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Gutachtliche Entscheidungen

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Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Pathologie

des malignen Melanoms, einer außerordentlich bösartigen

Geschwulst, kann der Primärtumor, trotz reichlicher Metas-

tasenbildung, klein und unscheinbar bleiben, aber meist

früh Metastasen entwickeln. Das zwingt zu besonderer

Sorgfalt bei der Beurteilung von Gewebeveränderungen und

zu frühzeitigen diagnostischen Maßnahmen, wozu insbe-

sondere die histologische Untersuchung exzidierter Gewe-

beanteile gehört. Die Gutachterkommission hatte in derVer-

gangenheit in zahlreichen Fällen Anlass, ärztliche Versäum-

nisse mit schwerwiegenden Folgen zu beanstanden.

Aus der Fülle der beurteilten Fälle werden zwei Sachverhal-

te geschildert, bei denen fehlerhaftes ärztliches Vorgehen

festgestellt werden musste.

Erster Fall: Unterlassung der histologischen Unter-

suchung einer pathologischen Hautveränderung

Der 62-jährige Patient stellte sich am 9. Juni in der Praxis

der beschuldigten niedergelassenen Hautärztin vor. Als

Hautbefund am rechten Oberschenkel stellte sie einen sich

fest anfühlenden, in der Haut liegenden, leicht erhabenen,

hautfarbenen Nodulus fest. Ihre Diagnose lautete „Histio-

zytom“. Sie erklärte dem Patienten, Histiozytome seien gut-

artige Hauttumore, deren Entfernung nicht notwendig sei. Da

der Patient dies gleichwohl verlangte, wurde eine Exzision

durchgeführt. Auf eine histologische Untersuchung des ent-

nommenen Gewebes verzichtete die Ärztin, da es sich nach

ihrer Beurteilung um einen gutartigen Tumor handele. Die

Hautveränderung führte sie auf eine Mückenstichinfektion

zurück.

Etwa ein halbes Jahr später, imDezember, suchte der Patient

wegen eines Knotens in der rechten Leiste einen niedergelas-

senen Chirurgen auf, der den Knoten entfernte und patho-

histologisch untersuchen ließ. Der Befund des Pathologen

vom 21. Dezember lautete: „Metastase eines großzelligen,

soliden, strukturierten, malignen Tumors im rechten ingui-

nalen Lymphknoten mit perinodulärer Tumorausbrei-

tung“. Der Ergänzungsbericht vom 27. Dezember enthielt

die immunhistochemische Zusatzbeurteilung: „Bestätigung

eines malignen Melanoms als Ausdruck inguinaler Metas-

tase. Tumorstadium: pT 4 b, entsprechend Clark Level V,

Tumordicke nach Breslow 4,1 mm“.

Der radiologische Untersuchungsbefund vom 9. Januar lau-

tete: „Thorax-Abdomen-Becken-CT: Kein Anhalt für intra-

pulmonale oder hepatische Filiae, einzelne Lymphknoten

rechts inguinal von circa 1 cm Größe, ansonsten kein Nach-

weis weiterer auffälliger Lymphknotenvergrößerungen.

Kein Beweis für ossäre Filiae, kein Hinweis für intracranielle

Filiae.“

Stationäre Behandlung

Der Chirurg überwies den Patienten schon am 28. Dezem-

ber in eine Fachklinik, bei der zunächst eine ambulante Vor-

stellung und danach die stationäre Aufnahme zur Lymph-

knotendissektion erfolgten.

Den Behandlungsberichten der Klinik vom 6. Februar und

12. April ist als Diagnose zu entnehmen: „Metastasiertes mali-

gnes Melanom, Primärlokalisation rechter Oberschenkel,

Tumordicke 4,1 mm,Clark Level V, pT4,N 1,M 0, Stadium 3.“

Als Therapie ist Folgendes angeführt:

Radikalexzision mit 2 cm Sicherheitsabstand rechter

Oberschenkel

Leistendissektion rechts mit Lymphknotenmetastasen

Einleitung einer adjuvanten Immuntherapie mit

3 x wöchentlich 9 MIO alfa-Interferon.

Die histologische Aufarbeitung der Leistenlymphknoten-

ausräumung und Nachexzision zeigte die lymphogene Me-

tastasierung.

Der weitere Krankheitsverlauf

Nach dem letzten Bericht der Fachklinik vom 1. Juli des

folgenden Jahres „weiterer Tumorprozess mit jetzt

disseminierter Peritonealkarzinose und Aszitesbildung,

Umstellung der Polychemotherapie“. Zusätzlich ergab sich

der Verdacht auf Lebermetastasen. Der am 31. Juli einge-

tretene Tod des jetzt 64-jährigen Patienten war durch ärzt-

liche Bemühungen nicht mehr abzuwenden.

Gutachtliche Beurteilung

Die Gutachterkommission stellte als schwerwiegenden Be-

handlungsfehler der Hautärztin fest, dass sie entgegen den

allgemein anerkannten – nationalen und internationalen –

Regeln das entnommene Gewebe nicht der histologischen

Untersuchung zugeführt hat. Ihr Hinweis, sie sei von einem

Histiozytom als gutartigen Tumor ausgegangen, könne sie

nicht entlasten. Gerade an Extremitäten seien Knotenbil-

dungen, vor allem amelanotische, immer verdächtig. Es

gelte deshalb in allen solchen Fällen der Grundsatz, dass je-

des Exzidat pathologisch-anatomisch zu untersuchen sei.

Der Verstoß gegen diese medizinische Regel, die zum Grund-

wissen einer Fachärztin für Dermatologie gehöre, stelle ein

grobes Fehlverhalten dar, das aus objektiver ärztlicher Sicht

nicht mehr verständlich erscheine.

Der Behandlungsfehler derÄrztin ist nach der gutachtlichen

Beurteilung der Ausgangspunkt des tragischen Krankheits-

verlaufs. Die unterlassene Untersuchung hätte schon im Ju-

ni zur Feststellung des besonders risikoreichen nodulären

malignen Melanoms führen können. Eine alsdann einset-

zende fachgerechte Behandlung mit den Schritten

Exzision

Lymphknotendissektion mit Ausräumung der Leiste und

anschließende

Chemotherapie bzw. adjuvante Immuntherapie

Behandlungsfehler bei Hautkrebs

Versäumnisse in Diagnostik und Behandlung maligner Melanome