
rungen [10].
In Nordrhein werden Dokumentationslücken in den Kran-
kenunterlagen in etwa zehn Prozent der Verfahren von den
Gutachtern moniert und so in der Datenbank erfasst. In den
Jahren 2007 bis 2011 fanden sich beispielsweise in 751 der
7.039 abgeschlossenen Verfahren Dokumentationslücken,
darunter in knapp einem Viertel der 2.193 Verfahren mit
festgestelltem Behandlungsfehler. Haftungsrechtliche Aus-
wirkungen, das heißt Beweiserleichterungen für die Patien-
ten, ergaben sich allerdings nur in 14 Verfahren.
Anders stellt sich die Situation bei der Risikoaufklärung dar,
da hier die Beweislast für ein sachgerechtes Vorgehen bei
strittiger Sachverhaltsdarstellung beim Arzt liegt: In 110 der
7.039 Verfahren wurden Dokumentationsmängel bei der
vom Patienten gerügten Risikoaufklärung festgestellt; in
27 Fällen mussten Ärzte aufgrund der Rechtswidrigkeit der
ansonsten sachgerecht vorgenommenen Behandlung für
Gesundheitsschäden haften, da sie den erforderlichen Nach-
weis für ein ordnungsgemäßes Aufklärungsgespräch nicht
erbringen konnten.
Häufigste Gründe für Beanstandungen bei der Dokumenta-
tion waren OP-Berichte, die Sicherungsaufklärung an den
Patienten und/oder den Nachbehandler und die Anamnese-
und Befundniederlegung
(siehe Tabelle Seite 191)
. Hierzu
schrieb beispielsweise ein Gutachter: „Sachverhalt insge-
samt schwierig und mühsam aufzuklären, da mangelhafte
und teilweise fehlende Dokumentation mit wirren, nicht
nachvollziehbaren Beschreibungen der krankhaften Befunde.“
Praktische Konsequenzen
Befunderstellung
Die Grenzen zwischen Dokumentationsmängeln und Be-
funderhebungsfehlern sind fließend.
Wenn die von einem Orthopäden nach Überweisung des
Kinderarztes wegen Hüftdysplasie zwischen Mai und Au-
gust 2007 durchgeführten Sonogramme gravierende Män-
gel hinsichtlich des Abbildungsmaßstabes, der Seitenloka-
lisation, der Datierung und der dem damaligen Standard
widersprechenden methodischen Grundsätze zeigen, so
sind das nicht bloße Dokumentationsmängel, sondern – so-
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Gutachtliche Entscheidungen
Folgen ärztlicher Dokumentationsmängel
Rechtliche Auswirkungen einer unzureichenden Dokumentation für Patient und Arzt