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Die Gutachterkommission hat sich in zahlreichen Fällen mit

fehlerhaftem Vorgehen befassen müssen, das Indikation,

Durchführung, Risikovorsorge und unzureichende Aufklä-

rung bei Infiltrationen von Lokalanästhetika im Bereich

des Halses und Brustkorbs betraf.Wenn zum Beispiel bei ei-

nem so genannten Cervical-Syndrom mit dafür typischen

Schmerzen und Funktionsstörungen entzündliche und tu-

moröse Prozesse als ausgeschlossen gelten können, dann

können nach Ausschöpfung der physikalischen Therapie

und/oder nach einer erfolglosen Pharmakotherapie mit

Analgetika, Antiphlogistika oder Muskelrelaxantien gezielte

Infiltrationen der Haut, der befallenen Ligamente und Mus-

kulatur oder der so genannten Triggerpunkte zum Beispiel

mit einem Anästhetikum – ggf. mit Beimischung anderer

Medikamente – durchaus sinnvoll sein. Man bezeichnet der-

artige Maßnahmen auch als therapeutische Lokalanästhesie

– u. a. in Form von paravertebralen Infiltrationen – oder als

Neuraltherapie imUnterschied zu der eigentlichen Regional-

anästhesie mit gezielten Blockaden zum Beispiel von Spinal-

nervenwurzeln im cervicalen oder thorakalen Bereich oder

von peripheren Intercostalnerven.

Derartige Infiltrationsanästhesien sind jedoch nicht ohne

Risiken und Komplikationen. So können,wie die Erfahrung

lehrt, hierbei kardiovaskuläre Reaktionen bis hin zu drama-

tischen Hypotensionen in Abhängigkeit von Zeit, Dosis und

Applikationsort auftreten, ferner zentral-nervöse Reaktio-

nen, allergische Reaktionen bis hin zum anaphylaktischen

Schock, vagovasale Reaktionen bis hin zum Herzstillstand,

und bei paravertebralen Infiltrationen im Thoraxbereich

speziell Verletzungen der Pleura parietalis und pulmonalis

mit nachfolgendem artifiziellen Pneumothorax.

Der Patient bedarf deshalb vor Therapiebeginn einer aus-

reichenden Aufklärung nicht nur über den Eingriff als sol-

chen, sondern auch über seine typischen Risiken. Dem Arzt

obliegt zudem eine Vorsorge zur Beherrschung eintretender

Komplikationen,wozu auch eine etwa notwendig werdende

Sicherungsaufklärung der Patienten gehört. Dies gilt insbe-

sondere für den Fall des iatrogenen Pneumothorax.

Beispielhaft werden die beiden nachfolgenden Sachverhalte

geschildert, die die Gutachterkommission zu beurteilen hatte.

Behandlungsfehler eines praktischen Arztes

Die 64-jährige Patientin konsultierte den Arzt am 4. August

wegen Schmerzen im Bereich des dritten und vierten Hals-

wirbelkörpers und unterhalb der Mitte des linken Schlüssel-

beins sowie im linken Schultergelenk. Noch am selben Tage

erhielt sie Bestrahlungen mit dem Jonomodulator, ferner– so

die Krankenunterlagen – „drei subkutane, periossale Injek-

tionen im Bereich der Halswirbelsäule, des Schlüsselbeins

und der Schulter von Prednisolon

®

25 (ein Glucocorticoid als

Antiphlogistikum) zusammen mit Lidocain

®

1% (einem Lo-

kalanästhetikum bzw. Neuraltherapeutikum), je Injektion je

1 ml.“ Am 11. August wiederholte der Arzt diese Injektionen

amHals, am Schlüsselbein und im Bereich der linken Schulter.

Da die Patientin am 21. September weiter über Schmerzen

in den vorgenannten Bereichen, nun jedoch in der rechten

Schulter, klagte,verabreichte derArzt erneut drei Infiltratio-

nen, und zwar „rechts thorakodorsal“. Bei einer der Injek-

tionen bekam die Patientin einen Hustenanfall, den der Arzt

aber nicht weiter beachtete. Die Behandlung erfolgte etwa

um die Mittagszeit. Die Patientin wurde ohne weitere Hin-

weise entlassen.

Am frühen Abend traten Atemnot und starke Schmerzen im

Oberbauch rechts auf – ohne Übelkeit und Erbrechen. Ge-

gen 20.30 Uhr veranlasste der Notarzt „wegen Verdachts auf

akutes Abdomen“ die Aufnahme in der chirurgischen Abtei-

lung eines Krankenhauses. Die Untersuchung ergab: Der

Oberbauch war gering druckschmerzhaft, die Peristaltik trä-

ge. Es bestanden Schmerzen im Bereich der Schulter. Über

der rechten Lungewaren basal mittelblasige Rasselgeräusche

hörbar, außerdem ein abgeschwächtes Atemgeräusch, die

Verschieblichkeit des rechten Zwerchfells war vermindert,

der Klopfschall sonor. Die Röntgenkontrolle des Thorax vom

selbenTage ergab rechtsseitig einen kleinen Spitzenpneumo-

thorax und beiderseits basal geringe Plattenatelektasen.

Unter der Diagnose eines Pneumothorax geringen Ausmaßes

rechts sowie des Verdachts auf Bronchopneumonie (rechts

basal) wurde die Patientin zunächst konservativ antibiotisch

behandelt. Da der Pneumothorax in den nächsten Tagen

deutlich zunahm,wurde am 26. September eine Thoraxdrai-

nage rechts mit Sog angelegt. Am 27. war die Lunge wieder

vollständig entfaltet, so dass die Drainage am 1. Oktober ent-

fernt und die Patientin am nächsten Tage entlassen werden

konnte. Der Pneumothorax war an diesem Tage auch radio-

logisch nicht mehr nachgewiesen und im Ergebnis folgen-

los geschwunden.

Gutachtliche Beurteilung

Die Gutachterkommission bezweifelte die vom behandeln-

den Arzt bejahte Indikation der Infiltrationstherapie, da den

Krankenunterlagen nicht zu entnehmen sei, dass eine kon-

servative Therapie ausgeschöpft und ohne Erfolg geblieben

sei. Als nachweisbar fehlerhaft bewertete sie jedoch die Un-

terlassung der hier gebotenen Aufklärung über die Risiken

und möglichen Komplikationen der beabsichtigten und da-

mit ohne wirksame Einwilligung durchgeführten Therapie.

Die weitere Frage, ob der Arzt fachlich korrekt und mit der

notwendigen Sorgfalt vorgegangen ist, konnte die Kommis-

sion nicht abschließend klären, da Feststellungen zur Injek-

tionstiefe und Richtung der Injektionskanüle nicht mehr

möglich waren. Außerdem war nicht feststellbar, ob der

Hustenanfall bei der ersten Injektion erfolgte, wie es die Pa-

tientin darstellte, oder ob er erst nach der letzten Injektion

auftrat, wie es der Arzt behauptete.

Die Gutachterkommission war bei der Beurteilung – man-

gels belastender Feststellungen – der Auffassung, dass auch

unter Beachtung der variablen Anatomie der Rückendicke

Vermeidbare Fehler bei therapeutischen Infiltrationen

Fehler bei Infiltrationsanaesthesien im Hals-, Thorax- und Wirbelsäulenbereich

Gutachtliche Entscheidungen

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