

Mammakarzinom
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Gutachtliche Entscheidungen
Die Kommission stellte deshalb als vorwerfbaren Behand-
lungsfehler fest, dass der Gynäkologe nicht die gebotene
Sorgfalt gewahrt hat. Er hätte schon im September und nicht
erst Ende April des übernächsten Jahres, also über andert-
halb Jahre früher, auf die dringend erforderliche Klärung
des verdächtigen Befundes hinwirken müssen. Zu diesem
Zeitpunkt hätte das Karzinom nachgewiesen werden können
mit der Folge einer deutlich besseren Heilungschance.
Der zweite zu schildernde Sachverhalt betrifft die Behand-
lung eines Gynäkologen und eines Radiologen.
Der Sachverhalt
Aus den Behandlungsunterlagen der beiden beschuldigten
niedergelassenen Ärzte und der nachbehandelnden Klinik
ergab sich Folgendes:
Der Gynäkologe tastete bei der Untersuchung der 42-jähri-
gen Patientin am 28. Juli ein, wie er dokumentierte, „Knöt-
chen“ an der linken unteren Brustseite und beschrieb es als
nicht verdächtig. Nachdem vor 5 Monaten im Rahmen einer
Vorsorgeuntersuchung am 2. März eine Mammographie
beidseits in zwei Ebenen außer einer Mastopathie keinen
Anhalt für ein pathologisches Geschehen erbracht hatte, sah
der Gynäkologe von einer weiteren Mammographie ab.
Bei den anschließend in Abständen von etwa drei Monaten
durchgeführten insgesamt vier Kontrolluntersuchungen bis
Mitte Juli des folgenden Jahres findet sich in der Dokumen-
tation des Gynäkologen keine weitere Erwähnung des zuvor
festgestellten kleinen Knotens. Erst nach der nächsten Un-
tersuchung am 16. September findet sich der Vermerk
„derber, fast unverschieblicher druckdolenter Knoten“. Die
vom Gynäkologen nun veranlassten mammographischen
Aufnahmen vom 20. September, die der Gutachterkommis-
sion nicht vorgelegt werden konnten, wurden vom Radiolo-
gen im Wesentlichen wie folgt beurteilt: „Mammographie
beidseits in zwei Ebenen, kein Hinweis auf ein Malignom.
Kein suspekter Tastbefund.“
Im Kommissionsverfahren erwähnte der Radiologe hierzu
ergänzend, dass bei seiner klinischen Untersuchung ein
knapp 5 mm großer, subkutaner Knoten an der linken unte-
ren Mammaumschlagfalte vorgelegen habe, der nicht mehr
eindeutig der Brustdrüse zuzuordnen gewesen sei. Der Pa-
tientin sei im Gespräch empfohlen worden, dies durch den
Gynäkologen klären zu lassen. Sein schriftlicher Befund ent-
hält diesen Hinweis nicht; auch die Patientin bestreitet ihn.
Mitte November traten Schmerzen im Bereich des Knotens
auf. Der Gynäkologe nahm eine Hormonstörung an und be-
handelte lokal mit einer Hormonsalbe. Mitte Februar des
folgenden Jahres hatten sich Form und Aussehen des Kno-
tens verändert, so dass die Patientin nun zurMammographie
und Sonographie überwiesen wurde. Jetzt wurde der Befund
an der linken Brust als karzinomverdächtig bewertet und
die stationäre Behandlung veranlasst. Die operative Thera-
pie wurde unter Mitnahme des Fett- und Drüsengewebes der
Axilla durchgeführt, wobei bei der mikroskopischen Unter-
suchung zwei Lymphknoten von Metastasen des 2,3 cm gro-
ßen infiltrierend gewachsenen, soliden, teils adenoiden
duktalen Mammakarzinoms (pT4, N1, G2) befallen waren.
Gutachtliche Beurteilung
Die Gutachterkommission stellte in Übereinstimmung mit
dem Gutachten eines gynäkologischen und eines radiologi-
schen Fachsachverständigen Behandlungsfehler des Gynä-
kologen und des Radiologen fest.
Behandlungsfehler des Gynäkologen
Obwohl dem beschuldigten Gynäkologen seit der Untersu-
chung Ende Juli der kleine Knoten im Bereich der linken
Brust bekannt war, finden sich bei allen weiteren Untersu-
chungen bis September des folgenden Jahres keine Eintra-
gungen über die Entwicklung des „Knötchens“, auch wenn
ihm dies zunächst nicht als karzinomverdächtig erschien.
Der Palpationsbefund vom 16. September – derber, fast un-
verschieblicher druckdolenter Knoten – wurde nunmehr zum
Alarmsignal. Für die Kommission war nicht nachzuvollzie-
hen, dass der Befund des Radiologen vom 20. September –
„kein suspekter Tastbefund“ – den Gynäkologen nicht zur
Klärung des Widerspruchs und damit zu weiteren Maßnah-
men veranlasst hat. Wie der Radiologe später – abweichend
von seinem schriftlichen Befund – einräumte, lag auch bei
seiner klinischen Untersuchung ein knapp 5 mm großer,
subkutaner Knoten vor, der ihm klärungsbedürftig er-
schien.
Unabhängig von dem mangelnden Hinweis des Radiologen
gebot die ärztliche Sorgfaltspflicht dem Gynäkologen, ange-
sichts seiner eindeutigen Feststellung des näher beschrie-
benen isoliert tastbaren und damit krebsverdächtigen Kno-
tens, dessen histologische Klärung zu veranlassen, um ein
Karzinom zuverlässig nachweisen oder ausschließen zu
können. Das Versäumnis des Gynäkologen führte zu einer
Diagnose- und Therapieverzögerung von mindestens fünf
Monaten. Inwieweit hierdurch die Heilungsprognose ver-
schlechtert wurde, ließ sich in diesem Fall schwer abschät-
zen. Die Gutachterkommission betonte aber in ihrer Ent-
scheidung auch hier den allgemein anerkannten Grundsatz,
dass die Behandlungsaussichten umso besser seien, je früher
die Therapie einsetze.
Behandlungsfehler des Radiologen
Die der Kommission vorgelegte „Mammographie beidseits
in zwei Ebenen“ vom 2. März war von dem Radiologen zu-
treffend beurteilt worden. In Übereinstimmung mit derAna-
mnese und dem schriftlich fixierten klinischen und mam-
mographischen Befund ergab sich kein Anhalt für ein Mali-
gnom.
Die Mammographien vom 20. September des folgenden Jah-
res konnten aus nicht mehr feststellbaren Gründen der
Kommission nicht zur Beurteilung vorgelegt werden. Von
der linken Brust wurden damals zwei Aufnahmen in der üb-
lichen medio-lateralen und kranio-kaudalen Ebene angefer-
tigt.Wegen des unstrittigen Tastbefundes wären hier jedoch
zusätzlich markierte Zielaufnahmen des veränderten Be-
zirks, ggf. ergänzt durch eine Sonographie, erforderlich ge-
wesen. Zu beanstanden waren im Übrigen die Mängel des
Befundberichts, der sich auf die – zudem fehlerhafte – Be-
wertung „kein suspekter Tastbefund“ beschränkte, anstatt
den Tastbefund als solchen und den Rat zu seiner Klärung
mitzuteilen.