Background Image
Previous Page  70 / 258 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 70 / 258 Next Page
Page Background

Fehlerhafte Behandlung der Speiseröhre

68

Gutachtliche Entscheidungen

mal der obere Anteil des Magens gefüllt. Hierbei nirgendwo

Austritt von Blaulösung. Es wird dann die Magensonde

wieder etwas weiter in den Magen heruntergeschoben. Die

weitere Revision zeigt dann, dass die Milz mehrere Einrisse

aufweist und sie labberig, nicht durchblutet erscheint. Es

muss davon ausgegangen werden, dass es zu einer Milz-

arterienthrombose gekommen ist. Es wird deshalb die Milz

entfernt, der Milzstiel, der schon in den Voroperationen fast

vollständig durchtrennt wurde, dargestellt und nach Setzen

von 2 Overholt-Klemmen die Milz entfernt. Am abgesetz-

ten Milzhilus finden sich Thrombosen in den großen Ge-

fäßen der Milz ...“.

Am 15. Januar erfolgte eine weitere Second-Look-Operation

mit Spülung und Einlegen einer Easy-Flow-Drainage bei

Gallefistel aus dem Lebersegment S 3. Eine erneute Spülung

wurde am 17. Januar durchgeführt. Am 21. Januar wurde

die Bauchhöhle unter der Diagnose „Gallefistel aus dem lin-

ken lateralen Lebersegment nach iatrogener Verletzung im

Rahmen der Fundoplicatio, akute Cholezystitis, persistie-

rende Peritonitis“ erneut eröffnet. Durchgeführt wurden ei-

ne Cholezystektomie, Übernähung der Leber, Anlage eines

Laparostomas und Spülung. Eine vierte Second-Look-Ope-

ration fand am 23. Januar statt; gleichzeitig wurde bei Lang-

zeitbeatmung die Tracheotomie vorgenommen. Am 26. Ja-

nuar erfolgte eine nochmalige Spülung mit nunmehr offener

Abdominalbehandlung. Weitere Revisionen wurden am

28. Januar und 8. Februar durchgeführt. In dieser ganzen

Phase erhielt die Patientin eine größere Zahl von Bluttrans-

fusionen.

Am 24. Februar wurde die Patientin mit granulierendem

Laparostoma in die beschuldigte Chirurgische Klinik zu-

rückverlegt. Die Trachealkanüle konnte entfernt werden.

Nachbehandlung

Am 16.August erfolgte eine Überweisung in die Geriatrische

Abteilung einer anderen Klinik, wo die Patientin bis zum

14. Januar des folgenden Jahres verblieb. Am 26./27. Au-

gust wurde dieser Aufenthalt wegen der notwendigen

Bougierung einer Cardiastenose in einem anderen Kranken-

haus kurz unterbrochen.

Im Entlassungsbrief vom 14. Januar sind als weitere Diagno-

sen angegeben: „Große Bauchwandwunde nach Laparo-

stoma, rezidivierende Lungenarterienembolie,Venafemoralis-

Thromben beidseits, koronare Herzkrankheit, dekompen-

sierte Linksherzinsuffizienz, intermittierende absolute

Arrhythmie, reaktive Depression, rezidivierende Übelkeit,

Barbiturat-Unverträglichkeit, Glaukom“.

Gutachtliche Beurteilung

Die Gutachterkommission verneinte in ihrer Stellungnahme

die Indikation zur Fundoplicatio. Es hätten kaumAnzeichen

vorgelegen (nur Sodbrennen bei endoskopisch kleiner Hia-

tushernie und Cardiaklaffen, keine nachweisbare Reflux-

oesophagitis, geringe Motilitätsstörung des oesophagealen

Sphinkters, aber normale Speiseröhrenmotilität im Korpus-

bereich und nur diskreter Reflux). Vor einem so weitgehen-

den Eingriff hätte deshalb zunächst eine konsequente medi-

kamentöse Behandlung erfolgen müssen. Deshalb war nach

Ansicht der Kommission allenfalls eine relative Indikation

zur Fundoplicatio gegeben.

Sie hätte allerdings ausdrücklich Gegenstand der besonde-

ren Aufklärung über den Eingriff sein müssen,was nicht ge-

schehen ist, so dass es insoweit auch an einer wirksamen

Einwilligung fehlt.

Zweifel äußert die Kommission zu der Entscheidung, ange-

sichts der Verwachsungen aufgrund der früheren Ober-

bauchoperation den Eingriff endoskopisch und nicht mit-

tels Laparotomie durchzuführen. Da nähere Umstände

nicht zu klären waren, sah die Gutachterkommission inso-

weit von der Feststellung eines vorwerfbaren Behandlungs-

fehlers ab.

Fehlerhaft war es allerdings, die ohneWeiteres aufschiebba-

re Operation bereits am 7. Januar durchzuführen, obwohl

die Patientin, entsprechend eingestellt, noch am Vortag

Aspirin eingenommen hatte. Hier hätte wegen der erhöhten

Blutungsgefahr eine Karenzzeit eingehalten werden müssen.

Die bestehende Aspirinwirkung war bei der Verletzung des

linken Leberlappens mit der erheblichen Blutung verhäng-

nisvoll. Die Leberschädigung selbst wertete die Kommission

als eingriffstypische Komplikation, die bei der Art des Ein-

griffes nicht immer sicher vermeidbar sei.

Die technische Durchführung der Operation hat die Gut-

achterkommission als grob fehlerhaft beanstandet. Die

Fundoplicatio, bei der die hier erforderliche Sorgfalt nicht

gewahrt wurde, führte allerWahrscheinlichkeit nach unmit-

telbar zur Insuffizienz des Magenfundus. Dabei kann offen

bleiben, ob die durch die ganze Manschettenwand gestoche-

ne Naht ausriss oder primär ein Loch verursachte. Ferner

war die Präparation auf Seiten der großen Magenkurvatur

fehlerhaft zu ausgedehnt und führte zu einer fast völligen

Devaskularisierung der Milz mit dem Ergebnis, dass sie bei

dem zweiten Folgeeingriff entfernt werden musste.

Insgesamt bewertete die Gutachterkommission die operati-

ven Fehler und zum Teil gravierenden Sorgfaltsmängel als

einenVerstoß gegen elementare Behandlungsregeln und da-

mit als einen schwerwiegenden (= groben) Behandlungsfeh-

ler.

Die Kommission beanstandete auch die höchst unvollstän-

dige Dokumentation, die teilweise sogar fehlerhaft war. So

fand beispielsweise die offensichtlich zunächst geplante

laparoskopische Operation der Gallenblase nicht statt, wur-

de aber in der postoperativen Dokumentation weiterhin er-

wähnt.

Der der Patientin zugefügte Gesundheitsschaden liegt im

Verlust der Milz, der Notwendigkeit der zahlreichen Folge-

operationen und der lang dauernden Intensiv- und Nachbe-

handlung mit entsprechenden Schmerzen und ungewöhn-

lichen Belastungen.

Herbert Weltrich und Wilfried Fitting