

Mit einem Anteil von über 80 Prozent ist das Nierenzellkar-
zinom die häufigste Tumorerkrankung der Nieren. Es kann
in allen Altersstufen auftreten, vorwiegend im fünften bis
sechsten Lebensjahrzehnt, bei Männern etwa doppelt so
häufig wie bei Frauen. Der Tumor wächst mit unterschied-
licher Intensität über die Nieren hinaus oder in das Nieren-
becken hinein. Fettkapsel, Hohlraumsystem und Nachbar-
strukturen können infiltriert werden. Metastasen können
regionäre Lymphknoten, Lungen, Knochen, Leber und an-
dere Organe befallen.
Seit Ultraschalluntersuchungen zur Routine geworden sind,
werden Nierenkarzinome häufiger in einem frühen Stadi-
um erkannt, in dem sich noch keine Krankheitssymptome
wesentlich bemerkbar machen. Ein Frühsymptom ist die
schmerzlose, nur mikroskopisch nachweisbare Hämaturie.
Bei Einbruch des Tumors in das Nierenhohlsystem kommt
es zu einer sichtbaren Harnblutung. Subjektiv empfundene
Symptome, wie zum Beispiel ein Flankenschmerz, treten
erst auf, wenn der Tumor eine gewisse Größe erreicht und
bereits Bauchwand oder Nachbarorgane infiltriert hat. Die
Gutachterkommission hatte sich vor kurzem mit folgendem
Fall zu befassen.
Der Sachverhalt
Aus den Krankenunterlagen der beiden beschuldigten Internis-
ten Dr. A. und Dr. B., verbunden in einer Gemeinschaftspra-
xis, und der nachbehandelnden Klinik ergab sich Folgendes:
Der damals 39 Jahre alte Patient wurde ab 1981 aus den ver-
schiedensten Anlässen in der Gemeinschaftspraxis regelmäßig
behandelt. Er erschien imOktober 1995 zu einer Routineun-
tersuchung, bei der imHarn rote Blutkörperchen festgestellt
wurden. Dr. A. führte diesen Befund nach einer Ultraschall-
untersuchung auf eine beginnende Schrumpfung der rechten
Niere zurück. Eine weitere Diagnostik erfolgte nicht.
ImApril 1998 wurde bei einer erneuten Untersuchung wieder
eine Mikrohämaturie festgestellt und nach einer Sonographie
der „Verdacht auf ein kleines Konkrement im Nierenparen-
chym rechts kaudal, kein Stau, sonst o. B.“ dokumentiert.
Dr. A. veranlasste eine Röntgenuntersuchung der Nieren
und ableitenden Harnwege durch Dr. B., die am 18.Mai 1998
in Form eines intravenösen Pyelogramms vorgenommen
wurde und nach der schriftlichen Beurteilung von Dr. B.
keinen verdächtigen Befund ergab. Ein Hinweis an den Pa-
tienten wegen weiterer Kontrollen erfolgte nicht. Auch bei
seiner nächsten Vorstellung in der Gemeinschaftspraxis im
Februar 1999 wegen eines Hämorrhoidalknotens und einer
Mittelohrentzündung wurde auf eine Kontrolluntersuchung
des Harns verzichtet.
Ende August 1999 fand aus anderen Gründen eine sozialme-
dizinische Untersuchung statt, bei der der Verdacht auf ei-
nen Nierentumor geäußert wurde. Die darauf am 2. Septem-
ber in der Gemeinschaftspraxis durchgeführte weitere Un-
tersuchung ergab eine Harnblutung und im Ultraschallbild
einen 3,9 x 4,2 cm großen echoarmen raumfordernden Pro-
zess an der rechten Niere. Die Röntgenaufnahmen vom sel-
ben Tage zeigten nach Kontrastmittelinfusion eine Sprei-
zung des Nierenbeckens zwischen oberer Kelchgruppe und
Harnleiterabgang sowie eine diskrete Verbreiterung der
Kontur des rechten oberen Nierenpols.
Tumordiagnose nach Computertomographie
Eine Computertomographie des Bauchraumes, die am fol-
gende Tage in einer radiologischen Praxis vorgenommen
wurde, ergab einen 5 x 4 x 4,5 cm großen Tumor am oberen
Pol der rechten Niere mit breitbasiger Destruktion des Nie-
renparenchyms und breitbasigem Einwachsen in das Nieren-
becken. Nierenvene und untere Hohlvene erschienen tumor-
frei, die retroperitonealen Lymphknoten waren nicht ver-
größert. Eine nachfolgende Thoraxaufnahme in der Gemein-
schaftspraxis ergab keinenVerdacht auf Lungenmetastasen.
Wenige Tage später wurde in einer urologischen Fachklinik
die Tumornephrektomie rechts einschließlich Entfernung
der Nebenniere vorgenommen. Der postoperative Verlauf
war komplikationslos.
Der Entlassungsbericht beschreibt ein überwiegend klein-
zelliges Nierenzellkarzinom mit der Tumorklassifikation
pT3a, G2. Das nach 6 Monaten in einem Röntgeninstitut
durchgeführte Spiral-CT des Oberbauches zeigte eine leere
Nierenloge mit narbigen Bindegewebsstrukturen und eine
kompensatorisch vergrößerte linke Restniere. Der übrige
Befund war unauffällig; paraaortale Lymphome wurden
nicht nachgewiesen.
Gutachtliche Beurteilung
Die Gutachterkommission stellte gegenüber beiden Ärzten
vorwerfbare Behandlungsfehler fest und begründete dies wie
folgt:
Nachdem im Oktober 1995 erstmalig eine Mikrohämaturie
ohne Miktionsbeschwerden und als Ursache eine beginnen-
de Nierenschrumpfung angenommenwurde, hätten imHin-
blick auf diese Verdachtsdiagnose weiterführende diagnosti-
sche Maßnahmen stattfinden müssen. Diese erfolgten erst
zweieinhalb Jahre später, als erneut spontan eine Harnblu-
tung auftrat und nach der Ultraschalluntersuchung der Ver-
dacht auf einen Nierenstein geäußert wurde.
Die anschließende Röntgenuntersuchung durch Dr. B. am
18. Mai 1998 war unzureichend. Die Röntgenbilder lagen
der Kommission vor. Die Übersichtsaufnahme zeigt keinen
steinverdächtigen Schatten. Die Nierenkonturen sind nicht
dargestellt, so dass die Annahme einer Schrumpfniere nicht
begründet war. Mangels ausreichender Kontrastmitteldichte
und teilweiser Darmgasüberlagerung lassen die Aufnahmen
keine schlüssige Beurteilung zu. Ein Nierentumor lässt sich
aus diesen Röntgenaufnahmen weder bestätigen noch aus-
schließen.
Verzögerte Diagnose eines malignen Nierentumors
Nierenzellkarzinom ist die häufigste Tumorerkrankung der Niere
Gutachtliche Entscheidungen
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