

Fehlerhafte Behandlung der Speiseröhre
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Gutachtliche Entscheidungen
mal der obere Anteil des Magens gefüllt. Hierbei nirgendwo
Austritt von Blaulösung. Es wird dann die Magensonde
wieder etwas weiter in den Magen heruntergeschoben. Die
weitere Revision zeigt dann, dass die Milz mehrere Einrisse
aufweist und sie labberig, nicht durchblutet erscheint. Es
muss davon ausgegangen werden, dass es zu einer Milz-
arterienthrombose gekommen ist. Es wird deshalb die Milz
entfernt, der Milzstiel, der schon in den Voroperationen fast
vollständig durchtrennt wurde, dargestellt und nach Setzen
von 2 Overholt-Klemmen die Milz entfernt. Am abgesetz-
ten Milzhilus finden sich Thrombosen in den großen Ge-
fäßen der Milz ...“.
Am 15. Januar erfolgte eine weitere Second-Look-Operation
mit Spülung und Einlegen einer Easy-Flow-Drainage bei
Gallefistel aus dem Lebersegment S 3. Eine erneute Spülung
wurde am 17. Januar durchgeführt. Am 21. Januar wurde
die Bauchhöhle unter der Diagnose „Gallefistel aus dem lin-
ken lateralen Lebersegment nach iatrogener Verletzung im
Rahmen der Fundoplicatio, akute Cholezystitis, persistie-
rende Peritonitis“ erneut eröffnet. Durchgeführt wurden ei-
ne Cholezystektomie, Übernähung der Leber, Anlage eines
Laparostomas und Spülung. Eine vierte Second-Look-Ope-
ration fand am 23. Januar statt; gleichzeitig wurde bei Lang-
zeitbeatmung die Tracheotomie vorgenommen. Am 26. Ja-
nuar erfolgte eine nochmalige Spülung mit nunmehr offener
Abdominalbehandlung. Weitere Revisionen wurden am
28. Januar und 8. Februar durchgeführt. In dieser ganzen
Phase erhielt die Patientin eine größere Zahl von Bluttrans-
fusionen.
Am 24. Februar wurde die Patientin mit granulierendem
Laparostoma in die beschuldigte Chirurgische Klinik zu-
rückverlegt. Die Trachealkanüle konnte entfernt werden.
Nachbehandlung
Am 16.August erfolgte eine Überweisung in die Geriatrische
Abteilung einer anderen Klinik, wo die Patientin bis zum
14. Januar des folgenden Jahres verblieb. Am 26./27. Au-
gust wurde dieser Aufenthalt wegen der notwendigen
Bougierung einer Cardiastenose in einem anderen Kranken-
haus kurz unterbrochen.
Im Entlassungsbrief vom 14. Januar sind als weitere Diagno-
sen angegeben: „Große Bauchwandwunde nach Laparo-
stoma, rezidivierende Lungenarterienembolie,Venafemoralis-
Thromben beidseits, koronare Herzkrankheit, dekompen-
sierte Linksherzinsuffizienz, intermittierende absolute
Arrhythmie, reaktive Depression, rezidivierende Übelkeit,
Barbiturat-Unverträglichkeit, Glaukom“.
Gutachtliche Beurteilung
Die Gutachterkommission verneinte in ihrer Stellungnahme
die Indikation zur Fundoplicatio. Es hätten kaumAnzeichen
vorgelegen (nur Sodbrennen bei endoskopisch kleiner Hia-
tushernie und Cardiaklaffen, keine nachweisbare Reflux-
oesophagitis, geringe Motilitätsstörung des oesophagealen
Sphinkters, aber normale Speiseröhrenmotilität im Korpus-
bereich und nur diskreter Reflux). Vor einem so weitgehen-
den Eingriff hätte deshalb zunächst eine konsequente medi-
kamentöse Behandlung erfolgen müssen. Deshalb war nach
Ansicht der Kommission allenfalls eine relative Indikation
zur Fundoplicatio gegeben.
Sie hätte allerdings ausdrücklich Gegenstand der besonde-
ren Aufklärung über den Eingriff sein müssen,was nicht ge-
schehen ist, so dass es insoweit auch an einer wirksamen
Einwilligung fehlt.
Zweifel äußert die Kommission zu der Entscheidung, ange-
sichts der Verwachsungen aufgrund der früheren Ober-
bauchoperation den Eingriff endoskopisch und nicht mit-
tels Laparotomie durchzuführen. Da nähere Umstände
nicht zu klären waren, sah die Gutachterkommission inso-
weit von der Feststellung eines vorwerfbaren Behandlungs-
fehlers ab.
Fehlerhaft war es allerdings, die ohneWeiteres aufschiebba-
re Operation bereits am 7. Januar durchzuführen, obwohl
die Patientin, entsprechend eingestellt, noch am Vortag
Aspirin eingenommen hatte. Hier hätte wegen der erhöhten
Blutungsgefahr eine Karenzzeit eingehalten werden müssen.
Die bestehende Aspirinwirkung war bei der Verletzung des
linken Leberlappens mit der erheblichen Blutung verhäng-
nisvoll. Die Leberschädigung selbst wertete die Kommission
als eingriffstypische Komplikation, die bei der Art des Ein-
griffes nicht immer sicher vermeidbar sei.
Die technische Durchführung der Operation hat die Gut-
achterkommission als grob fehlerhaft beanstandet. Die
Fundoplicatio, bei der die hier erforderliche Sorgfalt nicht
gewahrt wurde, führte allerWahrscheinlichkeit nach unmit-
telbar zur Insuffizienz des Magenfundus. Dabei kann offen
bleiben, ob die durch die ganze Manschettenwand gestoche-
ne Naht ausriss oder primär ein Loch verursachte. Ferner
war die Präparation auf Seiten der großen Magenkurvatur
fehlerhaft zu ausgedehnt und führte zu einer fast völligen
Devaskularisierung der Milz mit dem Ergebnis, dass sie bei
dem zweiten Folgeeingriff entfernt werden musste.
Insgesamt bewertete die Gutachterkommission die operati-
ven Fehler und zum Teil gravierenden Sorgfaltsmängel als
einenVerstoß gegen elementare Behandlungsregeln und da-
mit als einen schwerwiegenden (= groben) Behandlungsfeh-
ler.
Die Kommission beanstandete auch die höchst unvollstän-
dige Dokumentation, die teilweise sogar fehlerhaft war. So
fand beispielsweise die offensichtlich zunächst geplante
laparoskopische Operation der Gallenblase nicht statt, wur-
de aber in der postoperativen Dokumentation weiterhin er-
wähnt.
Der der Patientin zugefügte Gesundheitsschaden liegt im
Verlust der Milz, der Notwendigkeit der zahlreichen Folge-
operationen und der lang dauernden Intensiv- und Nachbe-
handlung mit entsprechenden Schmerzen und ungewöhn-
lichen Belastungen.
Herbert Weltrich und Wilfried Fitting